Guten Abend,
während in Europa die Lichter der Vorweihnachtszeit angehen, flackern an den Finanzmärkten die Warnlampen. Die US-Notenbank könnte ihre Zinssenkungspläne überdenken, Saudi-Arabien dreht Hochqualifizierten den Geldhahn zu, und im Nahen Osten zeigt sich, wie fragil selbst von Washington orchestrierte Friedenspläne sein können, wenn innenpolitischer Druck aufkommt.
Was diese scheinbar disparaten Entwicklungen verbindet? Sie alle zeigen, wie schnell sich wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen ändern können – und wie Anleger, Unternehmen und Regierungen darauf reagieren müssen. Ein Blick auf die wichtigsten Entwicklungen der Woche.
Netanjahus gefährlicher Balanceakt: Wenn Friedenspläne zur Regierungskrise werden
Benjamin Netanjahu steckt in der Klemme. Zwei Tage nachdem die USA und muslimische Staaten einen UN-Resolutionsentwurf unterstützt hatten, der Donald Trumps Gaza-Friedensplan billigt – inklusive eines möglichen Wegs zur palästinensischen Eigenstaatlichkeit –, musste Israels Premierminister am Sonntag Schadensbegrenzung betreiben. „Unsere Ablehnung eines palästinensischen Staates auf irgendeinem Territorium hat sich nicht geändert“, stellte er klar.
Der Grund für diese eilige Klarstellung: Seine rechtsextremen Koalitionspartner Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich liefen Sturm. Ben-Gvir drohte gar mit dem Ausstieg aus der Regierungskoalition – was Netanjahus ohnehin wackelige Regierung weit vor der für Oktober 2026 angesetzten Wahl zu Fall bringen könnte.
Die wirtschaftliche Dimension dieser politischen Achterbahnfahrt ist erheblich. Der im Oktober in Kraft getretene Waffenstillstand, der den zweijährigen Gaza-Krieg beendete, sollte nicht nur humanitäre Erleichterung bringen, sondern auch wirtschaftliche Stabilität in eine Region zurückbringen, deren Konflikte Ölmärkte, Handelsrouten und Investitionsströme beeinflussen. Trumps „Board of Peace“-Plan sieht eine Übergangsverwaltung für Gaza vor, die sich um Wiederaufbau und wirtschaftliche Erholung kümmern soll – ein potenziell milliardenschweres Unterfangen.
Doch wenn innenpolitische Turbulenzen in Israel den Friedensprozess gefährden, könnte die erhoffte Stabilisierung ausbleiben. Für europäische Unternehmen, die auf verlässliche Lieferketten und stabile Energiepreise angewiesen sind, bleibt der Nahe Osten damit ein Unsicherheitsfaktor – auch wenn die akuten Kampfhandlungen vorerst ruhen.
Fed-Wende? Wenn Zentralbanker plötzlich auf die Bremse treten
Noch vor wenigen Wochen schien die Richtung klar: Die US-Notenbank hatte im September und Oktober die Zinsen gesenkt, und die Märkte preisten eine weitere Senkung im Dezember mit hoher Wahrscheinlichkeit ein. Doch am Freitag drehte die Stimmung. Plötzlich gaben Terminmarkt-Händler einer Zinspause eine 60-prozentige Chance – noch 24 Stunden zuvor hatte das Verhältnis etwa fifty-fifty gestanden.
Was war passiert? Ein Trio von Fed-Vertretern – Jeffrey Schmid aus Kansas City, Lorie Logan aus Dallas und Beth Hammack aus Cleveland – äußerte sich skeptisch über weitere Zinssenkungen. „Es ist nicht offensichtlich, dass die Geldpolitik gerade mehr tun sollte“, sagte Hammack. Logan formulierte es noch direkter: Es wäre schwer, eine weitere Zinssenkung zu unterstützen, es sei denn, es gäbe überzeugende Beweise, dass die Inflation schneller sinkt als erwartet.
