Anleger picken sich wieder nur die Rosinen raus

Die Fed belässt den Leitzins trotz Wirtschaftsabschwächung und steigender Arbeitslosigkeitsrisiken. Anleger reagieren mit volatilen Märkten und selektiver Wahrnehmung positiver Nachrichten.

Kurz zusammengefasst:
  • Fed hält Leitzins unverändert trotz gemischter Wirtschaftsdaten
  • Anleger reduzieren Erwartungen für Zinssenkungen im Juni und Juli
  • Aktienmärkte reagieren volatil auf Fed-Entscheidung und Halbleiter-News
  • Gewinnerwartungen für S&P 500 werden deutlich nach unten korrigiert

Anleger picken sich wieder nur die Rosinen raus
von Sven Weisenhaus

Die US-Notenbank (Fed) hat vorgestern die Markterwartungen erfüllt. Der Leitzins bleibt unverändert und die abwartende Haltung wird beibehalten. Die Begründung dafür fand sich im schriftlichen Statement. Dort sind die beiden folgenden Sätze zu lesen:

  1. Obwohl Schwankungen bei den Nettoexporten die Daten beeinflusst haben, deuten aktuelle Indikatoren darauf hin, dass die Wirtschaftstätigkeit weiterhin solide wächst.
  2. Der Ausschuss ist sich der Risiken für beide Seiten seines Doppelmandats bewusst und ist der Ansicht, dass die Risiken höherer Arbeitslosigkeit und Inflation gestiegen sind.

Mit dem ersten Satz lässt sich begründen, warum es trotz des BIP-Rückgangs im 1. Quartal 2025 um -0,3 % im Vergleich zum Vorquartal (siehe „US-BIP: Aktienmärkte auf dem falschen Fuß erwischt“) keine Zinssenkung gegeben hat. Und gleiches gilt mit dem Verweis auf die Inflation im zweiten Satz. Dass zugleich die Risiken höherer Arbeitslosigkeit gestiegen sind, ist dagegen nicht Grund genug für eine Zinssenkung. Zumal sich in den aktuellen Daten noch keinerlei Abkühlung des Arbeitsmarktes ablesen lässt (siehe auch unten).

Marktreaktion: Volatile Kursschwankungen ohne klare Richtung

Überraschungen blieben also aus. Dennoch kam es, wie befürchtet (siehe vorgestrige Börse-Intern), zu volatilen Kursschwankungen an den Börsen. Der Dow Jones bewegte sich zum Beispiel in einer Range von mehr als 400 Punkten bzw. rund 1 % wild auf und ab. Die Anleger fanden aber keine klare Richtung, weil sie wohl nicht wussten, wie sie auf das Ergebnis letztlich reagieren sollten.

Zumindest gilt dies für den Aktienmarkt. Ansonsten wussten die Anleger sehr klar, was das bedeutet. Denn sie reduzierten die Wahrscheinlichkeit einer Zinssenkung im Juni von 30 % am Vortag auf nur noch aktuell 17 %.

Zugleich wird ein Zinsschritt nach unten Ende Juli nun mit einer Wahrscheinlichkeit von 53,8 % erwartet, nachdem er vor einer Woche noch als nahezu sicher galt.

Aber am Ende hat dies die Kauflaune der Bullen nicht trüben können. Wer braucht schon sinkende Zinsen, wenn sich die Wirtschaft weiterhin solide entwickelt, scheinen sie sich zu denken. Wenn sie sich da mal nicht täuschen. Fed-Chef Jerome Powell sagte jedenfalls, es sei nicht klar, ob die Wirtschaft ihr stetiges Wachstumstempo beibehalten oder unter der zunehmenden Unsicherheit und einem möglichen Inflationsanstieg leiden wird.

Anleger picken sich wieder die Rosinen raus

Trotzdem pickten sich die Bullen wieder die Rosinen aus den Nachrichten heraus. Denn als nach der Pressekonferenz der Fed gemeldet wurde, die US-Regierung wolle Exportrestriktionen für Halbleiter pausieren, machten die Aktienkurse einen kräftigen Satz nach oben. Der Nasdaq 100 stieg zum Beispiel um mehr als 200 Punkte bzw. 1,2 % binnen nur 2 Minuten.

Doch eigentlich ging es lediglich darum, Regelungen aus der Regierungszeit von Joe Biden zu überarbeiten und durch eigene zu ersetzen. Daher ruderten die Anleger auch zunächst wieder etwas zurück. Die Kurse blieben aber auf erhöhtem Niveau und legten anschließend wieder und weiter zu.

