Liebe Leserinnen und Leser,
über den Handelsräumen liegt jene besondere Stille, die selbst die hektischsten Algorithmen nicht durchbrechen können. Während in Frankfurt die Bildschirme längst dunkel sind und die Händler in den familiären „Weihnachtsfrieden“ entlassen wurden, lieferte die Wall Street an diesem verkürzten Handelstag noch ein Finale, das symbolträchtiger kaum sein könnte.
Es ist eine Bescherung der Extreme. Auf der einen Seite sehen wir historische Rekorde bei den klassischen Werten, auf der anderen Seite eine tiefe gesellschaftliche Kluft, die sich hinter den glänzenden Fassaden der Makrodaten auftut. Werfen wir, bevor auch wir die Bücher schließen, einen Blick auf die Geschenke unter dem globalen Wirtschaftsbaum – manche glänzen golden, andere liegen schwer im Magen.
Wachstum ohne Wohlfühlfaktor
Gestern berichteten wir an dieser Stelle über die gewaltigen 4,3 Prozent Wachstum der US-Wirtschaft. Eine Zahl, die auf dem Papier nach Champagnerlaune aussieht. Doch heute, am Heiligen Abend, lohnt der Blick hinter die Kulissen dieses Booms. In den USA macht ein neues Wort die Runde: „Vibecession“.
Es beschreibt ein ökonomisches Schisma: Die Daten sind exzellent, aber die Stimmung ist im Keller. Das Verbrauchervertrauen sinkt nun schon den fünften Monat in Folge. Der Grund liegt im Warenkorb des Alltags. Während Tech-Portfolios durch die Decke gehen, fressen die Preise für Grundnahrungsmittel die Lohnzuwächse der breiten Masse auf. Hackfleisch ist um 15 Prozent teurer geworden, Strom um 7 Prozent.
Wir erleben eine klassische K-förmige Realität: Wer Assets besitzt, feiert ein goldenes Fest. Wer von Gehaltsscheck zu Gehaltsscheck lebt, spürt von den 4,3 Prozent nichts außer dem Inflationsdruck, der sich hartnäckig bei 2,7 bis 2,8 Prozent hält. Für die Fed bedeutet das: Die Zinsbremse bleibt wohl auch 2026 fester angezogen, als es den Märkten lieb ist.
Goldene Rekorde, müde Coins
Apropos Assets: Wer auf das älteste Wertaufbewahrungsmittel der Menschheit gesetzt hat, findet heute das glänzendste Geschenk unter dem Baum. Gold hat an diesem 24. Dezember Geschichte geschrieben und die psychologisch wichtige Marke von 4.500 US-Dollar je Feinunze durchbrochen. Auch Silber zieht mit und nähert sich der 72-Dollar-Schwelle.
Es ist die Flucht in die ultimative Sicherheit, getrieben von geopolitischer Unruhe und der Wette auf das Zinsjahr 2026. Mit einer Jahresperformance von fast 70 Prozent steuert das Edelmetall auf das beste Jahr seit 1979 zu.
Der Kontrast zum „digitalen Gold“ könnte heute kaum schärfer sein. Während das physische Metall glänzt, wirkt der Krypto-Sektor müde. Bitcoin kämpft mit der 87.000-Dollar-Marke und muss Federn lassen. Die massiven Abflüsse aus den ETFs in den letzten Tagen sprechen eine deutliche Sprache: Institutionelle Anleger nehmen vor dem Fest lieber echte Gewinne mit, als auf digitale Versprechen zu hoffen.
Tim Cooks 3-Millionen-Signal
Ein bemerkenswertes Signal sendete heute Morgen einer der mächtigsten Manager der Welt. Tim Cook, Apple-CEO und Nike-Aufsichtsrat, hat privat in die Tasche gegriffen und Nike-Aktien im Wert von rund 3 Millionen Dollar gekauft.
Das Timing ist kein Zufall. Der Sportartikelgigant hatte zuletzt mit schwächelnden Zahlen und dem China-Geschäft zu kämpfen. Wenn ein Insider von Cooks Kaliber genau jetzt seinen Anteil verdoppelt, ist das mehr als Portfolio-Kosmetik. Es ist ein massiver Vertrauensbeweis in die Turnaround-Strategie des neuen CEO Elliott Hill. An der Börse gilt noch immer die alte Weisheit: Insider verkaufen aus vielen Gründen, aber sie kaufen nur aus einem. Die Aktie reagierte prompt mit einem Freudensprung.
Unruhe kennt keine Feiertage
Dass die Welt sich auch an Weihnachten weiterdreht – und zwar nicht immer friedlich –, zeigen zwei Meldungen, die wir noch auf dem Radar haben sollten:
- Karibik-Krimi: Die US-Küstenwache liefert sich ein Katz-und-Maus-Spiel mit dem Tanker „Bella 1“, der Verbindungen nach Venezuela haben soll. Die Gangart Washingtons verschärft sich; passend dazu hat die Trump-Administration den Rückruf zahlreicher Botschafter angeordnet. Der Ölmarkt registriert diese neue Härte sehr genau.
- Römisches Veto: Mitten in den KI-Hype platzt die italienische Wettbewerbsbehörde. Sie hat Meta vorläufig untersagt, KI-Chatbots in WhatsApp zu integrieren, sofern diese Wettbewerber ausschließen. Ein Vorgeschmack auf 2026: Der Kampf zwischen US-Tech-Ambitionen und europäischer Regulierung geht in die nächste Runde.
Quintessenz
Was nehmen wir mit in die Feiertage? Eine Weltwirtschaft, die robuster ist als gedacht, aber sozial fragiler, als die Indizes vermuten lassen. Die Liquidität dünnt aus, die geopolitischen Risiken bleiben virulent.
Der DAX hat sich gestern versöhnlich verabschiedet. Nutzen wir diese Pause. Die Kurse stehen still, die Ticker schweigen. Es ist Zeit, den Fokus auf jene Dinge zu legen, die keine Rendite abwerfen, aber unbezahlbar sind.
Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien ein frohes, friedliches Weihnachtsfest und erholsame Feiertage. Wir lesen uns wieder, wenn die Märkte ihre Tore öffnen.
Herzlichst,
Ihr
Eduard Altmann