Für europäische Anleger ist diese Entwicklung aus mehreren Gründen relevant. Erstens beeinflusst die Fed-Politik die Währungsrelation zwischen Dollar und Euro – ein stärkerer Dollar macht europäische Exporte wettbewerbsfähiger, verteuert aber Rohstoffimporte. Zweitens gibt die Fed-Haltung oft den Ton für andere Zentralbanken vor, auch wenn die EZB eigene Wege geht. Und drittens zeigt die Unsicherheit, wie schwierig die Gratwanderung zwischen Inflationsbekämpfung und Wachstumsunterstützung bleibt.
Interessant: Fed-Gouverneur Stephen Miran argumentierte im Gegensatz zu seinen Kollegen für eine weitere Zinssenkung – er teilt Donald Trumps Ansicht, dass die Zinsen viel zu hoch seien. Miran wird im Januar zu seinem Job als Wirtschaftsberater im Weißen Haus zurückkehren. Die Frage, ob die Fed ihre Unabhängigkeit unter politischem Druck bewahren kann, dürfte 2026 eine zentrale Rolle spielen.
Saudi-Arabiens Realitätscheck: Wenn Megaprojekte auf Sparflamme kochen
Die Zeiten, in denen ausländische Fachkräfte in Saudi-Arabien Gehaltsaufschläge von 40 Prozent oder mehr aushandeln konnten, sind vorbei. Das berichten vier Personalvermittler gegenüber Reuters. Die Gehaltsprämien, die noch vor wenigen Jahren Top-Talente ins Königreich lockten, schrumpfen dramatisch – ein Zeichen dafür, dass Saudi-Arabien seine wirtschaftliche Transformation neu kalibriert.
Der Hintergrund: Saudi-Arabiens Vision 2030, der ehrgeizige Plan zur Diversifizierung weg vom Öl, hatte einen enormen Bedarf an hochqualifizierten ausländischen Arbeitskräften geschaffen. Megaprojekte wie NEOM, eine geplante 500-Milliarden-Dollar-Zukunftsstadt in der Wüste, oder Trojena, ein Bergtourismus-Hub für die Asiatischen Winterspiele 2029, sollten das Königreich transformieren. Projektmanager aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, die dort 60.000 Dollar verdienten, bekamen in Saudi-Arabien Angebote über 100.000 Dollar.
Doch nun bremst die Realität. Niedrigere Ölpreise belasten die Staatsfinanzen – laut IWF braucht Saudi-Arabien Ölpreise nahe 100 Dollar pro Barrel, um seinen Haushalt auszugleichen. Die Projektaktivität stagniert: In den ersten neun Monaten 2025 halbierten sich die Auftragsvergaben nahezu. Der 925 Milliarden Dollar schwere Public Investment Fund, der die Megaprojekte finanziert, schwenkt um – weg von Infrastruktur und Immobilien, hin zu KI, Logistik und Bergbau.
Für die Weltwirtschaft bedeutet das: Ein wichtiger Wachstumsmotor im Nahen Osten verliert an Kraft. Europäische Bau- und Ingenieurfirmen, die auf lukrative Aufträge aus Riad gehofft hatten, müssen sich umorientieren. Gleichzeitig zeigt Saudi-Arabiens Kurswechsel, wie abhängig selbst ambitionierte Transformationspläne von Rohstoffpreisen bleiben – eine Lektion, die auch für andere ressourcenreiche Schwellenländer gilt.
Paradoxerweise profitieren davon die VAE: Das Emirat mit seinen etablierten internationalen Schulen, seiner liberaleren Gesellschaft und seiner 90-prozentigen Expat-Bevölkerung wird für Hochqualifizierte wieder attraktiver. Der Gehaltsunterschied zwischen Saudi-Arabien und den VAE ist auf nur noch 5 bis 8 Prozent geschrumpft.
Chile wählt – und zeigt Lateinamerikas Rechtsruck
Während in Europa die politische Mitte unter Druck gerät, vollzieht sich in Lateinamerika eine bemerkenswerte Verschiebung nach rechts. Am Sonntag wählten die Chilenen einen neuen Präsidenten – und die Ausgangslage deutet auf eine Abkehr von der linken Regierung Gabriel Borics hin.