US-Arbeitsmarktbericht: +40.000 vs. -58.000 Stellen

Ähnliches ließ sich auch bereits zuvor beobachten, zum Beispiel zum US-Arbeitsmarktbericht vom vergangenen Freitag. Die Anleger bejubelten diesen mit steigenden Kursen, weil rund 40.000 Stellen mehr geschaffen wurden als erwartet. Analysten hatten im Durchschnitt mit 138.000 gerechnet, tatsächlich waren es 177.000.

Ignoriert wurde, dass zugleich die Werte der beiden Vormonate um insgesamt 58.000 nach unten revidiert wurden. – Verrückt!

Wie oft führen angekündigte Handelsabkommen zu steigenden Kursen?

Ebenso wird immer wieder mit steigenden Kursen auf Nachrichten zu möglichen Handelsabkommen gesetzt, obwohl diese bislang lediglich angekündigt wurden. Das war auch Donnerstagnacht (MESZ) wieder der Fall. US-Präsident Donald Trump kündigte in seiner typischen Art über seinen Social-Media-Account für den gestrigen Tag (um 10.00 Uhr amerikanischer Ostküstenzeit, 16.00 Uhr MESZ) eine Pressekonferenz im Weißen Haus an. Dabei werde es um ein „wichtiges Handelsabkommen mit Vertretern eines großen und hoch angesehenen Landes“ gehen. Der Deal werde „der erste von vielen“ sein, fügte er hinzu.

Die Aktienmärkte reagierten in der Folge – wie sollte es auch anders sein – mit deutlichen Kursgewinnen. Der Nasdaq 100 legte zum Beispiel binnen einiger Minuten um weitere fast 200 Punkte zu und baute das Plus im weiteren Verlauf kontinuierlich aus.

Währenddessen wurde bereits gemunkelt, es handele sich um ein Abkommen mit Großbritannien. Ob das allerdings den Handel derart belebt, dass der Anstieg der Kurse in diesem Maße gerechtfertigt wäre, muss jeder für sich beurteilen. Ich bin da eher skeptisch.

Zumal sich zunehmend die Frage stellt, wie oft die Anleger dieses Verhalten noch wiederholen wollen. Wie weit können die Kurse dadurch noch nach oben getrieben werden? Irgendwann wird auch das schönste und beste Handelsabkommen (um es mit Trumps Worten zu formulieren) nicht mehr das leisten können, was die Kurse bereits eingepreist haben.

Welchen Schaden richten derweil die Zölle an?

Zugleich wird ignoriert, welchen Schaden die aktuell noch geltenden neuen Zölle derweil anrichten. Die Unternehmen ziehen im Rahmen der laufenden Berichtssaison derzeit reihenweise ihre Prognosen zurück, weil sie keine Ahnung haben, wie sich ihre Geschäftszahlen zukünftig entwickeln werden. Andere Unternehmen reduzieren ihre Prognosen, weil sie es durchaus schon wissen.

Es gibt natürlich auch Unternehmen, die ihre Prognosen bestätigen oder gar anheben. Aber das Umfeld lässt sich insgesamt im optimistischsten Fall als „gemischt“ bezeichnen. Mit Blick auf die sinkenden Gewinnerwartungen der Analysten (siehe „Sind DAX-Werte nun die neuen Magnificent-7?“) ist es tatsächlich aber eher negativ. Und das ist nicht die beste Basis für stark steigende Aktienkurse (vorsichtig formuliert).

Trotzdem geht es an den Märkten aktuell schon wieder in hohem Tempo aufwärts. Denn ignoriert werden auch solche „Nebensächlichkeiten“ wie die Aussage von Trump, er sei nicht bereit, die US-Zölle auf chinesische Waren zu senken, um Peking an den Verhandlungstisch zu bringen. Anfang April hätte dies noch zu massiven Kurseinbrüchen an den Aktienmärkten geführt. Wie schnell sich die Zeiten an der Börse doch ändern – bzw. die Stimmung der Anleger.

Anleger wieder im Kaufrausch mit Scheuklappen

Die Börsen befinden sich also derzeit wieder in einem Kaufrausch, der sich durch scheinbar nichts aufhalten lässt. Das kennen wir ja bereits aus der Zeit vor dem kurzen „Zoll-Crash“ (KI- und „Magnificent-7“-Blase).

Getrieben werden die Kurse dabei vermutlich auch durch die positiven Ergebnisse der laufenden Berichtssaison zum 1. Quartal 2025. Denn die Erwartungen werden laut Daten von LSEG wieder einmal deutlich geschlagen.

