Die Finanzmärkte bereiten sich auf eine heiße Phase ein. Während die US-Notenbank kurz vor einer weiteren Zinssenkung steht, signalisiert die Bank of Japan eine Kehrtwende. Doch hinter den oberflächlichen Gewissheiten lauern fundamentale Unsicherheiten – von unvollständigen Wirtschaftsdaten bis hin zu politischen Eingriffen, die das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Zentralbanken erschüttern könnten.
Morgan Stanley rudert zurück
Der Strategiewechsel bei Morgan Stanley wirft ein Schlaglicht auf die Unwägbarkeiten der aktuellen Geldpolitik. Nachdem die Investmentbank ihre Prognose für eine Zinssenkung im Dezember zunächst kassiert hatte, vollzieht sie nun eine 180-Grad-Wende. „Es scheint, wir sind voreilig gewesen“, räumen die Analysten Michael Gapen und Sam Coffin ein. Ausschlaggebend für den erneuten Kurswechsel waren Signale hochrangiger Fed-Vertreter kurz vor der obligatorischen Schweigeperiode.
Besonders das Statement von Fed-Gouverneur Christopher Waller und die Äußerungen der regionalen Notenbankpräsidenten John Williams und Mary Daly gaben den Ausschlag. Die Märkte haben bereits reagiert: Mit einer Wahrscheinlichkeit von 87 Prozent preisen sie eine Senkung um 25 Basispunkte ein. Morgan Stanley erwartet nun Reduktionen im Dezember, Januar und April – was die Zielspanne auf 3,0 bis 3,25 Prozent drücken würde.
Doch die Entscheidung könnte kontrovers werden. Bis zu fünf der zwölf stimmberechtigten FOMC-Mitglieder haben sich öffentlich gegen weitere Lockerungen ausgesprochen. Diese interne Spaltung ist ungewöhnlich für eine Notenbank, die traditionell auf Konsens setzt.
Datenlücke erschwert Entscheidung
Die Fed navigiert praktisch im Blindflug. Der wochenlange Regierungsstillstand hat eine beispiellose Datenlücke hinterlassen. Die entscheidenden Arbeitsmarktdaten für November – normalerweise Anfang Dezember veröffentlicht – werden erst Mitte des Monats erscheinen. Die September-Zahlen wurden überhaupt nicht publiziert.
Immerhin bietet der heute anstehende PCE-Preisindex, das bevorzugte Inflationsmaß der Fed, einen Anhaltspunkt. Ökonomen erwarten einen Anstieg der Kernrate um 0,2 Prozent zum Vormonat, was die Jahresrate bei 2,9 Prozent belassen würde. Doch die Daten stammen aus dem September – ihre Aussagekraft für aktuelle Entwicklungen ist begrenzt.
Morgan Stanley prognostiziert, dass die verspätet veröffentlichten Zahlen eine Fortsetzung des Trends zeigen werden: steigende Arbeitslosigkeit und nachlassende Konsumausgaben. Theoretisch könnten Zinssenkungen Investitionen und Beschäftigung ankurbeln – allerdings auf die Gefahr hin, inflationäre Tendenzen neu zu entfachen.
Hassett-Spekulation erschüttert Märkte
Während die Fed ihre Dezember-Entscheidung vorbereitet, wirft eine personelle Weichenstellung bereits lange Schatten voraus. Die Spekulation, dass Kevin Hassett im Mai Jerome Powell als Fed-Chef ablösen könnte, hat die Anleihemärkte aufgeschreckt. Die Risikoprämie für zehnjährige Staatsanleihen schnellte Anfang Dezember nach oben – und beendete damit drei Monate relativer Ruhe.
BCA Research warnt vor den Konsequenzen eines solchen Führungswechsels. Zwar repräsentiere Hassett nur eine von zwölf Stimmen im Offenmarktausschuss, doch die größere Gefahr liege in der Erosion der internen Konsenskultur. „Sofern Hassett sich nicht von früheren Äußerungen distanzieren und das Vertrauen der anderen FOMC-Mitglieder gewinnen kann, wird das bisherige konsensbasierte Modell der Fed-Politik durch eines ersetzt, bei dem jede Stimme zählt und Gegenstimmen häufig werden“, prognostiziert Stratege Ryan Swift.
Ein Bericht der Financial Times zitiert Anleiheinvestoren, die dem Finanzministerium ihre Besorgnis über Hassett als möglichen Fed-Chef mitteilten. Sie befürchten aggressive Zinssenkungen im Einklang mit Präsident Donald Trumps Präferenz für deutlich lockerere Geldpolitik. Das Ergebnis: höhere Zinsschwankungen und eine ausgeweitete Risikoprämie – ein Muster, das sich bereits im Dezember abzeichnet.
Kanada stoppt Zinssenkungen
Während die Fed noch Spielraum nach unten sieht, zieht die Bank of Canada die Notbremse. Nach aggressiven Senkungen um insgesamt 275 Basispunkte – eine der schärfsten Lockerungen unter den G10-Staaten – wird die kanadische Notenbank ihren Leitzins kommende Woche bei 2,25 Prozent belassen. Alle 33 von Reuters befragten Ökonomen erwarten diesen Schritt.
