Guten Nachmittag,
während in Ternopil die Trümmer weggeräumt werden und in Washington die Rechenschieber glühen, zeigt sich an den Märkten eine merkwürdige Stille. Nicht die Ruhe vor dem Sturm – eher jene zögerliche Pause, in der Investoren, Unternehmen und Politiker gleichermaßen versuchen, die Konturen einer neuen Realität zu erkennen. Die Nachrichten dieser Woche erzählen von Fusionen, die scheitern, von Technologien, die versprechen, und von einer Weltwirtschaft, die zwischen Wachstumshoffnung und geopolitischer Unsicherheit navigiert.
Drei Themen stechen heraus: Erstens, Blue Owl Capital zieht eine geplante Fusion zurück – ein Lehrstück über Marktvolatilität und strategische Geduld. Zweitens, die deutsche Rentenpolitik offenbart die Arithmetik des Generationenvertrags in Zeiten schrumpfender Erwerbsbevölkerung. Und drittens, während Russland und die Ukraine ihre Eskalationsspirale drehen, fragen sich Europas Energiemärkte: Was kommt als Nächstes?
Blue Owl und die Kunst des Rückzugs
Manchmal ist die interessanteste Nachricht nicht der Deal, sondern dessen Absage. Blue Owl Capital, ein Schwergewicht im Bereich Private Credit mit über 6 Milliarden Dollar Assets under Management, hat die geplante Fusion zwischen Blue Owl Capital Corporation (OBDC) und Blue Owl Capital Corporation II abgesagt. Offiziell heißt es: „aktuelle Marktbedingungen“. Übersetzt: Die Volatilität an den Kapitalmärkten macht es schwer, Investoren von langfristigem Mehrwert zu überzeugen, wenn kurzfristig die Bewertungen tanzen.
Das ist kein Scheitern – es ist strategische Disziplin. CEO Craig W. Packer betont, man glaube weiterhin an den langfristigen Wert der Kombination, wolle aber „den richtigen Zeitpunkt“ abwarten. In einer Zeit, in der viele Deals aus FOMO (Fear of Missing Out) getrieben werden, ist solche Zurückhaltung bemerkenswert. OBDC II, seit 2017 am Markt, hat eine annualisierte Nettorendite von 9,3 Prozent erzielt – deutlich über dem Durchschnitt von Syndicated Loans und High Yield Bonds. Die Verlustrate liegt bei gerade einmal 23 Basispunkten. Mit solchen Fundamentaldaten im Rücken kann man es sich leisten, auf bessere Bedingungen zu warten.
Was sagt uns das über den breiteren Markt? Private Credit boomt seit Jahren, getrieben von niedrigen Zinsen und dem Rückzug traditioneller Banken aus bestimmten Segmenten. Doch nun, da die Zinsen gestiegen sind und die Refinanzierungskosten steigen, wird Kapitaleffizienz wichtiger. Blue Owls Entscheidung signalisiert: Auch in einem Wachstumsmarkt gilt es, Timing und Bewertung ernst zu nehmen. Das 200-Millionen-Dollar-Aktienrückkaufprogramm bleibt bestehen – ein Signal an die Aktionäre, dass man den eigenen Wert kennt.
Deutsche Renten: Die Mathematik der Generationengerechtigkeit
Zur gleichen Zeit in Berlin: Das Bundeskabinett berät den Rentenversicherungsbericht 2025, und die Zahlen erzählen eine Geschichte, die jeder kennt, aber niemand gern hört. Bis 2039 sollen die Renten um insgesamt rund 47 Prozent steigen – durchschnittlich 2,8 Prozent pro Jahr. Das klingt solide. Doch der Preis: Der Beitragssatz, aktuell bei 18,6 Prozent, wird ab 2028 auf 19,8 Prozent springen und bis 2039 auf 21,2 Prozent klettern.
Gleichzeitig muss der Bund der Rentenversicherung ab 2027 zunehmend Geld zuschießen, um das geplante Sicherungsniveau von 48 Prozent zu stabilisieren – bis zu 10,1 Milliarden Euro jährlich ab 2031. Das ist die Rechnung für eine alternde Gesellschaft: Immer weniger Beitragszahler finanzieren immer mehr Rentner, und die Politik versucht, diesen Spagat durch Bundeszuschüsse zu überbrücken.
Doch hier liegt das Paradoxon: Diese Zuschüsse kommen aus Steuermitteln – also letztlich von denselben Arbeitnehmern, die auch die steigenden Beiträge zahlen. Es ist ein Nullsummenspiel, das die Frage aufwirft: Wie lange kann ein System funktionieren, das auf Wachstum und steigende Erwerbstätigkeit angewiesen ist, während die Demografie in die entgegengesetzte Richtung zeigt?
Die Junge Gruppe der Unionsfraktion blockiert derzeit das geplante Rentenpaket, aus Sorge vor „Milliardenkosten auch für die Zeit ab 2031″. Ihre Kritik ist nicht unbegründet. Denn während die Rentenerhöhungen politisch populär sind, verschiebt sich die Last immer stärker auf die jüngere Generation – jene, die ohnehin mit Klimawandel, Digitalisierung und geopolitischen Unsicherheiten kämpft. Generationengerechtigkeit ist ein schönes Wort. Die Umsetzung bleibt eine Herausforderung.