Das gelingt allerdings auch nur, weil – wie üblich – im Vorfeld der Berichtssaison die Erwartungen kräftig nach unten geschraubt wurden, so dass die Latte für die Unternehmen wunderbar niedrig hängt.

Wie schlimm sind sinkende Gewinnerwartungen?

Vor diesem Hintergrund kann man allerdings natürlich auch erwarten, dass die Unternehmen des S&P 500 die sinkenden Gewinnerwartungen der Analysten für die weiteren 3 Quartale und das Gesamtjahr 2025 ebenfalls übertreffen werden, weshalb die Abwärtsrevisionen nicht so schlimm sind.

Wenn sich aber die Gewinnerwartungen für das 2. Quartal 2025 auf zuletzt nur noch +6,9 % (mehr als) halbieren, dann ist das schon ein Brett.

Zumal das gleiche auch für das 3. Quartal 2025 gilt.

Und auch für das 4. Quartal 2025.

Und wenn die Wachstumsraten dadurch nur noch im prozentual einstelligen Bereich liegen, auch für das Gesamtjahr 2025, dann stellt sich natürlich die Frage, ob ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von (wieder) über 20 noch angemessen ist.

Immerhin: 2026 sollen die Gewinne mit +13,7 % wieder prozentual zweistellig wachsen. Aber wer weiß, was bis dahin in Sachen Handelskonflikt passiert? Zur Erinnerung: Die „reziproken“ Zölle sind bislang nur bis zum 8. Juli 2025 ausgesetzt. Eigentlich wäre zu erwarten, dass die Kurse umso stärker den Rückzug antreten, je näher dieser Termin rückt.

Fazit

Fundamentale und charttechnische Entwicklungen klaffen wieder einmal stark auseinander. Die Unsicherheit ist – zumindest in der Wirtschaft – unglaublich hoch, wie die heterogenen Ergebnisse und Prognosen der laufenden Berichtssaison zeigen. Und gewöhnlich mögen die Börsen keine Unsicherheit – sie wird meist mit fallenden Kursen quittiert. Doch aktuell läuft eine Rally, als wäre die Börsenwelt rosarot. – Was für ein scheinbar endloser Börsenwahnsinn!

Ich wünsche Ihnen jedenfalls weiterhin viel Erfolg an der Börse
Ihr
Sven Weisenhaus

(Quelle: www.stockstreet.de)

Neueste News

Alle News

Autor

  • Sven Weisenhaus ist ein erfahrener Trader und Börsenanalyst, der sich bereits seit 1999 intensiv mit den Themen Wirtschaft und Finanzen auseinandersetzt. Sein besonderes Interesse gilt seit Beginn dem Börsenhandel, woraufhin er sich detailliert mit den täglichen Entwicklungen an den Finanzmärkten beschäftigt hat. Im Rahmen seines privaten Tradings handelt er mit Aktien, Zertifikaten und vor allem CFDs (Differenzkontrakte).

    Sein Fachwissen erweiterte er durch Studienabschlüsse als Betriebswirt (VWA), Diplom-Wirtschaftsinformatiker (FH) und Diplom-Kaufmann (FH).

    Bei seinen Analysen kombiniert er verschiedene Ansätze: Neben fundamentalen Daten fließen auch charttechnische Methoden und Aspekte der Sentimenttheorie ein. Diese umfassende Herangehensweise ermöglicht es ihm, präzise Prognosen für Einzelaktien, Indizes, Rohstoffe und Währungspaare zu erstellen, die häufig genau ins Schwarze treffen.

    Seine Erkenntnisse teilt Sven Weisenhaus regelmäßig als Redakteur in diversen Börsenpublikationen. Unter anderem verfasste er über mehrere Jahre einen spezialisierten Börsendienst, der auf der Elliott-Wellen-Theorie basierte. Im Dezember 2012 übernahm er den kostenlosen Börsendienst „Geldanlage-Brief“, der mittlerweile im Newsletter „Börse - Intern“ aufgegangen ist. Seit Anfang 2016 schreibt er diesen Dienst als Teil des Teams von www.stockstreet.de. Zusätzlich verfasst er für Stockstreet seit einigen Jahren Börsenbriefe wie den „Target-Trend-Spezial“, einen täglichen Chartanalyse-Dienst, der hauptsächlich den DAX, aber auch andere Basiswerte nach der "Target-Trend-Methode" untersucht. Mit seinem breiten Erfahrungsschatz und seinem analytischen Ansatz zählt Sven Weisenhaus zu den führenden Experten auf seinem Gebiet.

    Alle Beiträge ansehen