Geopolitik trifft Geldpolitik: Wenn alte Gewissheiten wanken
Liebe Leserinnen und Leser,
selten zeigten sich die Risse im globalen Wirtschaftsgefüge so deutlich wie in diesen Oktobertagen. Während Russlands Zentralbank trotz verschärfter Sanktionen die Zinsen senkt, verschiebt Deutschlands Außenminister seine China-Reise mangels „hinreichender Termine“ – ein diplomatischer Affront, der seinesgleichen sucht. Und Donald Trump? Der kündigt kurzerhand alle Handelsgespräche mit Kanada auf, weil Ottawa es wagte, Ronald Reagan zu zitieren. Willkommen in einer Welt, in der wirtschaftliche Logik zunehmend politischen Kalkülen weicht.
Moskaus monetäres Paradoxon
An der Moskwa spielte sich heute ein bemerkenswertes Schauspiel ab: Elvira Nabiullina, Russlands Zentralbankchefin, senkte den Leitzins um 50 Basispunkte auf 16,5 Prozent – mitten in einem Sanktionssturm, der die Exporterlöse bedroht. „Wir sind in einem Lockerungszyklus“, verkündete sie mit erstaunlicher Gelassenheit, während westliche Beobachter ungläubig die Köpfe schüttelten.
Die Logik dahinter? Moskau setzt auf eine bemerkenswerte Wette: Die Haushaltsregel soll Ölpreisschwankungen neutralisieren, solange der Nationale Wohlfahrtsfonds gefüllt ist. Doch Nabiullina warnte selbst: Sinkt der Ölpreis dauerhaft unter 60 Dollar pro Barrel, wird diese Versicherung wertlos.
Für europäische Unternehmen, die noch immer mit Russland-Exposure kämpfen, bedeutet dies erhöhte Unsicherheit. Die Commerzbank etwa musste ihre Russland-Rückstellungen zuletzt aufstocken. „Die Sanktionen zielen primär auf unsere Rohstoffexporte“, räumte Nabiullina ein – und bestätigte damit, was Brüssel hofft: Der wirtschaftliche Druck zeigt Wirkung, auch wenn die Anpassung „eine gewisse Zeit“ brauche.
Berlins China-Dilemma: Wenn Termine zur Machtfrage werden
Die Absage von Außenminister Johann Wadephuls China-Reise liest sich wie ein Lehrstück gescheiterter Wirtschaftsdiplomatie. „Keine hinreichenden Termine“ – in der Sprache der Diplomatie ein vernichtender Schlag. Dabei hatte Peking große Hoffnungen in die neue Merz-Regierung gesetzt, erhoffte sich Tauwetter nach den frostigen Baerbock-Jahren.
Doch die Zeiten haben sich geändert. China kontrolliert den Markt für Seltene Erden mit eiserner Faust, während deutsche Autobauer verzweifelt nach Alternativen für ihre E-Auto-Batterien suchen. BMW, Mercedes und Volkswagen – zusammen an der Börse rund 147 Milliarden Euro wert – hängen am seidenen Faden chinesischer Rohstofflieferungen.
„Was bedeutet das konkret für deutsche Unternehmen?“, fragte ein Wirtschaftsvertreter, der Wadephul begleiten sollte. Die Antwort ist unbequem: Ohne diplomatischen Rückenwind müssen Konzerne ihre China-Strategie neu denken. BASF hat bereits reagiert und Investitionen in Ludwigshafen zugunsten chinesischer Projekte verschoben – ein Alarmsignal für den Industriestandort Deutschland.
Besonders brisant: Pekings Taiwan-Rhetorik verschärft sich. Die Forderung, Deutschland solle sich „klar gegen taiwanische Unabhängigkeitsaktivitäten“ positionieren, stellt Berlin vor eine Zerreißprobe zwischen Werten und Wirtschaftsinteressen.
Trumps Handelskrieg 2.0: Reagan gegen Reagan
In Washington eskaliert derweil ein Streit, der absurder kaum sein könnte. Trump kündigt alle Handelsgespräche mit Kanada auf – wegen eines Werbespots, in dem Ronald Reagan vor Zöllen warnt. „Zölle verursachen Handelskriege und wirtschaftliche Katastrophen“, tönt Reagans Stimme aus dem Jahr 1987. Für Trump, der Zölle zum „schönsten Wort im Wörterbuch“ erklärt hat, pure Provokation.
Die Ironie der Geschichte: Reagan warnte damals vor einem Handelskrieg mit Japan. Heute sind die USA selbst zum Aggressor geworden, mit Zöllen auf dem höchsten Niveau seit den 1930er Jahren. Für europäische Unternehmen bedeutet dies: Der transatlantische Handel bleibt ein Minenfeld.
Die Automobilzulieferer spüren es bereits: Continental und ZF Friedrichshafen berichten von Auftragsrückgängen aus Nordamerika. Die Unsicherheit lähmt Investitionsentscheidungen. „Wir können nicht planen, wenn die Spielregeln sich täglich ändern“, klagt ein Branchenvertreter.
