Zwischen Wirtschaftsflaute und Erbschaftsteuer-Debatte: Deutschlands Reformstau kostet Wachstum

Sachverständigenrat korrigiert Wachstumsprognose nach unten und kritisiert Missbrauch des Sondervermögens sowie überfällige Erbschaftsteuer-Reform.

Kurz zusammengefasst:
  • Nur 0,9 Prozent Wachstum für 2026 prognostiziert
  • Sondervermögen wird als Verschiebebahnhof missbraucht
  • Erbschaftsteuer-Reform für Millionenerben gefordert
  • Autozulieferer Mahle streicht 1.000 Verwaltungsjobs

Zwischen Wirtschaftsflaute und Erbschaftsteuer-Debatte: Deutschlands Reformstau kostet Wachstum

Guten Mittwochabend,

während die „Wirtschaftsweisen“ heute ihr Jahresgutachten präsentierten, wurde eines überdeutlich: Deutschland steckt nicht nur in einer Konjunkturflaute – es steckt in einem veritablen Reformstau. Die nüchternen Zahlen des Sachverständigenrats sprechen Bände: 0,2 Prozent Wachstum in diesem Jahr, magere 0,9 Prozent für 2026. Von einem Aufschwung keine Spur. Doch hinter diesen Zahlen verbirgt sich mehr als nur zyklische Schwäche. Es offenbart sich ein strukturelles Versagen, das von der halbherzigen Nutzung des 500-Milliarden-Sondervermögens bis zur längst überfälligen Reform der Erbschaftsteuer reicht.

Besonders brisant: Während die Politik mit dem Infrastruktur-Sondervermögen eigentlich Wachstumsimpulse setzen wollte, droht dessen Wirkung zu verpuffen – weil die Mittel als „Verschiebebahnhof“ missbraucht werden, um im Kernhaushalt Wahlgeschenke wie die Mütterrente zu finanzieren. Gleichzeitig fordern die Ökonomen eine grundlegende Neuordnung der Erbschaftsteuer, die derzeit ausgerechnet Millionenerben begünstigt. Ein Vorschlag, der politischen Sprengstoff birgt – und den eine der „Wirtschaftsweisen“ selbst ablehnt.

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Wachstumsprognose: Die Ernüchterung wird zur Gewohnheit

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – besser bekannt als die „Wirtschaftsweisen“ – hat seine Prognose für 2026 heute leicht nach unten korrigiert: Statt 1,0 Prozent erwarten die Ökonomen nun nur noch 0,9 Prozent Wachstum. Das klingt nach einer marginalen Anpassung, doch sie offenbart ein grundsätzliches Problem: Deutschland kommt einfach nicht in Schwung.

Nach einem Mini-Wachstum von 0,2 Prozent in diesem Jahr bleibt die Konjunktur auch 2026 weit hinter dem zurück, was die Bundesregierung erhofft. Finanzminister Christian Lindner (FDP) rechnet mit 1,3 Prozent – eine Zahl, die angesichts der Sachverständigen-Prognose zunehmend wie Wunschdenken wirkt. „Von einem breit angelegten Aufschwung ist auch 2026 nicht auszugehen“, stellen die Ökonomen nüchtern fest.

Die Gründe liegen auf der Hand: Die Investitionstätigkeit der Unternehmen bleibt gedämpft, weil Kapazitäten nicht ausgelastet sind und die Umsätze – sowohl im Inland als auch im Ausland – schwächeln. Die Teuerung dürfte zwar moderat bleiben (2,2 Prozent in 2025, 2,1 Prozent in 2026), doch das ist kaum mehr als ein schwacher Trost in einem Umfeld, das von Unsicherheit geprägt ist.

Sondervermögen als Mogelpackung: Wenn Investitionen zu Wahlgeschenken werden

Das 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaneutralität sollte Deutschlands Antwort auf jahrzehntelangen Investitionsstau sein. Brücken sanieren, Bahnstrecken modernisieren, Schulen renovieren, Unternehmen beim Klimaschutz unterstützen – und nebenbei die Konjunktur ankurbeln. Ein ambitioniertes Programm, das Bundestag und Bundesrat schuldenfinanziert auf den Weg gebracht haben.

Doch die Realität sieht anders aus. „Die Chancen, die sich aus dem Sondervermögen ergeben, dürfen nicht verspielt werden“, warnte Monika Schnitzer, Vorsitzende des Sachverständigenrats, heute. Die „Wirtschaftsweisen“ kritisieren scharf, dass das Sondervermögen zunehmend als „Verschiebebahnhof“ missbraucht wird: Im Kernhaushalt geplante Investitionen werden ins Sondervermögen geschoben – um im Kernhaushalt Spielraum für teure Wahlgeschenke zu schaffen.