Der Grund: Die Mission ist vorerst erfüllt. Die Inflation bewegt sich fest im Zielkorridor, und die Wirtschaft wuchs im vergangenen Quartal mit robusten 2,6 Prozent, gestützt durch Staatsausgaben. „Da die Bank praktisch signalisiert hat, dass sie mit Zinssenkungen fertig ist, ist es nur natürlich, dass sich die Gedanken nun darauf richten, wann sie in die andere Richtung gehen könnte“, sagt Douglas Porter, Chefökonom bei BMO Capital Markets.
Doch Porter dämpft voreilige Erwartungen: „Angesichts der dunklen Wolke handelspolitischer Unsicherheit, die weiterhin über der Wirtschaft hängt und dies wahrscheinlich bis weit ins Jahr 2026 tun wird, ist es viel zu früh für Zinserhöhungsgespräche.“ Eine Mehrheit von 18 der 29 befragten Ökonomen erwartet stabile Zinsen mindestens bis 2027.
Der immobilienintensive kanadische Markt zeigt bereits erste Reaktionen auf die niedrigeren Zinsen. Nach einem Rückgang um 3,2 Prozent im laufenden Jahr erwarten Analysten für 2026 und 2027 Preisanstiege von durchschnittlich 1,8 respektive 3,5 Prozent. „Die Zinssenkungen der BoC im September und Oktober verbesserten die Erschwinglichkeit für Käufer weiter“, erklärt Robert Hogue von RBC.
Bank of Japan auf Kollisionskurs
Am anderen Ende des Spektrums bereitet die Bank of Japan den entgegengesetzten Schritt vor. Nach den hawkishen Signalen von Gouverneur Kazuo Ueda am Montag preisen die Märkte eine Anhebung auf 0,75 Prozent im Dezember nahezu vollständig ein – der höchste Stand seit 1995.
Die Auswirkungen sind bereits spürbar. Zehnjährige japanische Staatsanleihen rentieren auf dem höchsten Niveau seit Mitte 2007, dreißigjährige Papiere markierten Rekordstände. Der Yen legte gegenüber dem Dollar zu, was Milliarden in Carry Trades unter Druck setzt – jene beliebte Strategie, bei der Investoren günstig Yen leihen, um in höher rentierliche Dollar-Assets zu investieren.
Doch die größere Frage lautet: Wie weit kann die BoJ gehen? Die aktuelle Schätzung der neutralen Zinsrate – jener Punkt, der weder stimulierend noch bremsend wirkt – liegt zwischen 1,0 und 2,5 Prozent. Mit 0,75 Prozent wäre die BoJ am unteren Rand angekommen. Ueda hat klarere Orientierung zum Abstand zur neutralen Rate angekündigt, doch ehemalige Notenbanker warnen vor überzogenen Erwartungen.
„Wenn es so viel Unsicherheit gibt, will man sich nicht die Hände binden, indem man sich auf eine bestimmte Zahl festlegt“, erklärt Seisaku Kameda, ehemaliger Chefökonom der BoJ. Ayako Fujita von JPMorgan erwartet, dass die Notenbank betonen wird, dass 1,0 Prozent lediglich die Untergrenze darstellt – ohne sich auf konkrete Zahlen festzulegen. „Die BoJ möchte wahrscheinlich, dass die Märkte eine neutrale Rate um 1,5 Prozent einpreisen. Die Kommunikation wird allerdings heikel.“
Globale Neuordnung
Die divergierenden Pfade der Notenbanken spiegeln sich in den Kapitalmärkten wider. Der Dollar-Index fiel auf ein Fünf-Wochen-Tief, während Gold auf 4.221 Dollar je Unze kletterte. Kupfer erreichte mit 11.705 Dollar je Tonne ein Allzeithoch, gestützt durch Angebotssorgen und Zinssenkungserwartungen.
Europas STOXX 600 steuert auf ein zweites Wochenplus zu, angetrieben von Bergbauaktien. Die Eurozone bestätigte ein Wachstum von 0,3 Prozent im dritten Quartal – mehr als zunächst berichtet. Analysten von ABN Amro erwarten für 2025 eine Expansion um 1,4 Prozent, wobei deutsche Fiskalimpulse und EZB-Zinssenkungen 2026 für Beschleunigung sorgen dürften.
Die EZB hat ihre Zinsen im laufenden Jahr um insgesamt zwei Prozentpunkte gesenkt, hält seither aber inne. ABN Amro rechnet mit stabilen Zinsen bis 2027, sieht aber kurzfristig Risiken für weitere Senkungen angesichts einer drohenden Inflationsunterschreitung.
Die kommenden Tage werden zeigen, ob die Notenbanken ihre heikle Balance zwischen Wachstumsförderung und Preisstabilität halten können – oder ob politische Einflussnahme und Datenunsicherheiten die Märkte in eine neue Phase der Volatilität treiben.