Acht Kandidaten stehen zur Wahl, keiner dürfte die erforderlichen 50 Prozent plus eine Stimme im ersten Durchgang erreichen. Die letzten Umfragen – 15 Tage vor der Wahl wurden Erhebungen gesetzlich verboten – zeigten die kommunistische Regierungskandidatin Jeannette Jara knapp in Führung, gefolgt vom rechtsextremen Jose Antonio Kast. Die gemäßigt-konservative Evelyn Matthei, eine erfahrene Politikerin und ehemalige Bürgermeisterin, lag auf Platz drei.
Was diese Wahl so bemerkenswert macht: Chile galt noch vor wenigen Jahren als Vorreiter einer linken Welle in Lateinamerika. Soziale Proteste führten 2019 zu Verfassungsreformplänen, Gabriel Boric gewann 2021 mit einem progressiven Programm. Doch nun dominieren Kriminalität und Migration die Wahlkampfthemen – eine dramatische Verschiebung der Prioritäten.
Hinzu kommt: Erstmals seit langem gilt wieder Wahlpflicht für die 15,7 Millionen registrierten Wähler. Bei der letzten Wahl lag die Enthaltung bei 53 Prozent im ersten Wahlgang. Die nun mobilisierten, oft politisch apathischen Wähler könnten das Ergebnis unberechenbar machen – ähnliche Überraschungen gab es kürzlich in Argentinien, Bolivien und Ecuador.
Für Investoren ist Chile ein wichtiger Gradmesser: Als größter Kupferproduzent der Welt und relativ stabile Demokratie in der Region zieht das Land europäisches Kapital an. Ein Rechtsruck könnte die Wirtschaftspolitik marktfreundlicher gestalten – aber auch soziale Spannungen verschärfen.
Und sonst? Wenn Indien von Trumps Zoll-Kehrtwende profitiert
Nicht alle Trump-Entscheidungen sorgen für Kopfschütteln. Seine Freitagsentscheidung, Zölle auf mehr als 200 Lebensmittelprodukte zurückzunehmen, bringt indischen Exporteuren unerwartete Erleichterung. Während EU- und vietnamesische Lieferanten mit 15 bis 20 Prozent Zöllen kämpfen, hatten indische Tee-, Kaffee-, Gewürz- und Cashew-Exporteure besonders harte Schläge erlitten – Trump hatte die Zölle auf bestimmte indische Waren auf bis zu 50 Prozent verdoppelt.
Ajay Sahai vom indischen Exportverband FIEO schätzt, dass Exporte im Wert von 2,5 bis 3 Milliarden Dollar von der Befreiung profitieren. Doch Experten warnen vor überzogenem Optimismus: Hohe Frachtkosten, starke Konkurrenz aus Vietnam und Indonesien sowie strenge US-Qualitätsanforderungen dämpfen die Gewinnaussichten.
Die Entwicklung zeigt: In Trumps Handelspolitik ist nichts in Stein gemeißelt. Was heute als Strafzoll verhängt wird, kann morgen schon wieder kassiert werden – besonders wenn amerikanische Verbraucher über steigende Lebensmittelpreise klagen.
Was bleibt von dieser Woche? Die Erkenntnis, dass vermeintliche Gewissheiten schnell ins Wanken geraten können. Friedenspläne werden zur Regierungskrise, erwartete Zinssenkungen zur Zitterpartie, Gehaltsversprechen zur Makulatur. In einer Welt, in der politische Stimmungen kippen und wirtschaftliche Prioritäten sich verschieben, wird Flexibilität zur wichtigsten Währung.
In der kommenden Woche dürften nachgeholte US-Wirtschaftsdaten für Klarheit sorgen – nach dem wochenlangen Government Shutdown beginnen die Statistikämter wieder mit Veröffentlichungen. Und am 9. Dezember entscheidet die Fed, ob sie den hawkishen Tönen ihrer Vertreter folgt oder doch noch einmal senkt.
Bis dahin: Bleiben Sie wachsam, hinterfragen Sie Narrative – und vergessen Sie nicht, dass hinter jeder Wirtschaftsnachricht Menschen stehen, die Entscheidungen treffen müssen.
Einen besinnlichen Sonntagabend wünscht
Eduard Altmann