Die Folge: Die Ökonomen erwarten, dass die aktuell geplanten Ausgaben des Sondervermögens nur eine „geringe positive Wirkung“ auf das Bruttoinlandsprodukt haben werden. Statt zusätzlicher Investitionen, die Wachstum generieren, droht eine Umverteilung, die weder die Infrastruktur nachhaltig stärkt noch die Konjunktur belebt. Besonders pikant: Zu den „fragwürdigen Maßnahmen“, die der Rat anprangert, zählen die Ausweitung der Mütterrente und die Anhebung der Pendlerpauschale – beides Projekte, die kurzfristig Wähler zufriedenstellen, langfristig aber wenig zur Modernisierung des Landes beitragen.

Die Botschaft der „Wirtschaftsweisen“ ist unmissverständlich: Wenn die Mittel des Sondervermögens vollständig für zusätzliche Ausgaben und echte Investitionen eingesetzt würden, wäre die Wirkung deutlich größer. Doch die „Zusätzlichkeit“ werde derzeit unterlaufen – ein politisches Versagen mit volkswirtschaftlichen Kosten.

Erbschaftsteuer-Reform: Millionenerben im Fokus – und eine „Weise“ rebelliert

Die zweite große Baustelle, die die „Wirtschaftsweisen“ heute aufmachten, ist die Erbschaftsteuer. Ihr Vorschlag: eine grundlegende Reform, die alle Vermögensarten gleichmäßiger besteuert. Denn aktuell werden vor allem Betriebsvermögen steuerlich stark begünstigt – mit dem Ziel, zu verhindern, dass Unternehmen aufgegeben werden müssen, weil die Erben die Steuerlast aus dem Privatvermögen nicht stemmen können.

Das Problem: Diese sogenannte Verschonungsregelung führt dazu, dass ausgerechnet sehr hohe Erbschaften und Schenkungen häufig vergleichsweise gering besteuert werden. „Wirtschaftsweiser“ Achim Truger kritisierte dies scharf und forderte, die Sonderregeln einzuschränken. Für Betriebsvermögen unter 26 Millionen Euro solle der Verschonungsabschlag erheblich reduziert werden. Für Betriebsvermögen über 26 Millionen Euro solle die sogenannte Verschonungsbedarfsprüfung ganz abgeschafft oder zumindest erheblich eingeschränkt werden. Stattdessen sollten großzügige Stundungsmöglichkeiten eingeführt werden, damit Betriebe nicht in Liquiditätsnot geraten.

Die Begründung: Die Vermögensungleichheit in Deutschland sei im europäischen Vergleich hoch. Der Anteil der Vermögen, der auf Erbschaften und Schenkungen zurückgeht, werde auf 30 bis 50 Prozent geschätzt. Eine Reform, so die Mehrheit des Rats, sei überfällig.

Doch nicht alle „Wirtschaftsweisen“ teilen diese Ansicht. Veronika Grimm schrieb in einem Minderheitsvotum, in der aktuellen Lage dürftiger privater Investitionsneigung eine höhere Besteuerung von Betriebsvermögen zu diskutieren, erscheine „fahrlässig“. Sie verwies darauf, dass selbst die Mehrheit des Rats einräume, es sei unklar, wie gravierend das Problem des Liquiditätsentzugs und damit verbundener Risiken für Investitionen und Beschäftigung sei.

Diese interne Uneinigkeit zeigt, wie politisch aufgeladen das Thema ist. SPD, Grüne und Linke haben bereits ähnliche Reformvorschläge vorgelegt – die Union lehnt sie ab, weil sie Unternehmen nicht ausreichend schützen würden. Weitere Reformideen setzen bei den Freibeträgen für Schenkungen an, die aktuell alle zehn Jahre erneut in Anspruch genommen werden können. Die „Wirtschaftsweisen“ schlagen stattdessen einen Lebensfreibetrag vor, der die Steuerlast ausschließlich von der Höhe des übertragenen Vermögens abhängig macht – und nicht mehr vom Zeitpunkt der Übertragung.

Ein noch für dieses Jahr erwartetes Urteil des Bundesverfassungsgerichts könnte die Bundesregierung zu einer schnellen Reform zwingen. Die Debatte dürfte also an Fahrt aufnehmen – und sie wird zeigen, ob Deutschland bereit ist, die Privilegien der Vermögenden anzutasten, um die Steuergerechtigkeit zu erhöhen.

Norwegen lehnt alleinige Absicherung des Ukraine-Kredits ab

Während Deutschland über Reformen debattiert, nimmt in Europa eine andere Diskussion Fahrt auf: die Finanzierung der Ukraine. Die EU ringt seit Monaten um einen Weg, eingefrorene russische Vermögen für einen Milliardenkredit an die Ukraine zu nutzen. Die Pläne sehen vor, in der EU festgesetztes Geld der russischen Zentralbank zu verwenden, um der Ukraine Darlehen in Höhe von bis zu 140 Milliarden Euro zu geben. Russland soll das Geld nur dann zurückbekommen, wenn es nach einem Ende seines Angriffskriegs Reparationszahlungen leistet.

