Die Zinsen steigen, die Kurse fallen. Ein
Sektor profitiert.
Die Abgehobene
Fangen wir mit einer Äußerlichkeit an. Einer
Äußerlichkeit, die allerdings in die Tiefe blicken lässt, in das
Herz der Europäischen Zentralbank (EZB). Die EZB ist eine
Institution, welche das Wohlergehen und Leben von 447 Millionen
Europäern direkt beeinflusst. Deren Chefin heißt Christine
Lagarde, und die kündigt jetzt Zinserhöhungen für den Euro an. Für
diese Ankündigung benötigte sie 2.283 Worte in einem Englisch
gehobener Komplikationsstufe. Normalerweise ist das kein Problem,
denn auf der Webseite der EZB kann man sich das Ganze per
Mausklick in eine der Amtssprachen der EU-Mitgliedsstaaten
übersetzen lassen. Nur: Die Worte von Christine Lagarde bleiben
auch nach dem magischen Klick ebenso ungerührt wie unübersetzt.
Die EZB-Chefin, Dienstsitz Frankfurt, verkündet also auf der
offiziellen Webseite der Zentralbank ihre Entscheidung
ausschließlich in der Sprache des Nicht-Mitglieds Großbritannien,
welches die EU mit Türenknallen – und einigen guten Gründen –
verlassen hat. Sie spricht in gehobenem Finanzenglisch – vorbei an
der Aldi-Kassiererin in Gladbeck, vorbei am Zimmerergesellen aus
Zandvoort und auch vorbei am Dachdecker aus Porto. Keiner von
ihnen, und so viele mehr, wird vielleicht die Geduld aufbringen,
der Dame 2.283 Englischworte lang zuzuhören.
So mag sich dem ein oder anderen der Eindruck einer gewissen
Abgehobenheit der EZB von den „Menschen da draußen in den Ländern”
aufdrängen. Eventuell legt Christine Lagarde auch keinen Wert auf
den Eindruck, den sie bei Normalbürgern hinterlässt? Gewählt wurde
sie von diesen Bürgern der Mitgliedsstaaten der EU ohnehin nicht.
Entsprechend kann sie von ihnen auch nicht abgewählt werden. Die
mächtigste Geldfrau des Kontinents, verantwortlich für den Wert
des Gemeinschaftsgeldes von 19 demokratischen Ländern Europas, ist
in dieses Amt in einem Entscheidungsprozess gelangt, den man wohl
nur komplett verstehen kann, wenn man ein Politikstudium mit
Schwerpunkt „Höherer Hinterzimmer-Machiavellismus“ absolviert hat.
Die folgende, in der Übersetzung nur 36 Worte kurze Passage des
Lagarde-Statements dürfte zentral sein: „Ich gehe davon aus, dass
die Nettokäufe im Rahmen des APP sehr früh im dritten Quartal
enden werden. Dies würde uns eine Anhebung der Zinssätze auf
unserer Sitzung im Juli ermöglichen, im Einklang mit unseren
Prognosen.” Selbst in diesen zwei Sätzen kommt sie nicht ohne das
Kürzel eines englischsprachigen Finanzfachwortes aus. APP bedeutet
Asset Purchase Programme. Seit dem September 2019 liegt der
EZB-Leitzins bei minus 0,5%. Erwartet wurde von der EZB, dass die
Inflation trotz ihres fröhlichen Gelddruckens auf wundersame Weise
bald wieder auf die EZB-Zielgröße von 2% zurückfallen werde.
Stattdessen stieg die Inflation immer schneller und immer höher.
Im April erreichte sie mit +7,4% einen neuen Rekordwert in der
Geschichte des Euro.
Der Bodenständige
Ein Freund klarer Worte ist dagegen James
Bullard, der Präsident der Federal Reserve Bank von St. Louis. Der
Mann ist einer der Berater von Jerome Powell, dem
US-amerikanischen Notenbankchef. Während Christine Lagarde eine
Zinserhöhung ankündigt, ist Bullard weiter. Er sieht zwar keinen
Grund dafür, den gerade eingeschlagenen Zinserhöhungskurs der Fed
schon wieder zu verlassen. Dennoch, so Bullard, mag es möglich
sein, sich bei weiteren Steigerungen des Leitzinses in der Zukunft
zurückzunehmen. „Ich habe gesagt, 50 Basispunkte sind ein guter
Plan für jetzt.” Und in 2023 und 2024 könne man weniger forsch
werden, da die Inflation unter Kontrolle komme.
Der Falke Bullard schlägt Taubentöne an. Auch seine Begründung ist
Klarsprech: „Eine Menge CEOs sagen, Oh, ich habe große
Preissetzungsmacht und ich kann tun, was immer ich will und ich
werde in der Lage sein, eine Menge Geld damit zu machen’. Aber ich
denke, einige von ihnen sind dabei, von den Konsumenten einen
Schlag ins Gesicht zu bekommen ”, denn die werden gar nicht daran
denken, überteuerte Waren und Dienstleistungen zu erstehen.
Äußerungen anderer Mitglieder des Fed-Boards deuten in eine
ähnliche, gemäßigte Richtung. So erwartet Esther George,
Fed-Leiterin Kansas City, dass ein Zins in der Nähe von 2% im
August vorläufig ausreichend sein könnte.
Die Börsianer
Was machen die Börsianer aus den Vorgaben?
Zunächst sind sie hin- und hergerissen. Montag stiegen die Kurse.
Dienstag, nach einem wenig verheißungsvollen Geschäftsausblick des
Snapchat-Anbieters Snap (WKN: A2DLMS), rauschten die Notierungen
vor allem von Tech-Aktien wieder herunter. Consumer- und
Energiewerte hielten sich trotz der Konjunktursorgen gut. Im
Moment drängen sich Neuengagements kaum auf. Zu unsicher ist die
Lage, zu viel Angst vor einer Rezession als Folge des
Zinserhöhungszyklus’ ist im Spiel. Bis in den Juni hinein mag das
so bleiben. Dann tagt die Fed. Auch sie wird das Kursdesaster der
letzten Wochen registriert haben, auch sie wird keine Rezession
„herbeizinsen“ wollen. Gefragt ist eine balancierte Entscheidung,
welche eine Rezession vermeidet und gleichzeitig die Inflation im
Zaum hält. Es ist eine fast unmögliche Aufgabe.
Die Deutsche Bank
Steigende Zinsen sind für Banken ein
Lebenselixier, denn der Zins gehört zum Kern ihres
Geschäftsmodells. Börsianer, auf der Suche nach Renditechancen in
einem Börsenmeer von rückläufigen Geschäften, werden sich im
Bankensektor umschauen. Es gibt Entdeckungen zu machen. Zum
Beispiel die Deutsche Bank (WKN: 514000): Unter der Ägide ihres
Aufsichtsratschefs Paul Achleitner wurde das Institut an der Börse
verprügelt. Doch Achleitner ist seit einigen Tagen Geschichte und
nun überblickt der Holländer Alexander Wynaendts die Geschicke des
Konzerns. Er kommt vom Versicherer Aegon, dem er einige schöne
Kursgewinne beschert hat.
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Ralf Flierl, Smart Investor |
Ralf Flierl ist Chefredakteur der Anlegerpublikation "Smart Investor".
Kritisch, unvoreingenommen, unabhängig, antizyklisch, sophisticated,
non-Mainstream.... kurz: smart - das sind die Attribute des im Mai 2003
eingeführten "Smart Investor" . Weitere Informationen sowie die Möglichkeit,
das Magazin kostenlos zu testen, finden Sie unter www.smartinvestor.de.
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