„Wir spüren die Auswirkungen der Klimaerwärmung schon vor der eigenen Haustür“



09:25 24.10.21

Professor Dr. Mojib Latif gehört zu den weltweit renommiertesten Meteorologen und Klimaforschern. Im Interview mit dem onemarkets Magazin plädiert der Seniorprofessor am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel für mehr Engagement beim Klimaschutz.

onemarkets: Der jüngste Bericht des Weltklimarats zeigt, dass eine Erderwärmung um 1,5 Grad möglicherweise 2030 und damit rund zehn Jahre früher droht als bisher prognostiziert. Haben Sie diese Aussagen überrascht?

Prof. Dr. Mojib Latif: Nein, ganz und gar nicht. Der Weltklimarat betreibt keine eigene Forschung, sondern trägt nur das zusammen, was ohnehin bereits in wissenschaftlichen Zeitschriften publiziert worden ist. Was mich allerdings überrascht hat, war die mediale Aufmerksamkeit, denn die Botschaft war nicht neu. Um ehrlich zu sein, war mir beim Beschluss des Pariser Klimaabkommens 2015 schon klar, dass die gesteckten Ziele eine unheimliche Herausforderung darstellen. Aber das eigentliche Ziel von Paris war „deutlich unter 2 Grad“ und nicht 1,5 Grad. Nun lässt sich darüber diskutieren, was „deutlich unter 2 Grad“ genau bedeuten soll. Eines ist jedoch klar und dies dürfte auch die Kernbotschaft des Weltklimarats gewesen sein: Eine Erwärmung unter 2 Grad erscheint weiterhin möglich. Allerdings sind dafür schnelle drastische Maßnahmen notwendig. Aktuell liegen wir bei etwa 1,1 Grad und die weltweiten CO2-Emissionen steigen derzeit kräftig weiter.

„Eine Erwärmung unter 2 Grad erscheint weiterhin möglich. Allerdings sind dafür schnelle drastische Maßnahmen notwendig.“

onemarkets: In den zurückliegenden eineinhalb Jahren haben zwar Meldungen zu Corona die Schlagzeilen beherrscht. Gleichwohl ist das Thema Klimaschutz präsenter denn je. Die Bevölkerung, die Wirtschaft und die Politik scheinen engagiert wie nie. Das sollte Sie doch glücklich stimmen, oder nicht?

Latif: Seit den 1990er-Jahren hat dieses Thema allerdings eine neue Qualität, denn wir spüren die Auswirkungen der Klimaerwärmung schon vor der eigenen Haustür. Etwa in Form von zunehmenden Wetterextremen wie Überflutungen. Beim Hochwasser in diesem Jahr kam noch hinzu, dass dabei so viele Menschen gestorben sind. Lange Zeit sind derlei Ereignisse weit weg auf anderen Kontinenten passiert. Nun geschehen sie auch bei uns. Was einst abstrakt geklungen hat, ist heute deutlich spürbar, und wir beginnen zu ahnen, was die Klimaerwärmung bedeuten kann. Dabei stehen wir erst am Anfang der Erwärmung.

onemarkets: Die USA und Europa schnürten in den vergangenen Monaten milliardenschwere Konjunkturpakete für eine saubere Umwelt. Die Politik signalisiert also, in welche Richtung es gehen soll.

Latif: In seiner Rede beim Online-Klimagipfel im Frühjahr hat sich US-Präsident Joe Biden klar nach innen gewandt und erklärt, dass der Klimaschutz viele neue gut bezahlte Jobs bedeute. Damit wollte Biden die Bevölkerung auf die enormen Investitionen einschwören, die er in den kommenden Jahren tätigen möchte. Er will weg von fossilen Brennstoffen hin zu erneuerbaren Energien. Wenn die USA das richtig machen, haben sie das Potenzial, weltweit zur Lokomotive beim Klimaschutz zu werden. Bidens Ziele sind hochgesteckt, aber erreichbar. Auch das Konzept eines European Green Deals finde ich gut. Allerdings stehen die Verhandlungen über die Details erst noch am Anfang und niemand weiß, was am Ende dabei herauskommt.

onemarkets: Wo sehen Sie die größten Hürden auf dem Weg zu einem Deal?

Latif: Frankreich setzt beispielsweise auf Atomenergie, die nicht nachhaltig ist, und hat somit kein so gravierendes CO2-Problem. In vielen anderen Ländern fehlte es bisher am politischen Willen, einen neuen Kurs einzuschlagen. Zudem denken die Länder mehrheitlich noch zu nationalistisch und an den kurzfristigen finanziellen Gewinn. Es fehlt eine europäische Vision und ein gesamtstaatliches Konzept zur Energieversorgung von morgen. Ob dies nun mit dem European Green Deal gelingt, muss sich zeigen.

„Es fehlt eine europäische Vision und ein gesamtstaatliches Konzept zur Energieversorgung von morgen.“

onemarkets: Anfang November startet die nächste große Klimakonferenz in Glasgow. Was erwarten Sie sich davon?

Latif: Ich rechne nicht damit, dass ambitionierte Maßnahmen beschlossen werden. Die gesteckten Ziele sind ohnehin schon schwer erreichbar. Im Moment bewegen wir uns in Richtung einer 3-Grad-Welt. Darüber hinaus geht es nicht nur um ökologische, sondern auch um ökonomische Aspekte. Gleichwohl richtet sich mit dem Klimagipfel die öffentliche Aufmerksamkeit wieder auf dieses Thema. Das ist extrem wichtig. Außerdem muss man immer im Gespräch bleiben. Wichtig wäre eine Kooperation der Willigen. Wenn die EU und die USA zusammen vorangehen und zeigen, dass Klimaschutz nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch sinnvoll ist, dann kann das den gordischen Knoten lösen.

onemarkets: Was können wir tun, um den Klimawandel zu stoppen?

