Liebe Leserinnen und Leser,
der Donnerstagnachmittag lädt oft zu einer ersten Bilanz der Woche ein, und während die globalen Märkte uns in diesen Tagen eine durchaus komplexe Mischung aus potenziellen Entspannungssignalen und wirtschaftlichen Realitäten präsentieren, kommt aus Deutschland selbst heute ein eher ernüchternder Befund: Die Steuerschätzungen bis 2029 wurden deutlich nach unten korrigiert. Ein Minus von über 80 Milliarden Euro insgesamt, davon allein über 33 Milliarden für den Bund. Das ist kein Pappenstiel und wirft natürlich sofort die Frage auf: Woher soll der Spielraum für dringend benötigte Investitionen und vielleicht auch Entlastungen kommen, wenn die Einnahmen sprudeln? Eine heimische Herausforderung, die den Blick auf die oft so verheißungsvolle internationale Bühne ein wenig erdet.
Handelsdiplomatie und Energiemarkt: Hoffnungsschimmer mit Fragezeichen
An den globalen Fronten sah es zuletzt ja etwas freundlicher aus. Der vielbeachtete 90-Tage-"Waffenstillstand" im Handelsstreit zwischen den USA und China hat die ärgsten Rezessionsängste etwas gedämpft. Die Zölle sind zwar nicht weg, aber reduziert, was kurzfristig Luft verschafft. Passend dazu auch die Meldungen, dass US-Präsident Trump Indien einen fast zollfreien Handel in Aussicht stellt und Japan weiter intensiv mit den USA verhandelt. Solche Signale sind Balsam für die exportorientierte deutsche Wirtschaft. Doch die APEC-Staaten warnen bereits vor einem erneuten Handelsstau durch Zölle, was zeigt, wie fragil die Lage bleibt. Und die Uhr tickt – 90 Tage sind schnell vorbei.
Parallel dazu sorgt ein möglicher Atom-Deal zwischen den USA und Iran für Bewegung, insbesondere am Ölmarkt. Die Aussicht auf zurückkehrendes iranisches Öl drückt die Preise – Brent und WTI gaben spürbar nach. Unterstützt wird dieser Trend durch überraschend gestiegene US-Rohöllagerbestände und die Prognose der Internationalen Energieagentur (IEA), die für den Rest des Jahres mit einem deutlich verlangsamten globalen Ölnachfragewachstum rechnet. Sinkende Energiepreise wären natürlich eine gute Nachricht für Verbraucher und viele Unternehmen. Doch auch hier gilt: Die Verhandlungen sind ein sensibles Gebilde, und die IEA sieht die nachlassende Nachfrage auch als Folge "gestiegener Handelsunsicherheit". Ein Kreislauf, der sich schwer durchbrechen lässt. Immerhin: Bei anderen Rohstoffen wie Aluminium könnte Chinas Produktionsdeckel die Preise stützen, was für manche Industriezweige wieder eine Belastung darstellt.
Konjunktur-Realitäten: Europas zarte Pflänzchen und US-Gemengelage
Wie steht es um die wirtschaftliche Substanz diesseits und jenseits des Atlantiks? Für die Eurozone gab es zuletzt einige ermutigende Daten: Das Wirtschaftswachstum im ersten Quartal wurde zwar leicht nach unten korrigiert (0,3% statt 0,4%), aber die Beschäftigung hält sich erstaunlich gut. Besonders erfreulich: Die Industrieproduktion im März legte deutlich stärker zu als erwartet, und auch die französischen Verbraucherpreise zeigten sich im April stabil. Das sind keine Jubelarien, aber doch Zeichen einer gewissen Widerstandsfähigkeit. Weniger erfreulich sind da natürlich die bereits erwähnten deutschen Steuermindereinnahmen, die Finanzminister Lars Klingbeil mit dem Wunsch nach mehr Wirtschaftswachstum kommentierte, um finanziellen Spielraum zu gewinnen.
Ein Blick nach Großbritannien offenbart ein gemischtes Bild: Das Wirtschaftswachstum im ersten Quartal übertraf die Erwartungen deutlich, und auch die Bauproduktion im März zeigte sich robust. Auf der anderen Seite enttäuschte jedoch die Industrieproduktion im selben Monat. Es bleibt eine Gratwanderung für die britische Wirtschaft. Interessant könnte die Entwicklung in Polen werden, wo die Zentralbank offenbar Zinssenkungen in Erwägung zieht – ein potenzieller Impuls für die dortige Wirtschaft und vielleicht auch für Nachbarregionen.
