Liebe Leserinnen und Leser,
ein Dienstagmittag, und die Finanzwelt blickt gebannt nach London. Dort ringen die Unterhändler der USA und Chinas um nicht weniger als die Stabilität der globalen Handelsbeziehungen. Positive erste Signale haben die Märkte leicht beflügelt, doch ist das schon der erhoffte Befreiungsschlag? Oder wirft die heute veröffentlichte, deutlich pessimistischere Wachstumsprognose der Weltbank bereits einen Schatten auf die zarten Pflänzchen der Entspannung? Und was bedeutet das alles für uns hier in Europa? Lassen Sie uns gemeinsam einen Blick darauf werfen, was heute wirklich zählt.
Tauziehen der Giganten – US-China und die Folgen für uns
Es ist die Nachricht, die heute wohl die meisten Schlagzeilen dominiert: US-Handelsminister Howard Lutnick bezeichnete die Gespräche mit China als gut verlaufend. Sein Kollege, der Wirtschaftsberater des Weißen Hauses Kevin Hassett, deutete sogar an, dass die USA Exportkontrollen für einige Halbleiterprodukte lockern könnten, im Gegenzug für beschleunigte Lieferungen Seltener Erden aus China. Das sind Töne, die nach monatelanger Eskalation Hoffnung machen. Kein Wunder also, dass der Ölpreis auf diese Nachrichten mit leichten Gewinnen reagierte – ein Zeichen dafür, wie sehr die Weltwirtschaft auf Entspannung in diesem Dauerärgernis hofft.
Doch bevor wir in Euphorie verfallen, sollten wir die Warnungen der Weltbank sehr ernst nehmen. In ihrem jüngsten Bericht hat sie die globale Wachstumsprognose für 2025 spürbar um 0,4 Prozentpunkte auf nur noch 2,3% gesenkt. Als Hauptgründe nennt die Institution höhere Zölle und die damit verbundene gestiegene Unsicherheit. Explizit wird auch die Handelspolitik von US-Präsident Trump als "signifikanter Gegenwind" für nahezu alle Volkswirtschaften genannt. Diese trüben Aussichten betreffen die USA, China und Europa gleichermaßen.
Vor diesem Hintergrund wirkt die Meldung, dass China und das Vereinigte Königreich ihre Kooperation in Bereichen wie Nachhaltigkeit und Finanzen vertiefen wollen, fast wie ein kleiner diplomatischer Kontrapunkt. Vielleicht ein Zeichen, dass nicht alle Türen zugeschlagen werden?
Meine Einschätzung: Die Fortschritte in London sind ein Lichtblick, keine Frage. Jeder Zoll weniger, jede Entspannung im Ton hilft der Weltwirtschaft. Doch die Warnung der Weltbank ist nicht zu überhören. Die strukturellen Konflikte und der Trend zum Protektionismus, angefeuert nicht zuletzt durch die Politik von Präsident Trump, sind tiefgreifend. Ein Handshake in London ist gut, aber er löst nicht alle Probleme über Nacht. Für uns als Exportnation Deutschland bleibt das Umfeld herausfordernd. Die Abhängigkeit von funktionierenden globalen Lieferketten und offenen Märkten ist enorm. Es bleibt zu hoffen, dass aus den aktuellen Gesprächen mehr als nur eine kurzfristige Beruhigung erwächst.
Die Zinsfrage – Ein verfrühter Euphorie-Dämpfer?
Während in London verhandelt wird, richten sich die Blicke der Anleger natürlich auch auf die Notenbanken. Die Deutsche Bank hat heute ihre Prognose für die US-Notenbank Fed angepasst: Mit einer ersten Zinssenkung sei wohl erst im Dezember zu rechnen, gefolgt von zwei weiteren Schritten im ersten Quartal 2026. Als Hauptgrund für diese Verschiebung nennen die Analysten die Unsicherheit über die inflationären Auswirkungen der US-Zollpolitik. Eine nachvollziehbare Argumentation, denn neue Zölle könnten die Preise treiben und die Fed zwingen, länger an ihrer straffen Geldpolitik festzuhalten.
Aus der Eurozone kommen derweil differenzierte Signale. Der finnische Notenbankchef Olli Rehn mahnte heute, die EZB müsse wachsam bleiben, auch gegenüber dem Risiko, dass die Inflation deutlich unter das Ziel fallen könnte. Dies deutet darauf hin, dass die Sorgen um eine zu schwache Konjunktur in einigen Teilen der Eurozone durchaus präsent sind. Sein britischer Kollege von der Bank of England hingegen wird in Umfragen zitiert, die von weiteren Zinssenkungen in diesem Jahr ausgehen, trotz eines nur milden Wirtschaftswachstums. Und in Japan fordert die größte Oppositionspartei sogar eine Senkung des Inflationsziels der Bank of Japan, um ihr mehr Flexibilität bei Zinserhöhungen zu geben – eine interessante Debatte angesichts der lange bekämpften Deflation.