Latif: Wir haben nicht nur ein Klima-, sondern auch ein Ressourcenproblem. Wir müssen daher versuchen, in eine Kreislaufwirtschaft zu kommen und verstärkt Ressourcen wiederzuverwenden. Auch sollten die Menschen ihre Konsumgewohnheiten noch stärker hinterfragen. Ich denke aber nicht, dass etwa Flugreisen oder Ähnliches generell verboten werden sollten. Wer möchte, sollte weiterhin fliegen können. Was wir jedoch brauchen, ist eine Mobilitätswende.

onemarkets: Wie meinen Sie das?

Latif: Ein Punkt ist, alternative Antriebe zu entwickeln. Bei Autos wird ja bereits verstärkt auf Elektroantriebe gesetzt. Bei Lastkraftwagen, Schiffen oder Flugzeugen bietet möglicherweise Wasserstoff eine geeignete Alternative zu fossilen Brennstoffen. Die größten CO2-Emissionen kommen jedoch von der fossilen Energieerzeugung und hier gilt es noch stärker auf erneuerbare Energien zu setzen. Möglichkeiten dazu gibt es genug. Wenn der Preis für grünen Strom stimmt, wird z. B. auch der Ausbau der Windkraft von der Bevölkerung akzeptiert. Auch frage ich mich, warum kaum ein öffentliches Gebäude oder Unternehmen Solarpanels auf dem Dach hat.

onemarkets: Geht es bei der Mobilitätswende auch um ökonomische Aspekte?

Latif: Ja, und dieser Punkt bereitet mir aus deutscher Sicht auch gewisse Sorgen. Der Markt ist gnadenlos. Wer nicht schnell genug ist bei den technischen Entwicklungen, wird abgehängt. Wenn etwa die deutschen Automobilhersteller nicht schnell genug massentaugliche E-Autos anbieten, werden das andere Länder tun und wir hierzulande werden Arbeitsplätze verlieren. Das gilt keineswegs nur für die Automobilhersteller und ihre Zulieferer, sondern auch für viele andere Branchen. Zugegeben, ich habe schon den Eindruck, dass die deutschen Autobauer die Zeichen der Zeit erkannt haben, allerdings geht es mir nicht schnell genug.

onemarkets: Und wie bewegen Sie sich fort?

Latif: Ich lebe teilweise Hamburg und besitze zwar ein kleines Auto. Allerdings benutze ich dort die meiste Zeit öffentliche Verkehrsmittel oder mein Fahrrad. Es gibt durchaus angenehme Arten, jenseits des Autos mobil zu sein. Ich genieße es, nicht Auto fahren zu müssen. Wer mit dem Fahrrad unterwegs ist, kennt keinen Stau und keine Parkplatzprobleme.

onemarkets: Viele Menschen befürchten durch Maßnahmen für mehr Klimaschutz (größere) Einschränkungen…

Latif: Der frühere Weltbank-Chefökonom Nicholas Stern hat 2006 in seinem Stern-Report darauf hingewiesen, dass der Klimawandel mittelfristig jährlich rund fünf Prozent des weltweiten BIP kosten kann, wenn nichts unternommen wird. Es könnte gar eine weltweite Rezession drohen. In diesem Fall wären die Einschränkungen für alle deutlich spürbar. Es geht allerdings auch ohne deutliche Einbußen. Man kann beispielsweise festhalten, dass der CO2-Ausstoß weltweit seit 1990 um 60 Prozent gestiegen ist, während er in Deutschland in dieser Zeit um 40 Prozent sank. Das zeigt, dass Klimaschutz und Wohlstand keine Gegensätze sein müssen. Ich betone immer wieder, dass man keine Angst vor Klimaschutz haben muss. Einen wichtigen Punkt will ich auch noch erwähnen. Deutschland hat damit angefangen, die erneuerbaren Energien durch Förderungen bezahlbar zu machen und hat damit maßgeblich dazu beigetragen, dass sie inzwischen auf der ganzen Welt boomen. Mit Blick auf neue Mobilitätskonzepte sind andere Metropolen schon weiter als deutsche Städte. Städte wie London oder Oslo erheben längst eine Citymaut. Allerdings muss in solchen Fällen auch die entsprechende Infrastruktur wie Radwege etc. vorhanden sein. Dazu zählt beispielsweise für Pendler eine saubere und vor allem pünktliche Bahnverbindung mit Internetverbindung. Das ist in vielen Ländern längst Standard. Kein Mensch freut sich darüber, in der Früh im Stau zu stehen. Das heißt: Man muss das Angebot attraktiver machen. Dann wechseln die Leute von allein.

onemarkets: Herr Prof. Dr. Latif, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

Über Professor Dr. Mojib Latif, Seniorprofessor am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (GEOMAR):

Für seine wissenschaftlichen Arbeiten im Bereich der Meteorologie und Ozeanografie erhielt Prof. Dr. Latif zahlreiche Auszeichnungen wie den Deutschen Umweltpreis oder die Alfred-Wegener-Medaille der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft. Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden ist der gebürtige Hamburger durch seine Bücher wie „Heißzeit“ oder „Bringen wir das Klima aus dem Takt?“.

Lesen Sie zum Thema Klima auch unsere Titelgeschichte „Dicke Luft“.

Hinweis: Alle Meinungsaussagen oder Einschätzungen in diesem Interview geben die Einschätzung des Gesprächspartners wieder. Die hierin zum Ausdruck gebrachten Meinungen spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der UniCredit AG wider.

Bildnachweis: © Jan Steffen, GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (GEOMAR)

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