Liebe Leserinnen und Leser,
Freitagnachmittag, und die Welt hält den Atem an. Die Nachrichten aus dem Nahen Osten überschlagen sich: Israel hat nach eigenen Angaben massive Schläge gegen den Iran geführt, Nuklearanlagen und Militärziele attackiert, hochrangige Kommandeure getötet. Teheran schwört Vergeltung. Dies ist nicht nur ein weiterer regionaler Konflikt – es ist ein Funke, der das globale Pulverfass zur Explosion bringen könnte. Die Märkte reagieren bereits mit aller Härte: Der Ölpreis schießt in die Höhe, Gold glänzt als Krisenwährung, und die Aktienkurse gehen auf Talfahrt. Was bedeutet diese dramatische Zuspitzung für uns, für unsere Wirtschaft, für unsere Anlagen? Lassen Sie uns gemeinsam versuchen, in diesen turbulenten Stunden einen kühlen Kopf zu bewahren und die Lage einzuordnen.
Ölpreis-Explosion und Gold-Rallye: Die Nervosität ist greifbar
Die unmittelbare Reaktion an den Rohstoffmärkten spricht Bände. Der Ölpreis sprang heute um über sieben Prozent in die Höhe, zeitweise notierte Brent-Öl bei über 78 US-Dollar pro Barrel. Die Angst ist real, dass es zu Lieferunterbrechungen kommen könnte, insbesondere wenn der Iran die Straße von Hormus – Nadelöhr für ein Fünftel des weltweiten Ölverbrauchs – blockieren sollte. Analysten von JPMorgan zeichneten bereits vor Tagen ein düsteres Szenario, bei dem ein solcher Schritt den Ölpreis auf 120 bis 130 Dollar treiben könnte. Noch ist es nicht so weit, und bisher fließt das Öl. Doch die Sorge, dass aus dem Schlagabtausch ein Flächenbrand wird, der die globalen Energieströme erfasst, ist immens.
Parallel dazu erleben wir eine Flucht in den sogenannten sicheren Hafen Gold. Der Preis für die Feinunze kletterte bis auf fast 3.450 Dollar und nähert sich damit seinem Rekordhoch. Ein klares Zeichen dafür, wie sehr die Anleger um die Stabilität der Weltwirtschaft fürchten. Selbst das normalerweise robuste US-Konsumklima, das sich laut aktuellen Daten der University of Michigan im Juni eigentlich verbessert hatte, könnte durch diese Eskalation einen herben Dämpfer erhalten. Wer denkt schon ans Shoppen, wenn die Schlagzeilen Krieg verheißen?
Interessant ist in diesem Kontext auch die Rolle von US-Präsident Trump, der den Iran via Social Media aufforderte, einem Atom-Deal zuzustimmen, um weitere, "noch brutalere" Angriffe zu verhindern. Er deutete an, Teheran habe eine Chance verpasst und nun "vielleicht eine zweite". Ob solche Äußerungen deeskalierend wirken oder die Lage zusätzlich anheizen, sei dahingestellt. Fakt ist: Die diplomatischen Kanäle scheinen unter extremem Druck zu stehen. Als weitere Vorsichtsmaßnahme schließt Israel weltweit seine diplomatischen Vertretungen. Die Bürger in Israel selbst reagieren laut Berichten relativ ruhig, aber die Anspannung ist spürbar, und es kommt zu Hamsterkäufen.
Meine Einschätzung: Die Nervosität an den Märkten ist absolut nachvollziehbar. Die Eskalation zwischen Israel und dem Iran hat das Potenzial, die globale Energieversorgung empfindlich zu stören und die Inflation weltweit neu anzuheizen. Für uns in Europa, stark abhängig von Energieimporten, sind das keine guten Nachrichten. Die direkten Auswirkungen auf die Spritpreise und Heizkosten könnten wir bald zu spüren bekommen. Auch wenn eine sofortige Schließung der Straße von Hormus noch nicht erfolgt ist, allein die Drohkulisse reicht, um die Preise massiv zu treiben. Anleger sollten sich auf weiter erhöhte Volatilität einstellen.
Handelspolitik: Das zweite Damoklesschwert über Europas Wirtschaft
Während die Augen der Welt gebannt auf den Nahen Osten blicken, dürfen wir eine zweite, nicht minder bedrohliche Entwicklung für die europäische Wirtschaft nicht aus den Augen verlieren: die anhaltenden handelspolitischen Spannungen und deren konkrete Auswirkungen. Die heute von Eurostat veröffentlichten Daten für April zeichnen ein erschreckend schwaches Bild. Die Industrieproduktion in der Eurozone brach um 2,4 Prozent ein, deutlich stärker als erwartet. Auch der Handelsüberschuss der Eurozone schmolz dahin.
