Medizintechnik im Aufwind: Wenn Daten zu Dollars werden

Die Medizintechnik-Branche verbindet deutsche Ingenieurskunst mit digitaler Innovation und profitiert von wachsenden Nischenmärkten wie Urologie-Equipment und Enzymen für die Genforschung.

Kurz zusammengefasst:
  • Globaler Urologie-Markt wächst auf 729 Millionen Dollar
  • Ligase-Enzyme erreichen 360 Millionen Dollar bis 2030
  • Siemens Healthineers kombiniert Hardware mit Softwarelösungen
  • KI-gestützte Diagnostik revolutioniert bildgebende Verfahren

Medizintechnik im Aufwind: Wenn Daten zu Dollars werden

Guten Tag aus Frankfurt,

während sich die Märkte heute Nachmittag auf die nächste Fed-Entscheidung vorbereiten, zeichnet sich in einem oft übersehenen Winkel der Wirtschaft eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte ab: Die Medizintechnik erlebt gerade ihren vielleicht entscheidendsten Transformationsmoment. Nicht durch bahnbrechende neue Geräte, sondern durch die geschickte Verknüpfung von künstlicher Intelligenz, präziser Diagnostik und – man höre und staune – dem guten alten Geschäft mit Verbrauchsmaterialien.

Was auf den ersten Blick wie eine Sammlung trockener Marktanalysen aussieht, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als Lehrstück über die Zukunft des Gesundheitswesens. Und während Europa bei KI-Chips und Cloud-Computing oft hinterherhinkt, könnte ausgerechnet die Medizintechnik zum Paradebeispiel werden, wie der alte Kontinent digitale Innovation mit industrieller Tradition verbindet.

Der 729-Millionen-Dollar-Markt, den kaum jemand kennt

Beginnen wir mit einer Zahl, die selbst Branchenkenner aufhorchen lässt: Der globale Markt für Zystoskopie und Ureteroskopie – zwei medizinische Verfahren zur Untersuchung der Harnwege – soll bis 2031 auf 729 Millionen Dollar wachsen. Das klingt nach einer Nische? Mag sein. Aber genau hier zeigt sich exemplarisch, wie die Medizintechnik funktioniert: spezialisiert, hochprofitabel und erstaunlich krisenresistent.

The Insight Partners prognostiziert eine jährliche Wachstumsrate von 6,9 Prozent. Treiber sind nicht etwa revolutionäre Durchbrüche, sondern demografischer Wandel und die schlichte Tatsache, dass Nierensteine und Blasenprobleme mit dem Alter zunehmen. In Asien-Pazifik, wo die Bevölkerung besonders schnell altert, explodiert der Markt geradezu. Indien hat sich binnen weniger Jahre zum Medizintourismus-Hotspot entwickelt – nicht trotz, sondern wegen seiner Spezialisierung auf kostengünstige, aber hochwertige urologische Eingriffe.

Für Anleger besonders interessant: Olympus, der japanische Optik-Riese, dominiert diesen Markt mit einem Anteil von geschätzten 35 Prozent. Das Unternehmen, das viele nur von Kameras kennen, macht längst den Großteil seiner Gewinne mit Medizintechnik. Ein klassisches Hidden-Champion-Geschäft, das von der breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird.

Die stille Revolution der Ligase-Enzyme

Noch spezialisierter, noch profitabler: Der Markt für Ligase-Enzyme, jene molekularen Werkzeuge, die in der Genforschung und Diagnostik unverzichtbar sind. Mit einem Volumen von aktuell 250 Millionen Dollar mag er winzig erscheinen. Doch MarketsandMarkets sieht hier bis 2030 ein Wachstum auf 360 Millionen Dollar – bei Margen, von denen Autohersteller nur träumen können.

