Wien (www.aktiencheck.de) - Nach der Übermittlung der Antwort Ungarns auf die drei von der EU-Kommission eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren an die Brüsseler Behörde sind nun Taten der Regierung gefordert: Dabei geht es um die Unabhängigkeit der Zentralbank, der Datenschutzbehörde und der Justiz, so Ronald Schneider, Leiter der Abteilung Global Emerging Markets und Eastern Europe (Fixed Income) bei Raiffeisen Capital Management.
Budapest betone zwar, dass Ungarn sich den Europäischen Werten verpflichtet fühle und den Dialog mit allen EU-Institutionen weiterführen möchte, den Lippenbekenntnissen müssten nun aber rasch konkrete Schritte folgen. Ansonsten drohe dem Land nicht nur eine weitere Isolation innerhalb der Europäischen Union; IWF, Weltbank und EU würden auch die Verhandlungen um zusätzliche Hilfszahlungen boykottieren. Ein Szenario, das sich die zunehmend an Popularität verlierende Regierung um Viktor Orbán eigentlich nicht leisten könne, auch wenn das Land aktuell ein freundliches Umfeld für die Ausgabe seiner Staatspapiere vorfinde und sich so kurzfristig selbst finanzieren könne.
Sollten die Ungarn im Vertragsverletzungsverfahren einlenken und Verhandlungen für zusätzliche Hilfsgelder starten, seien diese mit etlichen Hürden versehen. Denn Ungarn halte sich nach Ansicht der Geldgeber nicht in ausreichendem Maß an den vereinbarten Stabilitätspakt: Die von beiden Seiten ermittelten Zahlen für das prognostizierte Budgetdefizit würden nicht zusammenpassen. Während Ungarn behaupte, die vorgegebenen 3% einhalten zu können, würden die Berechnungen der Geldgeber ein anderes Bild ergeben.
Hinzu komme, dass die mit Jahresbeginn 2011 eingeführte und im vergangenen November gegen den Rat des EU-Kommissionspräsidenten Barroso auch im Verfassungsgesetz festgeschriebene Flat tax von 16% große Löcher ins Budget reiße. Ihre Abschaffung oder Änderung sei nun nur durch eine parlamentarische Zweidrittelmehrheit möglich, was den Handlungsspielraum weiter einschränke. Insgesamt würden Kommission und IWF wenig Kompromissbereitschaft zeigen, was Ihre Hilfszahlungen betreffe. Zahlungsaussetzungen stünden bereits im Raum.
Dennoch sei davon auszugehen, dass sich Ungarn am Ende mit seinen Geldgebern einigen werde, da dies der einzig gangbare Weg zu einer nachhaltigen Lösung sei und der hohe Rückzahlungsbedarf an EU, IWF und Weltbank kaum eine andere Möglichkeit zulasse. Erste Signale zu mehr Kooperationsbereitschaft seien seitens der Regierung bereits erkennbar: In der Debatte um die Zusammenlegung von Notenbank und Finanzmarktaufsichtsbehörde habe Ungarn inzwischen zurückgezogen. Und auch bei den Fremdwährungskrediten scheine nach längerem Tauziehen zwischen internationalen Banken und Regierung nun (mit der Aufteilung der Umwandlungskosten sowie der Ausgabe von Mortgage Bonds) eine Lösung gefunden worden zu sein, die für alle Beteiligten vertretbar sei und die den Standort Ungarn für internationale Banken wieder festige.
Zusätzlich habe Ungarn begonnen, sein Budget zu konsolidieren, treffe aber auf ein denkbar ungünstiges Marktumfeld, denn die ungarische Wirtschaft sei im Unterschied zu Polen sehr stark von Exporten abhängig: Trübe sich die Wirtschaftsleistung der EU-Kernländer ein, würden zum schwachen Inlandskonsum auch rückläufige Exportzahlen kommen. Darüber hinaus hätten Wachstumsförderungsprogramme wie die Flat tax ihre Ziele verfehlt und die hohe Staatsverschuldung enge den Spielraum der Regierung zusätzlich ein.
Sollte es der Europäischen Union mit den jüngsten Maßnahmen in Zusammenhang mit Griechenland nun nachhaltig gelingen, die europäische Staatsschuldenkrise in den Griff zu bekommen, stünden die Chancen, einer massiven europaweiten Rezession auszuweichen, gut. Das würde Risikoprämien vom Markt nehmen und auch der ungarischen Wirtschaft wieder Impulse verleihen.
In den kommenden Wochen dürften Forint sowie ungarische Anleihen recht volatil bleiben. (Ausgabe Februar 2012) (22.02.2012/ac/a/m)