Meine Einschätzung: Die Notenbanken sind in einer Zwickmühle. Während die Fed wohl länger zögert, um die Inflationsgefahr durch Zölle nicht anzuheizen, scheint in Europa die Sorge vor einer Konjunkturabkühlung mancherorts schon wieder die Oberhand zu gewinnen. Die Bandbreite der Meinungen innerhalb der EZB, wie die Äußerungen von Herrn Rehn zeigen, macht die Sache nicht einfacher. Für Anleger bedeutet dies: Die Zinslandschaft bleibt unberechenbar und regional sehr unterschiedlich. Die erhoffte, schnelle Zinswende könnte sich zumindest in den USA noch hinziehen.
Konjunkturampel auf Gelb – Wo stehen wir wirklich?
Die bereits erwähnte Prognose der Weltbank zeichnet ein eher düsteres Bild der globalen Konjunktur. Ein Wachstum von nur 2,3% im nächsten Jahr wäre außerhalb von Rezessionsjahren das schwächste seit 2008. Der Welthandel soll 2025 nur um 1,8% wachsen, ein Drittel des Niveaus der 2000er Jahre.
Auch regionale Daten stützen diesen vorsichtigen Ausblick:
- In Großbritannien erwarten Ökonomen laut einer Reuters-Umfrage nur ein mildes Wachstum von 1% für dieses Jahr. Die Deutsche Bank sieht in den jüngsten Arbeitsmarktdaten Anzeichen für eine zunehmende Flaute, auch wenn der private Lohndruck noch hoch ist.
- Die Bank von Spanien rechnet zwar mit einem soliden Wachstum von 0,5% bis 0,6% im zweiten Quartal, hat aber ihre längerfristige Prognose aufgrund der globalen Handelsspannungen bereits nach unten korrigiert.
- In Griechenland ist die jährliche Inflation im Mai wieder auf 3,3% gestiegen, was den Preisdruck unterstreicht.
- Und als Randnotiz, die aber die Fragilität in einigen Schwellenländern zeigt: Kolumbien hat die Aussetzung seiner Fiskalregel genehmigt, da die öffentlichen Finanzen sich verschlechtern.
Meine Einschätzung: Die Konjunkturdaten zeichnen kein rosiges Bild. Die Weltbank-Zahlen sind eine kalte Dusche. Selbst wenn einzelne Regionen wie Spanien noch robust erscheinen, ist der globale Trend eindeutig abwärtsgerichtet. Das "Wie weiter?" hängt stark davon ab, ob die Handelsgespräche nachhaltige Erfolge bringen und ob die Investitionsbereitschaft zurückkehrt. Die Unsicherheit, wie die Weltbank es treffend formuliert, liegt wie "Nebel auf der Startbahn" und bremst die wirtschaftliche Dynamik.
Geopolitische Störfeuer und Energiefragen
Neben den großen Wirtschaftsfragen dürfen wir die geopolitischen Brandherde nicht vergessen, die jederzeit neue Verwerfungen auslösen können:
- Die Europäische Kommission plant offenbar, die Ölpreisobergrenze für russisches Öl von $60 auf $45 pro Barrel zu senken und die Nutzung der Nord Stream-Infrastruktur zu verbieten. Das dürfte die Spannungen mit Moskau weiter verschärfen und hat direkte Auswirkungen auf die Energiemärkte.
- Israel hat nach Angriffen auf den jemenitischen Hafen Hodeidah mit einer See- und Luftblockade gegen die Houthis gedroht, sollten die Angriffe auf Israel andauern. Dies birgt Risiken für die Schifffahrt im Roten Meer.
- Gleichzeitig wird berichtet, dass Großbritannien und andere Verbündete Sanktionen gegen zwei rechtsextreme israelische Minister wegen deren Äußerungen zum Gaza-Krieg planen. Solche Schritte zeigen die zunehmenden internationalen Spannungen rund um diesen Konflikt.
Meine Einschätzung: Diese Konflikte bleiben erhebliche Risikofaktoren. Die EU verschärft den Ton gegenüber Russland beim Thema Öl, was die Energiemärkte weiter in Atem halten wird. Die Lage im Nahen Osten und am Roten Meer ist alles andere als stabil. All dies kann schnell zu Preissprüngen bei Rohstoffen oder zu neuen Lieferkettenproblemen führen.
Was bleibt für uns Anleger?
Liebe Leserinnen und Leser, der heutige Tag zeigt einmal mehr die Ambivalenz an den Märkten. Einem Hoffnungsschimmer durch die Entspannungssignale im US-chinesischen Handelsstreit steht eine ernüchternde globale Wachstumsprognose gegenüber. Die Zentralbanken navigieren weiterhin in schwierigem Fahrwasser, und geopolitische Risiken lauern an vielen Ecken.
Morgen werden die US-Verbraucherpreisdaten für Mai veröffentlicht, die neue Hinweise auf den Inflationspfad und damit auf die zukünftige Fed-Politik geben könnten. Die Börsenweisheit "Sell in May and go away" hat sich dieses Jahr bisher nicht bewahrheitet. Angesichts der aktuellen Gemengelage frage ich mich allerdings, ob nicht doch noch ein unruhiger Sommer vor uns liegt. Was denken Sie?
Ich wünsche Ihnen einen trotz allem erkenntnisreichen Nachmittag. Bleiben Sie informiert und kritisch!
Herzlichst,
Ihr Eduard Altmann