Liebe Leserinnen und Leser,
was für eine Woche liegt da wieder hinter uns! Die Nachrichtenlage glich einem Pendel, das wild zwischen Hoffnungsschimmern und Alarmglocken hin und her schwang. Einerseits hören wir von möglichen Entspannungen im globalen Handelsstreit, andererseits eskalieren Konflikte, die uns den Atem stocken lassen. Die Märkte versuchen, in diesem Nebel aus widersprüchlichen Signalen einen klaren Kurs zu finden – keine leichte Aufgabe. Bevor wir ins wohlverdiente Wochenende starten, wollen wir gemeinsam versuchen, die wichtigsten Strömungen dieser Woche zu entwirren und zu überlegen, was das für uns bedeutet.
Das große Zoll-Poker: Zwischen Wunschdenken und harter Realität
Das beherrschende Thema bleibt das globale Ringen um Zölle und Handelsabkommen. Aus Washington erreichen uns fast stündlich neue, teils widersprüchliche Signale. US-Präsident Trump deutete an, dass 80% Zölle auf chinesische Waren "richtig erscheinen" könnten, während gleichzeitig Berichte über mögliche deutliche Zollsenkungen im Vorfeld der anstehenden US-China-Gespräche in der Schweiz die Runde machen. Ein klassisches Verhandlungsspiel, das die Nerven strapaziert. Die chinesische Wirtschaft reagiert bereits: Die Exporte in die USA sind im April spürbar gesunken, während Lieferungen in andere Regionen der Welt zulegen – ein klares Zeichen der Anpassung an die neue Realität. Die People’s Bank of China hat ebenfalls angekündigt, den Handel und Konsum stützen zu wollen, was die angespannte Lage unterstreicht.
Der vielzitierte "Durchbruch" im Handelsdeal zwischen den USA und Großbritannien entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als eher bescheidener Schritt. Zwar gibt es Erleichterungen für bestimmte Sektoren wie die britische Autoindustrie, aber die grundlegenden US-Zölle bleiben weitgehend bestehen. Andrew Bailey, der Gouverneur der Bank of England, nannte es zwar "gute Nachrichten", betonte aber auch, dass die effektive Zollbelastung höher bleibe als vor Beginn dieser Handelsverwerfungen. Es scheint, als wären solche Mini-Deals eher politische Symbolik als eine echte Kehrtwende.
Umso bemerkenswerter ist der Vorstoß Indiens, das den USA anbietet, seine Zölle drastisch zu senken, wenn es im Gegenzug von den US-Strafzöllen ausgenommen wird. Das zeigt, wie sehr einige Nationen bereit sind, für einen privilegierten Zugang zum US-Markt Zugeständnisse zu machen. Die EU hingegen, vertreten durch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, zeigt sich standhaft und will nur für eine echte Verhandlungslösung ins Weiße Haus reisen.
Die Analysten sind sich uneins, aber viele bleiben skeptisch. Zahlreiche Broker haben ihre Jahresendziele für den S&P 500 und ihre globalen Wachstumsprognosen bereits nach unten korrigiert. Fed-Gouverneur Michael Barr und auch die Experten der Deutschen Bank warnen vor spürbaren Belastungen für das Wirtschaftswachstum und steigender Inflation durch die Zollpolitik. EZB-Direktoriumsmitglied Olli Rehn sieht ebenfalls die Wachstumsrisiken durch einen globalen Handelskrieg. Es scheint, als müssten wir uns auf ein Umfeld mit strukturell höheren Zöllen einstellen, auch wenn kurzfristige "Deals" immer wieder für Hoffnung sorgen.
Geopolitische Brandherde: Die Welt als Pulverfass?
Neben den Handelskonflikten brodelt es an mehreren geopolitischen Fronten gefährlich:
Russland, China und der Westen: Die pompöse Siegesparade in Moskau, bei der Wladimir Putin und Chinas Präsident Xi Jinping demonstrativ Einigkeit zeigten, war eine klare Botschaft. Diese sich verfestigende Achse stellt die westliche Welt vor neue Herausforderungen, gerade vor dem Hintergrund des andauernden Ukraine-Krieges. Europa reagiert mit der Unterstützung eines Sondertribunals gegen Russland und neuen Sanktionen Großbritanniens gegen Moskaus "Schattenflotte" zur Umgehung von Ölsanktionen. Der neue deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz schloss bei seinem Antrittsbesuch in Brüssel gemeinsame EU-Verteidigungsanleihen für außergewöhnliche Umstände nicht aus – ein Zeichen dafür, dass Europa seine Sicherheitsarchitektur überdenkt. Zugleich mahnte er aber auch angesichts der weltweit steigenden Staatsschulden zur Vorsicht. Polen und Frankreich gehen noch einen Schritt weiter und haben einen militärischen Beistandspakt unterzeichnet. Diese Entwicklungen zeigen: Sicherheit hat ihren Preis, und die Bereitschaft, diesen zu zahlen, wächst in Europa.