Geopolitik und Energiemärkte: Wenn Raketen die Preise bewegen
Und dann ist da noch die Ukraine. In der Nacht zum Mittwoch feuerte Russland 476 Drohnen und 48 Raketen auf ukrainische Ziele, darunter Wohngebiete in Ternopil, wo mindestens 25 Menschen starben. Gleichzeitig meldete die Ukraine den erneuten Einsatz von US-amerikanischen ATACMS-Raketen gegen Ziele im russischen Hinterland – diesmal in der Region Woronesch. Die Eskalationsspirale dreht sich weiter, und mit ihr die Unsicherheit an den Energiemärkten.
Hier ist die europäische Perspektive entscheidend: Während die USA mit Abstand zur Konfliktzone operieren können, ist Europa geografisch und wirtschaftlich direkt betroffen. Zwar sind die Gasflüsse über die Ukraine seit dem 1. Januar 2025 eingestellt – ein oft übersehener Fakt –, doch die Volatilität bei Energiepreisen bleibt hoch. Jede Eskalation im Konflikt schickt Schockwellen durch die Märkte, und Europas Industrie, ohnehin unter Druck durch hohe Energiekosten und globalen Wettbewerb, spürt jeden Ausschlag.
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Präsident Selenskyj nutzte seinen Besuch in der Türkei, um für eine Wiederbelebung von Friedensgesprächen zu werben. Doch ohne russische Vertreter am Tisch bleibt das Symbolik. Die Realität ist: Dieser Konflikt wird die europäische Wirtschaft noch lange belasten – durch Energiekosten, Verteidigungsausgaben und die Unsicherheit, die Investitionen hemmt.
Technologie und Transformation: Die leisen Revolutionen
Abseits der Schlagzeilen vollziehen sich Veränderungen, die langfristig mindestens so bedeutsam sind wie die großen geopolitischen Dramen. Atomathic, ein Startup aus Kalifornien, hat eine KI-Plattform vorgestellt, die Sensoren in Echtzeit „das Unsichtbare sehen“ lässt – eine Technologie, die in der Luft- und Raumfahrt, Verteidigung und Halbleiterfertigung Anwendung finden soll. Das klingt abstrakt, doch die Implikationen sind konkret: Präzisere Sensoren bedeuten effizientere Produktion, sicherere Verteidigungssysteme und schnellere Innovation.
Oder nehmen wir Siemens Energy, das am Donnerstag seinen Kapitalmarkttag abhält. Das Unternehmen steht exemplarisch für Europas Energiewende – zwischen fossilen Altlasten und grüner Zukunft. Die Frage, die Investoren stellen werden: Kann Siemens Energy profitabel wachsen, während es gleichzeitig das Portfolio transformiert? Die Antwort wird viel darüber verraten, wie realistisch Europas Klimaziele sind.
Und dann ist da noch Phenom, ein HR-Tech-Unternehmen, das mit KI-gestützten Talentplattformen Unternehmen hilft, schneller einzustellen und besser zu entwickeln. In einer Zeit, in der Fachkräftemangel Europas Achillesferse ist, sind solche Technologien keine Spielerei – sie sind Wettbewerbsfaktor.
Die Woche voraus: Erzeugerpreise, Siemens Energy und ein Blick nach Übersee
Am Donnerstag werden die deutschen Erzeugerpreise für Oktober veröffentlicht. Die Prognose: plus 0,2 Prozent im Monatsvergleich, minus 1,7 Prozent im Jahresvergleich. Das klingt nach Entspannung, doch der Teufel steckt im Detail. Energiepreise bleiben volatil, und Industrieunternehmen kämpfen mit steigenden Lohnkosten. Die Erzeugerpreise sind ein Frühindikator für Inflation – und damit für die EZB-Politik.
Ebenfalls am Donnerstag: Siemens Energys Kapitalmarkttag. Investoren werden genau hinhören, wie CEO Christian Bruch die Balance zwischen Transformation und Profitabilität erklärt. Und aus den USA kommen die Arbeitsmarktdaten für September – ein wichtiger Indikator dafür, wie robust die US-Wirtschaft wirklich ist.
Was bleibt
Diese Woche zeigt: Die Wirtschaft ist ein komplexes System, in dem Fusionen scheitern, Renten steigen, Raketen fliegen und Technologien leise die Welt verändern. Es gibt keine einfachen Antworten – nur die Notwendigkeit, genau hinzuschauen, Zusammenhänge zu verstehen und die richtigen Fragen zu stellen.
Die große Frage bleibt: Wie navigiert Europa durch diese Gemengelage aus geopolitischer Unsicherheit, demografischem Wandel und technologischem Umbruch? Die Antwort wird nicht in einem Newsletter zu finden sein. Aber vielleicht hilft es, die Konturen klarer zu sehen.
Bis nächste Woche,
Eduard Altmann
