Wenn die KI das Ruder übernimmt: Börsenwoche zwischen Hoffnung und Ernüchterung

ProSiebenSat.1 korrigiert Gewinnprognose drastisch nach unten, während die Fed eine erste Zinssenkung erwartet und KI-Systeme Geschäftsprozesse revolutionieren.

Kurz zusammengefasst:
  • ProSiebenSat.1 senkt Umsatz- und EBITDA-Prognose erheblich
  • Fed erwartet erste Zinssenkung seit Dezember um 25 Basispunkte
  • KI-Systeme übernehmen eigenständige Entscheidungen in Unternehmen
  • CrowdFarming übernimmt Marktschwärmer im Bio-Lebensmittelhandel

Wenn die KI das Ruder übernimmt: Börsenwoche zwischen Hoffnung und Ernüchterung

Guten Tag aus dem herbstlichen Frankfurt,

während in Monaco dieser Tage 50 Riva-Yachten die Blicke der Schönen und Reichen auf sich ziehen, kämpft die Finanzwelt mit ganz anderen Turbulenzen. Die Märkte warten gespannt auf die Fed-Entscheidung am Mittwoch, ProSiebenSat.1 schockt mit einer drastischen Gewinnwarnung, und in den Chefetagen der Unternehmen wird fieberhaft an KI-Strategien gefeilt. Was für eine Woche – und dabei ist es erst Dienstag Nachmittag.

ProSieben strauchelt: Wenn die Realität die Prognose einholt

Der Paukenschlag kam gestern um 16:04 Uhr: ProSiebenSat.1 kappt die Prognose – und wie. Statt der erhofften 3,85 Milliarden Euro Umsatz erwartet der Medienkonzern nur noch 3,65 bis 3,80 Milliarden. Noch dramatischer beim bereinigten EBITDA: Hier stürzt die Erwartung von „um die 520 Millionen“ auf magere 420 bis 470 Millionen Euro ab.

Was ist da los in Unterföhring? Die Antwort ist so simpel wie brutal: Die deutsche Wirtschaft lahmt, und wenn die Wirtschaft lahmt, sparen Unternehmen zuerst bei der Werbung. September und Oktober – normalerweise starke Werbemonate – enttäuschen auf ganzer Linie. Sowohl im linearen TV als auch digital brechen die Buchungen weg. CEO Bert Habets hatte noch im Sommer von einer „Erholung im vierten Quartal“ gesprochen. Diese Hoffnung hat sich in Luft aufgelöst.

Der Aktienkurs? Bereits im Vorfeld der Warnung um 20 Prozent gefallen seit Jahresbeginn. Die Verschuldung steigt unterdessen auf das 3,0- bis 3,5-fache des EBITDA – ein Niveau, das Analysten nervös macht. Für ein Medienhaus, das sich gerade mühsam vom Streaming-Boom erholen wollte, kommt diese Krise zur Unzeit.

Fed vor der Zinswende: Zwischen Arbeitsmarktsorgen und Trump-Druck

In Washington herrscht unterdessen Ausnahmezustand der besonderen Art. Die Fed tagt, und erstmals seit Monaten scheint eine Zinssenkung sicher – 25 Basispunkte auf 4,00 bis 4,25 Prozent erwarten die Märkte. Doch die wahre Story spielt sich hinter den Kulissen ab.

Gouverneurin Lisa Cook musste vor Gericht um ihren Job kämpfen, nachdem Präsident Trump sie kurzerhand per Social Media gefeuert hatte. Ein Bundesberufungsgericht stoppte vorerst die Entlassung – ein beispielloser Vorgang in der Geschichte der US-Notenbank. Gleichzeitig rückt Stephen Miran, derzeit Wirtschaftsberater im Weißen Haus, in den Fed-Vorstand auf. Die Botschaft ist klar: Trump will mehr Kontrolle über die Geldpolitik.

Dabei hätte die Fed genug eigene Sorgen. Die US-Arbeitslosenquote kratzt an der 4-Prozent-Marke, die Inflation bleibt hartnäckig über dem 2-Prozent-Ziel. Fed-Chef Jerome Powell, dessen Amtszeit im Mai endet, muss einen Drahtseilakt vollführen: genug lockern, um die Wirtschaft zu stützen, aber nicht zu viel, um die Inflation nicht wieder anzufachen. Und das alles unter dem wachsamen Auge eines Präsidenten, der „tiefe Zinssenkungen“ fordert.

KI-Revolution im Mittelstand: Wenn Software zu Kollegen werden

Während sich Notenbanker und Medienmacher mit ihren Krisen herumschlagen, vollzieht sich in der Geschäftswelt eine stille Revolution. Shopware, das E-Commerce-System aus Deutschland, feiert nicht nur sein 25-jähriges Bestehen, sondern präsentiert eine „Commerce Agent Platform“ – KI-Systeme, die eigenständig Geschäftsprozesse steuern.