Eskalation zwischen Indien und Pakistan: Beinahe unbemerkt von der großen Weltöffentlichkeit hat sich der Konflikt zwischen den beiden Atommächten Indien und Pakistan dramatisch zugespitzt. Berichte über gegenseitige Drohnen- und Artillerieangriffe, Tote und Flüchtende sind alarmierend. Es sind die schwersten Auseinandersetzungen seit fast drei Jahrzehnten. Ein Flächenbrand in dieser Region hätte nicht nur verheerende humanitäre Folgen, sondern könnte auch die globalen Märkte empfindlich treffen.
Ungelöste Krisen im Nahen Osten: Die Lage im Gazastreifen bleibt katastrophal. UNICEF kritisiert die neuen Hilfspläne scharf, da sie das Leid der Kinder eher noch vergrößern könnten. Die Rolle Israels bei der Sicherheit, nicht aber bei der Verteilung von Hilfsgütern, wird kontrovers diskutiert.
Die Märkte im Zangengriff: Hoffen, Bangen und die Rolle der Notenbanken
Wie reagieren die Finanzmärkte auf diese volatile Gemengelage?
Der Ölpreis konnte im Wochenverlauf zulegen, befeuert von der Hoffnung auf eine Deeskalation im US-Handelsstreit und dem jüngsten Abkommen mit Großbritannien. Allerdings bleibt die Sorge vor einem Überangebot durch Produktionssteigerungen der OPEC+ ein Bremsklotz. Die Aktienmärkte zeigten sich zeitweise erleichtert über positive Handelssignale, doch die fundamentalen Sorgen und die gesenkten Analystenprognosen dämpfen die Euphorie. Die US-Futures notierten heute eher verhalten. Der US-Dollar profitierte im Wochenverlauf von den Hoffnungen auf Handelsdeals.
Die Notenbanken bleiben im Fokus. EZB-Vertreter Olli Rehn betonte, dass die Desinflation zwar auf Kurs sei, die Wachstumsrisiken aber zunehmen. Von der US-Notenbank Fed hörten wir, dass man die "Standing Repo Facility" ausweiten will, um die Marktliquidität in Stressphasen zu stützen – eine eher technische, aber wichtige Maßnahme. Gleichzeitig äußern Fed-Vertreter wie Gouverneur Barr klar ihre Besorgnis über die negativen Auswirkungen der Zollpolitik.
Die wirtschaftliche Lage in Europa bleibt durchwachsen. Die italienische Industrieproduktion zeigte sich im März schwach, und die Ratingagentur S&P Global warnte, dass Rumänien aufgrund politischer Instabilität in den Junk-Bereich abrutschen könnte. In Kanada stieg die Arbeitslosenquote, was den Druck auf die Bank of Canada erhöht, möglicherweise die Zinsen zu senken.
Mein Fazit für Ihr Wochenende
Liebe Leserinnen und Leser, diese Woche hat uns einmal mehr gezeigt, dass wir in einer Welt der permanenten Veränderung und Unsicherheit leben. Klare, eindeutige Signale sind Mangelware. Stattdessen müssen wir lernen, mit Ambivalenz umzugehen – der Hoffnung auf Entspannung auf der einen Seite und der Realität fortbestehender Konflikte und Risiken auf der anderen.
Für Ihre Anlageentscheidungen bedeutet das weiterhin: Ruhe bewahren, aber wachsam bleiben. Streuen Sie Ihre Risiken breit und lassen Sie sich nicht von jedem kurzfristigen Zucken der Märkte aus der Bahn werfen. Die geopolitischen Entwicklungen und die handelspolitischen Entscheidungen der großen Akteure werden uns auch in den kommenden Wochen intensiv beschäftigen.
Ich wünsche Ihnen ein Wochenende, das Ihnen vielleicht etwas Zeit gibt, durchzuatmen und die Gedanken zu sammeln, bevor am Montag der Nachrichtenstrom von Neuem beginnt. Bleiben Sie kritisch und informiert!
Herzlichst,
Ihr Eduard Altmann