Liebe Leserinnen und Leser,
ein Dienstag Nachmittag, und die Nachrichtenlage präsentiert sich einmal mehr als ein komplexes Mosaik aus geopolitischen Spannungen, konjunkturellen Fragezeichen und unternehmerischen Weichenstellungen. Es fühlt sich an, als stünden wir an einem Punkt, an dem viele altbekannte Gewissheiten auf dem Prüfstand stehen und die Frage im Raum schwebt: Wie navigieren wir durch diese zunehmend unübersichtliche Weltlage? Insbesondere die anhaltenden Handelskonflikte werfen einen langen Schatten, während gleichzeitig die Inflationsdaten aus der Eurozone der Europäischen Zentralbank Spielraum für unpopuläre Entscheidungen geben könnten. Versuchen wir, ein wenig Ordnung in das Geschehen zu bringen.
Das Damoklesschwert der Zölle: Ein Handelskrieg ohne Ende?
Es ist ein Thema, das uns nun schon seit geraumer Zeit begleitet und doch nichts von seiner Brisanz verloren hat: die globalen Handelskonflikte. Die OECD hat heute mit einer gesenkten globalen Wachstumsprognose erneut unterstrichen, dass insbesondere die Handelspolitik der Trump-Administration und die daraus resultierenden Gegenmaßnahmen spürbare Bremsspuren in der Weltwirtschaft hinterlassen. Die USA selbst scheinen dabei stärker betroffen zu sein als bisher angenommen. Das ist eine bemerkenswerte Einschätzung, die zeigt, wie schnell sich Protektionismus zum Bumerang entwickeln kann.
Währenddessen läuft für viele Länder, die von US-Strafzöllen bedroht sind, offenbar eine Frist ab: Bis Mittwoch, so berichten es Medien unter Berufung auf Regierungskreise, sollen die besten Angebote für Handelsverhandlungen auf dem Tisch liegen. Ein Wettlauf gegen die Zeit, bevor eine 90-tägige Pause für Strafzölle im Juli ausläuft. Es wird spannend zu beobachten sein, ob hier tragfähige individuelle Abkommen entstehen oder die Konfrontation weitergeht. Der britische Handelsminister jedenfalls ist bereits unterwegs, um mit US- und EU-Vertretern über bestehende und neue Regelungen zu sprechen. Dass die Gespräche als “komplex” beschrieben werden, überrascht kaum.
Besonders im Fokus steht natürlich China. Das Reich der Mitte spürt die Auswirkungen der US-Zölle, auch wenn die Regierung versucht, mit Subventionen gegenzusteuern. Doch China ist nicht nur Opfer, sondern auch Akteur mit erheblichem Einfluss. So drängen Diplomaten und Wirtschaftsvertreter aus Europa, Indien und Japan Peking dazu, die Exportbeschränkungen für Seltenerdmagnete zu lockern. Diese Magnete sind essenziell für viele Hightech-Produkte, von Autos bis zu Windturbinen. Man sieht: Hier hat Peking einen mächtigen Hebel in der Hand. Eine Verknappung könnte globale Lieferketten empfindlich treffen. Auch Tesla dürfte diese Entwicklung genau beobachten, auch wenn es für den E-Auto-Pionier heute eine positive Nachricht aus China gab: Die Modelle 3 und Y wurden in eine staatliche Kampagne zur Förderung des EV-Absatzes in ländlichen Regionen aufgenommen. Ein kleiner Lichtblick für westliche Unternehmen im chinesischen Markt. C.C. Wei, der CEO des Chipgiganten TSMC, gab sich auf der heutigen Aktionärsversammlung zwar betont gelassen und sieht die überragende KI-Nachfrage als Puffer gegen Zollbelastungen, räumte aber indirekte Effekte ein. Seine Worte haben Gewicht, denn TSMC ist ein Schlüsselspieler in der globalen Tech-Industrie.
Konjunktur: Europäische Lichtblicke inmitten globaler Eintrübung?
Angesichts dieser handelspolitischen Verwerfungen blickt man mit besonderer Spannung auf die Konjunkturdaten. Und hier gibt es heute zumindest für die Eurozone interessante Signale. Die Verbraucherpreise sind im Mai um 1,9% gestiegen und damit etwas weniger als erwartet und sogar unter dem Ziel der Europäischen Zentralbank. Das nährt natürlich die Spekulationen, dass die EZB auf ihrer Sitzung am Donnerstag erneut die Zinsen senken könnte – es wäre die achte Senkung binnen eines Jahres. Die Argumente dafür scheinen stark: nachlassender Inflationsdruck, ein stärkerer Euro und niedrigere Ölpreise. Allerdings, und das ist die Kehrseite, könnte die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit der Eurozone und die unkalkulierbaren Handelskonflikte einige Notenbanker zur Vorsicht mahnen lassen.
Positive Nachrichten kommen heute aus Südeuropa: In Italien fiel die Arbeitslosenquote im April überraschend deutlich auf 5,9%, und auch Spanien meldet mit unter 2,5 Millionen Arbeitslosen den niedrigsten Stand seit fast 17 Jahren. Das sind ermutigende Zeichen, die auf eine gewisse Besserung am Arbeitsmarkt hindeuten, auch wenn das Wirtschaftswachstum in Italien beispielsweise eher verhalten ist.
