Liebe Leserinnen und Leser,
während die Märkte gespannt auf neue US-Arbeitsmarktdaten blicken, vollzieht sich hinter den Kulissen ein bemerkenswertes Drama. Die Zahlen mögen auf den ersten Blick beruhigend wirken – 147.000 neue Jobs, Arbeitslosigkeit bei 4,1 Prozent –, doch wer genauer hinschaut, entdeckt tiefgreifende Verwerfungen. Gleichzeitig eskaliert der Nahostkonflikt weiter, und in den Chefetagen der Notenbanken braut sich Ungemach zusammen. Lassen Sie mich heute die Puzzleteile für Sie zusammenfügen und zeigen, warum die scheinbare Ruhe trügerisch ist.
US-Arbeitsmarkt: Der schöne Schein trügt
Die Schlagzeilen klingen beruhigend: 147.000 neue Stellen im Juni, mehr als die erwarteten 110.000. Die Arbeitslosenquote sank auf 4,1 Prozent. Doch schauen wir genauer hin: Der Großteil der neuen Jobs entstand im öffentlichen Sektor, insbesondere im Bildungsbereich. Private Unternehmen halten sich mit Neueinstellungen zurück – ein Warnsignal, das viele übersehen.
Besonders alarmierend finde ich den dramatischen Anstieg der "entmutigten Arbeitsuchenden". Diese Menschen haben die Jobsuche aufgegeben und tauchen in keiner Statistik mehr auf. Gleichzeitig liegt der Diffusionsindex unter 50 – das bedeutet, dass weniger als die Hälfte der Branchen überhaupt noch Jobs schaffen. Die Konzentration auf wenige Sektoren macht den Arbeitsmarkt anfällig.
Was bedeutet das für uns in Europa? Die US-Schwäche könnte schneller über den Atlantik schwappen als gedacht. Schon jetzt zeigen sich erste Risse: Die deutschen Exporte in die USA schwächeln, und internationale Konzerne überdenken ihre Einstellungspläne. Wenn die weltweit größte Volkswirtschaft ins Straucheln gerät, bleiben wir nicht verschont.
Nahostkonflikt: Die humanitäre Katastrophe eskaliert
Während Politiker von Waffenstillständen träumen, sprechen die Zahlen eine erschreckende Sprache: 59 Tote allein am Donnerstag in Gaza, darunter 17 Menschen in einer Schule. Die Gesamtzahl der Opfer übersteigt mittlerweile 57.000. Hinter jeder Zahl steht eine menschliche Tragödie, die sich kaum in Worte fassen lässt.
Trump verkündet vollmundig, Israel habe seinen Bedingungen für einen Waffenstillstand zugestimmt. Doch die Realität sieht anders aus: Hamas fordert ein vollständiges Kriegsende, Israel besteht auf Entwaffnung. Diese Positionen sind unvereinbar. Die angebliche 60-Tage-Feuerpause wirkt wie ein Pflaster auf einer klaffenden Wunde.
Für die Märkte bedeutet diese Unsicherheit anhaltende Volatilität. Die Ölpreise reagieren nervös auf jede Nachricht aus der Region. Europäische Energieunternehmen kalkulieren bereits mit verschiedenen Szenarien. Sollte der Konflikt weiter eskalieren, drohen uns neue Energiepreisschocks – ein Déjà-vu, das niemand erleben möchte.
Notenbanker in Sintra: Existenzängste hinter verschlossenen Türen
Das jährliche Notenbankertreffen in Sintra offenbarte ungewöhnliche Töne. Statt über Inflationsbekämpfung diskutierten die Währungshüter über existenzielle Bedrohungen ihrer Macht. Trumps Attacken auf Powell, die drohende Privatisierung des Geldes durch Stablecoins – die Nervosität ist greifbar.
Besonders brisant: Zwei Drittel der befragten Notenbanker fürchten um die Unabhängigkeit der Fed. Powell beteuert zwar, man arbeite "100 Prozent unpolitisch", doch die Applausbekundung seiner Kollegen wirkt wie Pfeifen im dunklen Wald. Wenn die mächtigste Notenbank der Welt ihre Glaubwürdigkeit verliert, wankt das gesamte Finanzsystem.