Was macht diesen Markt so attraktiv? Es ist die perfekte Schnittmenge aus Megatrends: Next-Generation-Sequencing für personalisierte Medizin, mRNA-Technologie (denken Sie an die Corona-Impfstoffe) und synthetische Biologie. New England Biolabs und Thermo Fisher Scientific teilen sich hier den Löwenanteil eines Marktes, der praktisch keine Substitutionsgefahr kennt. Wer einmal ein Forschungsprotokoll mit bestimmten Enzymen etabliert hat, wechselt selten den Anbieter.

Die eigentliche Story ist aber eine andere: Diese Enzyme sind die Grundbausteine der Präzisionsmedizin. Jeder Fortschritt in der Krebstherapie, jede neue Gentherapie, jedes personalisierte Medikament benötigt diese molekularen Werkzeuge. Es ist, als würde man die Schrauben und Muttern der biotechnologischen Revolution verkaufen – unglamourös, aber unverzichtbar.

Wenn Tradition auf KI trifft: Die Alzheimer-Wette

Besonders spannend wird es, wenn klassische Pharmaforschung auf moderne KI-Ansätze trifft. Galimedix Therapeutics hat gerade erfolgreich eine Phase-1-Studie mit GAL-101 abgeschlossen, einem oral verfügbaren Wirkstoff gegen Alzheimer. Das Besondere: Statt auf die umstrittenen und nebenwirkungsreichen Antikörper-Therapien zu setzen, geht Galimedix einen anderen Weg – kleine Moleküle, die gezielt fehlgefaltete Proteine adressieren.

Die Börse nimmt solche Nachrichten meist achselzuckend zur Kenntnis. Zu oft haben Alzheimer-Hoffnungen enttäuscht. Doch diesmal könnte es anders sein. GAL-101 überwindet nachweislich die Blut-Hirn-Schranke und zeigte in der Studie ein exzellentes Sicherheitsprofil. Keine der gefürchteten Hirnschwellungen (ARIA), die bei Antikörper-Therapien auftreten.

CEO Alexander Gebauer gibt sich selbstbewusst: Man plane bereits die Phase-2-Studie und sehe Potenzial als „zukünftigen Behandlungsstandard“. Große Worte für ein kleines Biotech-Unternehmen. Aber der Markt ist gigantisch: Allein in Deutschland leiden 1,8 Millionen Menschen an Demenz, weltweit sind es über 55 Millionen. Die ersten wirksamen Therapien könnten Blockbuster-Status erreichen – mit Jahresumsätzen im zweistelligen Milliardenbereich.

Europa zwischen Datenschutz und Innovation

Hier zeigt sich ein typisch europäisches Dilemma: Während US-Firmen munter Gesundheitsdaten sammeln und auswerten, ringen wir noch mit DSGVO-konformen Lösungen. Dabei wäre gerade die Kombination aus Europas exzellenter Grundlagenforschung und amerikanischer Kommerzialisierungskraft ideal.

Ein Hoffnungsschimmer: Die European Health Data Space (EHDS) Initiative, die Anfang 2025 verabschiedet wurde, soll endlich grenzüberschreitenden Datenaustausch ermöglichen. Wenn Forscher in München auf anonymisierte Patientendaten aus Stockholm zugreifen können, beschleunigt das die Entwicklung neuer Therapien enorm. Die Frage ist nur: Kommen wir damit schnell genug voran, bevor US-Tech-Giganten mit ihren KI-Modellen den Markt dominieren?

Das unterschätzte Geschäft mit dem Sichtbaren

Während alle Welt über KI und Quantencomputer spricht, macht die klassische Medizintechnik einfach weiter Kasse. Die Nachfrage nach bildgebenden Verfahren steigt unaufhaltsam. Nicht nur wegen der alternden Bevölkerung, sondern auch weil die Geräte immer besser werden. 4K-Auflösung bei Endoskopen ist heute Standard, KI-gestützte Bildanalyse erkennt Tumore früher als das menschliche Auge.

Siemens Healthineers, Europas Aushängeschild in diesem Bereich, profitiert massiv von diesem Trend. Die Erlanger kombinieren deutsche Ingenieurskunst mit digitaler Innovation – und zeigen damit, dass Europa durchaus mithalten kann. Ihr Geheimnis: Sie verkaufen nicht nur Geräte, sondern komplette Lösungen inklusive Software, Service und Datenanalyse. Ein Geschäftsmodell, das Margen von über 15 Prozent ermöglicht.