Besonders alarmierend ist der Einbruch der Exporte in Länder außerhalb des Euroraums um 8,2 Prozent. Auf EU-Ebene sanken die Exporte sogar um 9,7 Prozent. Der Hauptgrund dürfte in den im April angekündigten US-Zöllen liegen, die offenbar zu massiven Vorzieheffekten in den Vormonaten und einem entsprechenden Absturz im April geführt haben. Die EU-Exporte in die USA, unseren größten Handelspartner, fielen drastisch. Gleichzeitig sanken die EU-Exporte nach China den neunten Monat in Folge.
Meine Einschätzung: Diese Zahlen sind ein Weckruf. Sie zeigen, wie verwundbar wir in Europa – und insbesondere Deutschland als Exportnation – gegenüber protektionistischen Maßnahmen und globalen Handelskonflikten sind. Der Einbruch im April ist so stark, dass er die Zuwächse des vergangenen Jahres fast zunichtemacht. Auch wenn der Handelsüberschuss der EU mit den USA trotz der Zölle zuletzt noch gewachsen ist, zeigt die Gesamttendenz eine deutliche Belastung. Die Hoffnung auf eine robuste wirtschaftliche Erholung in Europa bekommt hier einen empfindlichen Dämpfer.
Notenbanken im Wartezustand: Kaum Spielraum in der Krise?
Angesichts dieser Gemengelage aus geopolitischer Eskalation und handelspolitischen Verwerfungen stellt sich die Frage: Welchen Spielraum haben die Notenbanken überhaupt noch? Die Bank of England dürfte laut Beobachtern ihre Zinsen bei der nächsten Sitzung unverändert lassen. Zwar sind die kurzfristigen Inflationserwartungen in Großbritannien zuletzt leicht gesunken (auf 3,2% für die nächsten 12 Monate), die mittelfristigen Erwartungen bleiben jedoch hartnäckig hoch. Gleichzeitig zeigt der britische Arbeitsmarkt erste Schwächeanzeichen. Ein Zinsentscheid der Federal Reserve steht nächste Woche an, und die Gemengelage macht die Aufgabe für Jerome Powell und Kollegen nicht leichter.
Auch für die Europäische Zentralbank engt sich der Korridor ein. Die schwachen Industriedaten aus dem Euroraum mahnen zur Vorsicht, während ein neuer Ölpreisschock die Inflation wieder antreiben könnte. Es ist ein Drahtseilakt.
Meine Einschätzung: Die Notenbanken befinden sich in einer extrem schwierigen Situation. Die Bekämpfung der Inflation könnte durch externe Schocks wie einen Ölpreisanstieg torpediert werden. Gleichzeitig erfordern die sich eintrübenden Konjunkturaussichten, insbesondere in Europa, eigentlich eine lockerere Geldpolitik. Ich erwarte in nächster Zeit eher abwartende Zentralbanken, die versuchen, sich alle Optionen offenzuhalten. Große, mutige Schritte sind in diesem Umfeld kaum vorstellbar.
Was bleibt nach diesem turbulenten Freitag?
Liebe Leserinnen und Leser, dieser Freitag hat uns einmal mehr vor Augen geführt, wie schnell sich die globale Lage zuspitzen kann und wie verwundbar unsere vernetzte Welt ist. Die Eskalation im Nahen Osten ist ein ernstes Warnsignal mit potenziell gravierenden wirtschaftlichen Folgen. Hinzu kommen die hausgemachten Probleme durch Handelskonflikte, die unsere europäische Wirtschaft belasten.
Die kommenden Tage und Wochen werden entscheidend sein. Deeskaliert die Lage im Nahen Osten? Finden die Diplomaten einen Weg aus der Krise? Oder müssen wir uns auf nachhaltig höhere Energiepreise und eine noch größere Unsicherheit einstellen? Es bleibt uns leider nichts anderes übrig, als die Entwicklungen sehr genau zu beobachten und unsere eigenen (Anlage-)Entscheidungen mit Bedacht zu treffen. Vielleicht ist es gerade in solchen Zeiten umso wichtiger, nicht in Panik zu verfallen, sondern auf langfristig bewährte Strategien zu setzen.
Ich wünsche Ihnen trotz der beunruhigenden Nachrichten ein möglichst ruhiges Wochenende. Bleiben Sie informiert und vor allem: Bleiben Sie besonnen.
Herzlichst,
Ihr Eduard Altmann