Gaza: Die Ökonomie des Wiederaufbaus
Während die Großmächte ihre Handelskriege führen, formiert sich in Nahost ein gewaltiges Wirtschaftsprojekt: Der Wiederaufbau Gazas. US-Außenminister Marco Rubio inspizierte heute das Koordinationszentrum in Israel, von wo aus eine internationale Friedenstruppe organisiert werden soll. Das Kalkül: Stabilität schafft Märkte.
Für europäische Baukonzerne wie Hochtief oder Strabag könnte sich hier ein Milliardenmarkt öffnen. Die EU hat bereits Wiederaufbauhilfen in Aussicht gestellt. Doch die Bedingung ist klar: Israel muss sich mit der Truppenzusammensetzung „wohlfühlen“ – die Türkei ist damit faktisch ausgeschlossen, was Erdogans Ambitionen einen Dämpfer versetzt.
Die Hamas-Frage bleibt der Elefant im Raum. „Sollte die Hamas ihre Waffen nicht niederlegen, ist das ein Verstoß gegen das Abkommen“, warnte Rubio. Für Investoren bedeutet dies: Das Risiko bleibt hoch, die Renditen müssen es kompensieren.
Deutsche Mikro-Dramen: Von Düngemitteln und Steuerfragen
Während die Welt in geopolitischen Großkonflikten versinkt, kämpft Deutschland mit hausgemachten Problemen. Das Bundesverwaltungsgericht kippt Teile der Düngeverordnung – ein Schlag für die Agrarindustrie. BASF und K+S, Deutschlands Düngemittelriesen, müssen sich auf neue Regeln einstellen. Die Bauern rebellieren: „Zehn Prozent Ertragseinbußen“ in den roten Gebieten, warnen ihre Verbände.
In den Bundesländern tobt derweil der Streit ums Geld. „Wer bestellt, bezahlt“, fordert Rheinland-Pfalz‘ Ministerpräsident Schweitzer. Die Mehrwertsteuersenkung für die Gastronomie? Schön und gut, aber nicht auf Kosten der Länder. Es ist die deutsche Variante des ewigen Konflikts: Wer trägt die Lasten der Krise?
Immerhin: Beim Verbrenner-Aus rudert die Politik zurück. Die Ministerpräsidenten fordern eine „Aufweichung“ des 2035-Ziels. Markus Söder triumphiert: „Das Aus vom Verbrenner-Aus ist eingeleitet.“ Für BMW, Mercedes und Porsche ein Hoffnungsschimmer – ihre Aktienkurse reagierten prompt mit Kursgewinnen.
Blick nach vorn: Was die kommende Woche bringt
Die letzte Oktoberwoche verspricht Hochspannung. Am Dienstag veröffentlicht das ifo-Institut seinen Geschäftsklimaindex – nach den überraschend positiven Einkaufsmanagerindizes könnte Deutschland eine positive Überraschung erleben. Die EZB-Ratssitzung am Donnerstag wird zeigen, ob Frankfurt dem russischen Beispiel folgt und die Zinsen schneller senkt als erwartet.
In den USA stehen die Quartalszahlen der Tech-Giganten an: Microsoft (Dienstag), Meta (Mittwoch) und Amazon (Donnerstag) werden den Ton für die Aktienmärkte setzen. Besonders spannend: Wie stark schlagen sich Trumps Zolldrohungen in den Ausblicken nieder?
Und dann ist da noch China. Die Führung in Peking könnte nach dem diplomatischen Eklat mit Berlin Fakten schaffen – weitere Exportbeschränkungen bei Seltenen Erden sind nicht ausgeschlossen. Deutsche Industriekonzerne sollten ihre Lagerbestände prüfen.
Die Welt, liebe Leserinnen und Leser, wird nicht einfacher. Aber sie wird auch nicht langweiliger. In Zeiten, in denen ein Reagan-Zitat einen Handelskrieg auslöst und Zentralbanken trotz Sanktionen die Zinsen senken, ist nur eines sicher: Die alten Regeln gelten nicht mehr. Wer in diesem Umfeld erfolgreich sein will, braucht Flexibilität, Weitsicht – und starke Nerven.
Ich wünsche Ihnen ein erkenntnisreiches Wochenende. Nutzen Sie die Ruhe, um sich auf eine Woche vorzubereiten, die es in sich haben dürfte.
Ihr Eduard Altmann
P.S.: Die Uniper-Aktie verlor heute übrigens 8 Prozent, nachdem das Unternehmen einen dramatischen Gewinneinbruch meldete. Adjusted EBITDA in neun Monaten: 641 Millionen Euro statt 2,2 Milliarden im Vorjahr. Die Energiewende, so scheint es, kennt nicht nur Gewinner.
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Apropos Technologie und geopolitische Verschiebungen: Wer die Chip-Industrie beobachtet, sieht, dass der Wettlauf zwischen USA, China und Europa längst entschieden wird – nicht in den Schlagzeilen, sondern an den Börsen. Eine aktuelle Analyse zeigt, welches europäische Hightech-Unternehmen als „neue Nvidia“ gilt und warum es vom globalen Chip-Boom profitieren könnte.
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