Und die USA? Dort sorgten die im April unerwartet gesunkenen Erzeugerpreise (PPI) für Aufsehen. Ein Minus von 0,5% statt des erwarteten Anstiegs deutet auf nachlassenden Inflationsdruck hin. Die US-Lagerbestände stiegen im März nur moderat, was auf eine robuste Nachfrage hindeuten könnte, während der Philadelphia Fed Manufacturing Index besser ausfiel als prognostiziert und die wöchentlichen Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe stabil blieben. Solide Daten, die aber durch die gesenkte Jahresprognose des Landmaschinenherstellers Deere etwas relativiert werden. Dessen Management verwies auf die Zurückhaltung der Farmer aufgrund hoher Zinsen und schwächerer Erntepreise – ein Mikrokosmos der aktuellen Herausforderungen.
Abseits der großen Linien: Zentralbank-Manöver und Krypto-Kapriolen
Was tut sich sonst noch in der Finanzwelt?
Die Zentralbanken bleiben im Fokus. Während Ruanda plant, seine Reserven durch Goldkäufe zu diversifizieren – ein Schritt, den auch andere Länder gehen –, ringt Japan mit steigenden Langfristzinsen und den Herausforderungen für die Tapering-Pläne der Bank of Japan angesichts der hohen Staatsverschuldung. In Australien dürfte die Reserve Bank of Australia (RBA) trotz eines robusten Arbeitsmarktes wohl die Zinsen senken. Ein interessanter Schachzug könnte sich bei den US-Banken anbahnen: Berichten zufolge erwägen die Regulierungsbehörden eine Lockerung der Kapitalanforderungen (Supplementary Leverage Ratio). Das könnte den Banken mehr Spielraum für Kredite geben, birgt aber potenziell auch neue Risiken.
Und die Kryptowelt? Bitcoin pendelt weiterhin um die Marke von aktuell gut 101.000 bis 102.000 Dollar, gestützt durch die etwas entspanntere Handelslage und die gesunkenen US-Erzeugerpreise. Der Börsengang der Handelsplattform eToro am Nasdaq verlief mit einem deutlichen Kursplus erfolgreich. Doch die Schattenseiten bleiben: Die Kryptobörse Coinbase meldete einen Cyberangriff mit einem potenziellen Schaden von bis zu 400 Millionen Dollar, was die Aktie unter Druck setzte. Einmal mehr eine Mahnung, dass in diesem Sektor Chancen und erhebliche Risiken eng beieinanderliegen. Die Expansion von Bybit nach Lateinamerika zeigt indes, dass der Wettbewerb und die globale Ausrichtung der Branche weiter zunehmen.
Mein Fazit: Die Kunst des Balanceakts
Dieser Donnerstag hinterlässt ein Gefühl der Ambivalenz. Globale Entspannungssignale, insbesondere im Handelsstreit und möglicherweise am Energiemarkt, stehen heimischen Herausforderungen wie den gesenkten deutschen Steuereinnahmen gegenüber. Die Konjunkturdaten aus Europa und den USA zeichnen kein einheitliches Bild heller Freude, aber auch keinen tiefschwarzen Pessimismus. Es ist ein Balanceakt für die Märkte und für uns als Beobachter.
Die deutschen Zahlen sind eine wichtige Erinnerung daran, dass wir trotz aller internationalen Verflechtungen unsere eigenen Hausaufgaben machen müssen. Starkes Wirtschaftswachstum, wie von Finanzminister Klingbeil gefordert, ist der Schlüssel, um finanziellen Spielraum zu schaffen. Doch wie erreicht man das in einem Umfeld globaler Unsicherheiten und struktureller Veränderungen?
Die kommenden Wochen werden zeigen, ob die aktuellen Entspannungssignale nachhaltig sind oder nur eine kurze Pause darstellen. Die Entscheidungen der Zentralbanken, die weitere Entwicklung an den Handelsfronten und natürlich die harten Konjunkturdaten werden die Richtung vorgeben.
Wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein? Überwiegt bei Ihnen die Hoffnung auf eine Stabilisierung oder die Sorge vor neuen Verwerfungen, gerade mit Blick auf die heimische Situation?
Ich wünsche Ihnen einen erkenntnisreichen Rest der Woche und einen guten Start ins Wochenende!
Herzlichst,
Ihr Eduard Altmann