„Agentic Commerce“ nennt CEO Sebastian Hamann das. Was nach Buzzword klingt, hat handfeste Auswirkungen: Die Software trifft selbstständig Entscheidungen, optimiert Preise, managt Lagerbestände. Bei Staffbase, einem Anbieter für Mitarbeiterkommunikation, geht man noch weiter: Dort erstellt die KI personalisierte Podcasts für jeden einzelnen der 100.000 Mitarbeiter eines Unternehmens. Jeden Mittwoch. Automatisch.

Diese Entwicklung ist kein Spielzeug für Tech-Giganten. Der Hamburger Beratungskonzern Safeguard Global wurde gerade als „Leader“ im Bereich Employer of Record Services ausgezeichnet – ein Geschäft, das ohne KI-Unterstützung kaum noch vorstellbar ist. Selbst im konservativen Reifengeschäft setzt die Tire Industry Project auf KI, um Mikroplastik zu reduzieren. Zwei Millionen Dollar Förderung für fünf Forschungsprojekte – die Industrie nimmt das Thema ernst.

Fusion im Biohandel: David gegen Goliath wird größer

Eine bemerkenswerte Allianz bahnt sich im Bio-Lebensmittelhandel an: Das spanische Start-up CrowdFarming übernimmt die französische Plattform „La Ruche Qui Dit Oui!“, in Deutschland bekannt als Marktschwärmer. Gemeinsam wollen sie 10.000 Landwirte mit 1,5 Millionen Kunden verbinden – und damit den Kampf gegen das „Höfesterben“ aufnehmen.

Die Zahlen sind beeindruckend: Zwei Drittel der 625.000 CrowdFarming-Kunden sitzen in Deutschland. Der gemeinsame Umsatz soll dieses Jahr 100 Millionen Euro überschreiten. CEO Gonzalo Úrculo, selbst Orangenbauer aus Valencia, träumt groß: „Wir Landwirte brauchen einen starken Direktvertrieb als Alternative zum Supermarkt.“

Das Timing könnte kaum besser sein. Die Zahl der Agrarbetriebe in Deutschland schrumpft dramatisch, kleine Familienbetriebe können mit den Preisen der Discounter nicht mithalten. Der Direktverkauf verspricht höhere Margen – und eine Überlebenschance für Traditions-Höfe. Dass ausgerechnet zwei ausländische Plattformen den deutschen Biomarkt aufmischen, zeigt: Innovation kommt oft von außen.

Blick nach vorn: Die Woche der Entscheidungen

Die kommenden Tage versprechen Spannung pur. Am Mittwochabend verkündet die Fed ihre Zinsentscheidung – die erste Senkung seit Dezember wäre ein Signal, aber reicht sie aus? Die EZB tagt zwar erst nächste Woche, aber in Frankfurt wird man genau beobachten, was Powell macht.

Donnerstag dann die Verkehrsministerkonferenz in München: Das Deutschlandticket könnte auf 62 oder gar 64 Euro steigen. Ein Politikum erster Güte, gerade in Zeiten, wo jeder Euro zählt. Und natürlich warten alle auf die ersten Reaktionen der Märkte auf die Fed-Entscheidung. Wird es eine Rallye geben? Oder die Ernüchterung, dass 25 Basispunkte nicht reichen?

Was für eine Zeit für Anleger und Unternehmer! Die alte Ordnung – Notenbankunabhängigkeit, verlässliche Werbeeinnahmen, traditionelle Vertriebswege – wird gerade neu verhandelt. KI-Agenten übernehmen Aufgaben, von denen wir vor zwei Jahren noch nicht mal wussten, dass sie automatisierbar sind. Start-ups fordern Konzerne heraus. Und die Fed? Kämpft um ihre Unabhängigkeit, während sie gleichzeitig die Wirtschaft retten soll.

Vielleicht ist es genau diese Mischung aus Disruption und Tradition, aus Innovation und Krise, die unsere Zeit so faszinierend macht. Während in Monaco die Riva-Yachten in der Herbstsonne glänzen, wird anderswo die Zukunft der Wirtschaft neu geschrieben. Mal sehen, welches Kapitel diese Woche noch bereithält.

Bleiben Sie neugierig – und skeptisch,

Eduard Altmann

P.S.: Die Aktie von ProSiebenSat.1 notiert übrigens bei gerade mal 5,20 Euro. Vor zehn Jahren waren es noch über 50 Euro. Manchmal sagen Kurse mehr als tausend Gewinnwarnungen.


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