Christine Lagarde warnte eindringlich vor der "Privatisierung des Geldes" durch Stablecoins. Ihre Befürchtung: Die Notenbanken verlieren die Kontrolle über die Geldmenge. Für uns Europäer bedeutet das: Die EZB könnte gezwungen sein, schneller als geplant einen digitalen Euro einzuführen – mit unabsehbaren Folgen für unser Bankensystem.
Handelskrieg reloaded: Vietnam als Blaupause?
Vietnam hat es geschafft: Statt der drohenden 46 Prozent Strafzölle muss das Land "nur" 20 Prozent zahlen. Der Deal zeigt Trumps Verhandlungsstrategie: Erst maximal drohen, dann gnädig nachgeben. Doch der Preis ist hoch – 40 Prozent auf Waren, die über Vietnam umgeleitet werden, treffen vor allem chinesische Exporteure.
Für Europa könnte Vietnam zur Blaupause werden. Die EU hofft auf ähnliche Zugeständnisse, doch Trump pokert hoch. Deutsche Autobauer zittern vor möglichen 25-Prozent-Zöllen. Die Zeit drängt: Nur noch wenige Tage bis zur Deadline am 9. Juli. Ich befürchte, Brüssel wird Zugeständnisse machen müssen, die unsere Wettbewerbsfähigkeit langfristig schwächen.
Besonders perfide: Die neuen Handelsabkommen schaffen ein Zweiklassensystem. Wer schnell verhandelt, kommt glimpflich davon. Wer zögert, zahlt die Zeche. Diese Salamitaktik untergräbt das multilaterale Handelssystem, das Europa jahrzehntelang gestärkt hat.
Tech-Sektor: Sanktionen aufgehoben, Unsicherheit bleibt
Überraschend hob Washington die Exportbeschränkungen für Chipdesign-Software nach China auf. Synopsys und Cadence Design Systems können aufatmen – vorerst. Doch die Geste wirkt wie ein taktisches Manöver im großen Technologiekrieg zwischen den Supermächten.
Die Aufhebung zeigt: Selbst die USA erkennen, dass vollständige Entkopplung illusorisch ist. Die Lieferketten sind zu verflochten, die Abhängigkeiten zu groß. Für europäische Tech-Unternehmen eröffnen sich Chancen, in die entstehenden Lücken zu stoßen. ASML könnte profitieren, wenn die Nachfrage nach Chip-Produktionsanlagen wieder anzieht.
Doch Vorsicht ist geboten. Die Sanktionspolitik bleibt ein Damoklesschwert. Was heute erlaubt ist, kann morgen verboten sein. Unternehmen brauchen Planungssicherheit, bekommen aber politisches Ping-Pong. Diese Unsicherheit lähmt Investitionen und Innovation.
Mein Fazit: Die Ruhe vor dem Sturm?
Liebe Leserinnen und Leser, die scheinbar positiven Arbeitsmarktzahlen können nicht darüber hinwegtäuschen: Wir steuern auf turbulente Zeiten zu. Die Risse im US-Arbeitsmarkt, der eskalierende Nahostkonflikt, die Identitätskrise der Notenbanken – all das deutet auf größere Verwerfungen hin.
Was bedeutet das für Ihr Portfolio? Diversifikation bleibt das Gebot der Stunde. US-Aktien würde ich untergewichten, europäische Qualitätstitel mit starker Marktposition bevorzugen. Gold gehört als Absicherung in jedes Depot. Bei Tech-Werten rate ich zur Selektion: Wer profitiert von der Neuordnung der Lieferketten?
Besonders gespannt bin ich auf die kommenden Tage. Die Handelsfrist läuft ab, neue Arbeitsmarktdaten stehen an, und in Nahost könnte jederzeit eine neue Eskalation drohen. Bleiben Sie wachsam und lassen Sie sich nicht von Schlagzeilen blenden. Oft verrät der zweite Blick mehr als der erste.
Eine Frage treibt mich um: Erleben wir gerade das Ende der Nachkriegsordnung, wie wir sie kannten? Die Anzeichen mehren sich. Umso wichtiger wird es, flexibel zu bleiben und alte Gewissheiten zu hinterfragen.
Bleiben Sie kritisch und vorbereitet,
Ihr Eduard Altmann