Was bedeutet das für Anleger?

Die Medizintechnik-Branche bietet aktuell eine seltene Kombination: Defensive Qualitäten gepaart mit Wachstumspotenzial. Während Tech-Aktien unter Zinsspekulationen leiden und Industriewerte mit Konjunktursorgen kämpfen, läuft das Geschäft mit Gesundheit weitgehend unbeeindruckt weiter.

Besonders interessant sind dabei drei Segmente:

Erstens, die „Verbrauchsmaterial-Könige“: Unternehmen wie Sartorius oder Eppendorf, die Laborbedarf liefern. Langweilig? Vielleicht. Aber mit wiederkehrenden Umsätzen und hohen Switching-Kosten.

Zweitens, die „Daten-Veredler“: Firmen, die medizinische Daten in verwertbare Erkenntnisse verwandeln. Hier ist noch vieles im Fluss, aber die Gewinner könnten astronomische Bewertungen erreichen.

Drittens, die „Konsolidierer“: Große Player wie Thermo Fisher oder Danaher, die durch gezielte Übernahmen wachsen und Synergien heben. In einem fragmentierten Markt eine bewährte Strategie.

Der Blick nach vorn

Die kommende Woche wird spannend. Am Mittwoch entscheidet die Fed über die Zinsen – mit potenziellen Auswirkungen auf die Bewertungen im Biotech-Sektor. Gleichzeitig startet in Basel die wichtigste europäische Biotech-Konferenz. Und Siemens Healthineers präsentiert am Donnerstag seine Quartalszahlen, die Aufschluss über die Geschäftsentwicklung in China geben dürften.

Langfristig zeichnet sich ab: Die Medizintechnik wird zum Testfeld für die Verschmelzung von Hardware und Software, von Tradition und Innovation. Wer hier die richtige Balance findet, kann in einem Markt reüssieren, der in den nächsten Jahren von 500 Milliarden auf über eine Billion Dollar wachsen dürfte.

Die eigentliche Frage ist nicht, ob dieser Markt wächst – das ist demographisch vorprogrammiert. Die Frage ist, wer die Gewinner sein werden. Und ob Europa es schafft, seine starke Position in der Medizintechnik in die digitale Ära zu retten. Die Chancen stehen besser, als viele glauben.

Ein Gedanke zum Wochenende: Während wir über künstliche Intelligenz philosophieren und uns vor Robotern fürchten, die unsere Jobs übernehmen, arbeitet die Medizintechnik-Branche still und leise an etwas viel Fundamentalerem – der Verlängerung und Verbesserung unseres Lebens. Vielleicht sollten wir unseren Blick öfter auf diese Hidden Champions richten, statt nur den großen Tech-Konzernen hinterherzulaufen.

Ich wünsche Ihnen ein erkenntnisreiches Wochenende und erfolgreiche Anlageentscheidungen!

Ihr Eduard Altmann

P.S.: Nächste Woche werfen wir einen Blick auf die erstaunliche Renaissance der europäischen Rüstungsindustrie. Spoiler: Es geht um mehr als nur Waffen – es geht um Europas technologische Souveränität.


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Apropos Europas technologische Zukunft: Während Siemens Healthineers mit Medizintechnik Maßstäbe setzt, spielt sich parallel im Chip-Sektor der wohl größte Umbruch seit Jahrzehnten ab. Hier fließen Milliardeninvestitionen in neue Fabriken, KI-Beschleuniger und strategische Allianzen zwischen den USA, Europa und China. Wer verstehen will, welche Aktie dabei als „neue Nvidia“ gehandelt wird – und warum sie trotz geopolitischer Spannungen enormes Aufwärtspotenzial hat – findet die Details in dieser Analyse: Die neue Nvidia – Hintergründe und Investmentchance

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