Global sieht das Bild gemischt aus. Südafrikas Wirtschaft stagniert weiterhin, während Singapur nach einem schwachen ersten Quartal im zweiten Quartal auf eine Erholung zusteuert, getrieben von der wichtigen Halbleiterindustrie. Interessant ist auch der Blick nach Brasilien: Der Internationale Währungsfonds hat die Wachstumsprognose für 2025 angehoben, gleichzeitig signalisiert die dortige Zentralbank aber, dass der Zyklus der Zinserhöhungen noch nicht zwingend beendet sein muss. Man versucht offenbar, die Inflation im Griff zu behalten und gleichzeitig Wachstumsimpulse nicht abzuwürgen. Und Japans Notenbankchef Ueda zeigte sich heute zuversichtlich, dass die japanische Wirtschaft die US-Zölle verkraften und einen positiven Zyklus aus Inflation und Lohnwachstum aufrechterhalten kann.
Unternehmenswelten: Strategien für unsichere Zeiten
In diesem Marktumfeld sind die richtigen Unternehmensstrategien entscheidend. Aufschlussreich waren da heute die Einblicke von verschiedenen Firmen auf Investorenkonferenzen. CCC Intelligent Solutions etwa, ein Softwareanbieter für die Autoversicherungsbranche, präsentierte seine Expansionspläne, insbesondere im Bereich Arbeitsunfähigkeit und Unfallversicherung, und setzt dabei stark auf KI. Mit einer beeindruckenden Kundenbindungsrate und soliden Wachstumszielen zeigt sich das Unternehmen trotz Marktschwankungen robust – ein Beispiel für ein stabiles Abonnementmodell.
Auch der Lebensmittelgroßhändler Sysco gab sich auf einer Konferenz zuversichtlich. Mit einem dominierenden Marktanteil in den USA und wachsenden internationalen Ambitionen sieht sich das Unternehmen gut aufgestellt, um von der Tendenz zu profitieren, dass Menschen immer häufiger außer Haus essen. Interessant hierbei: CEO Kevin Hurican betonte, dass Europa dem US-Trend etwa zehn Jahre hinterherhinkt, was für das europäische Geschäft noch erhebliches Wachstumspotenzial bedeute. Neue Vertriebszentren, auch in Nordirland und Schweden, unterstreichen diese Strategie.
Travel + Leisure, ein großer Anbieter von Ferienwohnrechten, berichtete ebenfalls von anhaltend starker Nachfrage und einer bemerkenswerten Tatsache: 80% ihrer Eigentümer haben ihre Darlehen abbezahlt, was Urlaubsentscheidungen weniger von kurzfristigen wirtschaftlichen Überlegungen abhängig macht. Auch hier spielt KI eine Rolle, um bestehende Kunden zu mehr Buchungen zu animieren.
Erfreuliche Nachrichten kamen heute vom britischen Verteidigungsunternehmen Chemring, das mit starken Halbjahreszahlen und einem Rekordauftragsbuch aufwartete. Weniger gut lief es für den Wasserversorger Pennon, der einen Jahresverlust meldete. Bei den Einzelhändlern Citi Trends und Ollie’s Bargain Outlet hingegen übertrafen die Quartalszahlen die Erwartungen deutlich – ein Zeichen, dass bestimmte Segmente des Einzelhandels auch in unsicheren Zeiten punkten können.
Kleine Krypto-Nische mit deutscher Note
Ein kurzer Abstecher in die Welt der digitalen Währungen: Die Plattform CoinsBee aus Stuttgart, die den Kauf von Geschenkkarten mit Kryptowährungen ermöglicht, meldete heute, die Marke von 5.000 unterstützten Anbietern überschritten zu haben. Das mag auf den ersten Blick wie eine Randnotiz wirken, zeigt aber, wie versucht wird, Kryptowährungen einen praktischen Alltagsnutzen zu geben – abseits der reinen Spekulation, die den Markt oft dominiert. Ein interessanter Ansatz, um digitale Assets mit der Realwirtschaft zu verknüpfen.
Politisches Beben in Den Haag
Und dann noch ein politischer Paukenschlag aus Europa: In den Niederlanden hat der Rechtspopulist Geert Wilders die Regierungskoalition verlassen. Dies führt zum Sturz der Regierung und wahrscheinlich zu Neuwahlen. Solche politischen Instabilitäten sind selten förderlich für die wirtschaftliche Planbarkeit und könnten auch über die Landesgrenzen hinaus für Verunsicherung sorgen, gerade in einer Zeit, in der Europa vor großen wirtschaftlichen und geopolitischen Herausforderungen steht.
Mein Fazit: Augen auf und durch – mit Bedacht
Die heutige Nachrichtenlage zeigt uns einmal mehr: Die Welt ist komplex und voller Unwägbarkeiten. Die Drohkulisse neuer oder verschärfter Handelskonflikte bleibt ein zentraler Risikofaktor für die globale Konjunktur. Gleichzeitig gibt es immer wieder regionale Lichtblicke und Unternehmen, die mit klugen Strategien auch in schwierigen Zeiten erfolgreich sind. Für uns als Anleger bedeutet das, wachsam zu bleiben, die Entwicklungen genau zu analysieren, aber nicht in Panik zu verfallen. Eine breit gestreute, gut durchdachte Anlagestrategie und ein Fokus auf Qualität und Anpassungsfähigkeit sind in solchen Phasen wichtiger denn je.
Spannend wird in den USA heute noch die Veröffentlichung der JOLTS-Daten zu den offenen Stellen sein, die uns weitere Hinweise auf die Gesundheit des US-Arbeitsmarktes geben könnten – ein wichtiger Indikator vor dem großen Arbeitsmarktbericht am Freitag.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen erkenntnisreichen Rest-Dienstag!
Ihr Eduard Altmann