Doch die Umsetzung hakt – und nun kommt ein weiteres Problem hinzu: Norwegen, die reiche Öl-Nation, schließt zwar eine Beteiligung an den Plänen nicht aus, will aber die Absicherung des Kredits nicht alleine schultern. Finanzminister Jens Stoltenberg, der frühere Nato-Generalsekretär, sagte vor Gesprächen mit der EU-Kommission in Brüssel, es gebe den Vorschlag, dass Norwegen für den gesamten Betrag als Garantiegeber auftrete. „Dies ist aktuell nicht vorgesehen“, stellte er klar.

Die norwegische Regierung lehnt es ab, den Kredit über den finanzstarken norwegischen Ölfonds abzusichern – einen der größten Staatsfonds der Welt mit einem Wert von umgerechnet knapp 1,8 Billionen Euro. Ministerpräsident Jonas Gahr Støre schob diesem Modell einen Riegel vor. Ob Norwegen einen Beitrag leisten könne, hänge davon ab, was die EU vorschlage, so Stoltenberg.

Die Blockade zeigt, wie schwierig es ist, die Finanzierung der Ukraine langfristig zu sichern. In der EU scheitert eine Einigung bislang an Belgien, das in den Plänen erhebliche Rechtsrisiken und negative Konsequenzen für noch in Russland tätige europäische Unternehmen sieht. Belgien ist ein zentraler Akteur, weil die russischen Gelder dort von dem Unternehmen Euroclear verwaltet werden.

Für die militärische und finanzielle Unterstützung der Ukraine wird in den kommenden beiden Jahren voraussichtlich ein dreistelliger Milliardenbetrag benötigt. Die Zeit drängt – doch die politischen Hürden bleiben hoch.

Mahle-Betriebsrat kämpft gegen Stellenabbau – und fordert einen Gesamtplan

Auch in der deutschen Industrie rumort es. Der Autozulieferer Mahle will weltweit 1.000 Stellen in der Verwaltung abbauen – die Hälfte davon in Deutschland, der größte Teil in der Stuttgarter Zentrale. Konzernchef Arnd Franz begründet die Maßnahme mit der schwachen Marktlage, dem Verbrenner-Aus, den US-Zölle und dem Wettbewerb mit China. Ziel: 150 Millionen Euro pro Jahr einsparen, ab kommendem Jahr.

Doch der Betriebsrat will den Abbau nicht ohne Weiteres hinnehmen. Gesamtbetriebsratschef Boris Schwürz sagte in Stuttgart, es sei einseitig, nur Einschnitte bei der Belegschaft zu fordern. Man habe in der Vergangenheit schon einen Beitrag geleistet, um die Kosten zu senken. Notwendig sei ein Fahrplan für den gesamten Konzern, um ihn für die Zukunft aufzustellen.

Schwürz monierte zudem, dass der Arbeitgeber entsprechende Gespräche über Kostensenkungen noch in diesem Jahr abschließen wolle – ein Zeitplan, den er für unrealistisch hält. Besonders kritisch sieht der Betriebsrat, dass Mahle Investitionen in Zukunftsprojekte aussetzen will. Mit der Elektromobilität werde zwar kein Geld verdient, aber dahin gehe langfristig der Umbau der Branche.

Nach Angaben des Betriebsrats soll zudem der Standort in Fellbach mit 165 Beschäftigten, der Produkte für den Motorsport herstellt, aufgegeben werden. Den Mitarbeitern sollen neue Arbeitsplätze in Rottweil oder Markgröningen angeboten werden. Eine Mahle-Sprecherin bestätigte, dass mit der Schließung von Fellbach Infrastrukturkosten im Produktionsnetzwerk eingespart und gleichzeitig andere Werke in Deutschland in deren Transformation unterstützt werden sollen.

Die Situation bei Mahle ist symptomatisch für die deutsche Automobilindustrie: Der Umbau hin zur Elektromobilität kostet Geld, bringt aber noch keine ausreichenden Erträge. Gleichzeitig drücken externe Faktoren wie US-Zölle und chinesischer Wettbewerb auf die Margen. Die Frage, die sich stellt: Wie viel Transformation kann die Branche stemmen, ohne ihre Substanz zu gefährden?


Die heutige Meldungslage zeigt ein Deutschland, das zwischen Reformstau und Realitätsverweigerung oszilliert. Die „Wirtschaftsweisen“ haben die Probleme klar benannt – doch ob die Politik den Mut hat, sie anzugehen, bleibt offen. Das Sondervermögen als Wachstumsmotor zu nutzen, statt als Wahlkampf-Instrument zu missbrauchen, wäre ein Anfang. Die Erbschaftsteuer zu reformieren, um Gerechtigkeit und Investitionsanreize in Einklang zu bringen, wäre ein weiterer Schritt. Und die Industrie beim Umbau zu unterstützen, statt sie allein zu lassen, wäre eine Notwendigkeit.

Die kommenden Monate werden zeigen, ob Deutschland die Kurve kriegt – oder ob die Wachstumsschwäche zur Gewohnheit wird. Fest steht: Die Zeit für halbherzige Lösungen läuft ab.

Einen nachdenklichen Abend wünscht Ihnen

Eduard Altmann

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