Liebe Leserinnen und Leser,
4,3 Prozent. Diese Zahl übertönte heute Nachmittag jedes vorweihnachtliche Glockeläuten. Während der Frankfurter Handel sich mental bereits unter den Tannenbaum verabschiedet hat und der DAX lustlos um die 24.300-Punkte-Marke pendelte, lieferte die US-Wirtschaft ein Datenfeuerwerk, das sämtliche Rezessions-Theorien pulverisiert.
Wir erleben an diesem vorletzten Handelstag vor dem Fest ein faszinierendes Phänomen: Die amerikanische Realwirtschaft brummt so laut wie seit zwei Jahren nicht mehr, doch die Börsen reagieren verschnupft. Die perverse Logik der Märkte schlägt wieder zu: Exzellente Konjunkturdaten sind schlechte Nachrichten für all jene, die ihr Portfolio auf rasche Zinssenkungen der Federal Reserve ausgerichtet haben.
Doch schauen wir genauer hin. Der Markt hat uns heute – einen Tag vor Heiligabend – noch einige Geschenke (und eine Rute) unter den Baum gelegt.
Der amerikanische Muskel
Die US-Wirtschaft ist im dritten Quartal um annualisiert 4,3 Prozent gewachsen. Analysten hatten lediglich mit 3,3 Prozent gerechnet. Das ist kein statistisches Rauschen, das ist eine ökonomische Machtdemonstration. Der Motor dieses Wachstums ist einmal mehr der amerikanische Verbraucher: Die Konsumausgaben legten um 3,5 Prozent zu. Weder Inflation noch politische Unsicherheit scheinen der Kauflaune etwas anhaben zu können.
Für Anleger ergibt sich daraus ein Dilemma. Einerseits zieht die US-Lokomotive die Weltwirtschaft mit – eine gute Nachricht für deutsche Exporteure. Andererseits erstickt diese Robustheit die Hoffnung auf billiges Geld. Die Wall Street reagierte prompt mit einer Vollbremsung; der Dow Jones gab im frühen Handel nach. Das Kalkül der Händler ist simpel: Wenn die Wirtschaft derart heiß läuft, fehlt der Notenbank jedes Argument, den Geldhahn schnell wieder aufzudrehen. Hinzu kommt das Damoklesschwert eines möglichen „Government Shutdowns“, das nun über dem vierten Quartal schwebt.
Die Tablette, die Milliarden wiegt
Während die Makro-Daten die Stimmung dämpften, sorgte eine Unternehmensmeldung aus Kopenhagen für Euphorie. Novo Nordisk ist der nächste große Wurf gelungen: Die US-Gesundheitsbehörde FDA hat heute die orale Version des Abnehm-Blockbusters Wegovy zugelassen.
Das ändert die Spielregeln massiv. Bislang war die Spritze die Hürde für viele Patienten; die Tablette senkt diese Barriere nun auf Null. Die Aktie der Dänen schoss in der Spitze um 10 Prozent nach oben. Novo sichert sich damit einen entscheidenden zeitlichen Vorsprung („First Mover“) gegenüber dem Erzrivalen Eli Lilly, dessen orale Alternative noch auf sich warten lässt.
Bemerkenswert ist das politische Fingerspitzengefühl der Dänen: Die Startdosis soll ab Januar 2026 für 149 US-Dollar im Monat erhältlich sein. Ein aggressiver Preispunkt, der offensichtlich darauf ausgelegt ist, Kritik der kommenden Trump-Administration präventiv den Wind aus den Segeln zu nehmen. Für Novo-Aktionäre könnte dies die langersehnte Trendwende nach einem volatilen Jahr sein.
Stuttgarter Schlussstrich
Ein gänzlich anderes Kapitel wird in Stuttgart geschlossen. Mercedes-Benz kauft sich frei. Der Konzern zahlt in den USA rund 120 bis 150 Millionen Dollar, um den zermürbenden Diesel-Streit mit diversen US-Bundesstaaten beizulegen.
Mancher mag bei der Summe zusammenzucken – die Gesamtkosten für den Diesel-Komplex in den USA summieren sich mittlerweile auf über 2 Milliarden Euro. Doch an der Börse überwiegt die Erleichterung, auch wenn die Aktie heute im roten Bereich notierte. Dieser Vergleich räumt die letzten großen juristischen Minenfelder ab. Es ist ein teurer Frieden, aber er erlaubt CEO Ola Källenius endlich, den Blick stur nach vorne zu richten: weg vom Auspuff, hin zur Software.
Goldrausch und Krypto-Zittern
Ein Blick auf die Alternativen zum Aktienmarkt zeigt eine historische Divergenz. Was wir gestern bereits andeuteten, setzt sich heute mit brachialer Gewalt fort: Der Goldpreis kennt kein Halten mehr. Das Edelmetall markierte heute sein 50. Allzeithoch in diesem Jahr und kratzte zeitweise an der Marke von 4.500 US-Dollar. Auch Silber nähert sich der 70-Dollar-Schwelle.
Es ist die ultimative Flucht in Sachwerte. Gold steuert auf die beste Jahresperformance seit 1979 zu – getrieben von der Sorge, dass die Staatsschulden außer Kontrolle geraten.
Ganz anders die Stimmung beim „digitalen Gold“. Nachdem Bitcoin gestern noch kurzzeitig die 90.000er-Marke zurückerobert hatte, folgte heute die Ernüchterung: Der Kurs rutschte unter 88.000 Dollar. Hier regiert die Angst vor dem Kalender. Am 26. Dezember laufen Optionskontrakte in historischer Größe aus (über 23 Milliarden Dollar). Die großen Adressen („Wale“) scheinen Kasse zu machen, während Kleinanleger zittern. Der „Fear & Greed Index“ signalisiert extreme Angst. Viele wollen ihre Gewinne aus dem Krypto-Jahr 2025 offenbar noch vor dem Fest ins Trockene bringen.
Was das für uns bedeutet
Der DAX hat sich heute mit einem minimalen Plus von 0,1 Prozent auf 24.313 Punkte in die Feiertage verabschiedet. Die Bücher werden geschlossen. Doch die heutigen Nachrichten aus den USA sind ein Warnschuss: 2026 wird kein ruhiges Fahrwasser. Eine boomende US-Wirtschaft bei gleichzeitigem Regulierungs-Chaos und geopolitischen Spannungen garantiert uns auch im neuen Jahr hohe Volatilität.
Für den Moment aber gilt: Die US-Wirtschaft stürzt nicht ab, die deutsche Industrie erhält Gnadenfristen (siehe die heute verlängerte Beschäftigungsgarantie für PCK Schwedt bis Mitte 2026), und medizinischer Fortschritt lässt sich weiterhin in Rendite verwandeln.
Ich werde die kommenden Feiertage nutzen, um nicht auf Bildschirme, sondern in Gesichter zu schauen. Ich hoffe, Sie tun es mir gleich.
Herzliche Grüße aus der Redaktion,
Ihr
Eduard Altmann
