Liebe Leserinnen und Leser,
gestern sprachen wir an dieser Stelle noch über das wilde Übernahme-Feuerwerk bei den Einzelwerten, heute legt sich eine fast schon verdächtige Stille über das Parkett. Der DAX hat es sich oberhalb der Marke von 24.100 Punkten bequem gemacht, ein Plus von rund einem halben Prozent, und auch die Wall Street übt sich in Zurückhaltung. Doch lassen Sie sich von dieser Lethargie nicht in Sicherheit wiegen: Was wir sehen, ist keine Stabilität, sondern kollektives Luftanhalten.
Während die Händler auf ihren Bildschirmen den Countdown bis zur morgigen Fed-Entscheidung verfolgen, offenbaren die heute veröffentlichten Daten zur deutschen Realwirtschaft Risse, die kein Zinsschritt der Welt so schnell kitten kann. Die Ruhe an den Märkten überdeckt eine fundamentale Verschiebung in der deutschen Handelsbilanz.
Hier ist, was heute wirklich zählt.
Der Export-Motor läuft unrund – und verliert seine besten Kunden
Wenn wir den Puls der deutschen Wirtschaft fühlen wollen, schauen wir auf die Exporte. Die Zahlen, die das Statistische Bundesamt heute Morgen für den Oktober 2025 vorlegte, wirken auf den ersten Blick harmlos: ein minimales Plus von 0,1 Prozent gegenüber dem Vormonat. Stagnation auf hohem Niveau, könnte man meinen.
Doch der Blick in das geographische Detail gleicht einem Schockmoment. Unsere beiden wichtigsten außereuropäischen Wachstumsmotoren fallen aus. Die Exporte in die USA brachen um empfindliche 7,8 Prozent ein, das Geschäft mit China schrumpfte um 5,8 Prozent. Dass unter dem Strich überhaupt noch ein grünes Vorzeichen steht, verdanken wir einzig dem europäischen Binnenmarkt (+2,7 Prozent).
Die Analyse: Dies ist mehr als eine monatliche Delle; es ist ein Symptom der geostrategischen Fragmentierung. Wenn die beiden größten Volkswirtschaften der Welt – USA und China – signifikant weniger „Made in Germany“ ordern, gerät das Geschäftsmodell der exportabhängigen deutschen Industrie ins Wanken. Die Hoffnung, dass es sich hierbei nur um kalendarische Effekte handelt, erscheint angesichts der protektionistischen Tendenzen weltweit naiv.
Washingtons Zins-Poker und Nvidias China-Dilemma
Während Deutschland seine Handelsbilanz sortiert, wartet die Finanzwelt auf Jerome Powell. Der Offenmarktausschuss der US-Notenbank hat seine Beratungen aufgenommen. Die Märkte haben ihre Wette längst platziert: Eine Wahrscheinlichkeit von rund 90 Prozent für eine Zinssenkung um 25 Basispunkte ist eingepreist.
Viel spannender ist jedoch das geopolitische Schachspiel, das sich im Hintergrund vollzieht. Nvidia bleibt der Spielball zwischen Washington und Peking. Die Trump-Administration hat zwar den Export bestimmter H200-Chips nach China unter Auflagen genehmigt – verknüpft dies jedoch mit einem saftigen Zoll von 25 Prozent.
Für Anleger ist das eine entscheidende Lehre: Tech-Konzerne operieren nicht mehr im luftleeren Raum der freien Marktwirtschaft. Politische Risiken sind bei Tech-Werten keine Fußnote im Geschäftsbericht mehr, sondern ein fundamentaler Bewertungsfaktor. Dass sich die Aktie heute dennoch robust zeigte, spricht für die enorme Marktmacht des Konzerns, ändert aber nichts an der neuen Realität.
Genau diese geopolitische Dimension der Chip-Industrie analysiert Bernd Wünsche in seinem aktuellen Webinar. Er zeigt, welche vier Halbleiter-Aktien trotz der politischen Verwerfungen zwischen USA und China vom Chip-Boom profitieren können – und warum die Branche gerade erst am Anfang einer historischen Entwicklung steht. Dabei geht es nicht nur um die bekannten Namen, sondern um strategische Positionierungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Webinar: Die 4 Chip-Aktien für die neue Ära
Krypto: Die neue Bürgerlichkeit
Ein kurzer Blick auf den Krypto-Sektor, der sich nach den jüngsten Bewegungen auf hohem Niveau einpendelt. Bitcoin notiert stabil bei rund 90.500 US-Dollar.
Was wir hier beobachten, ist eine Art „Verbürgerlichung“ einer einstigen Rebellen-Klasse. Die institutionelle Adaption schreitet voran; immer mehr traditionelle Finanzhäuser integrieren Krypto-Dienstleistungen so selbstverständlich in ihr Portfolio wie Bausparverträge. Gleichzeitig wandelt sich das Narrativ bei Stablecoins: Weg vom digitalen Gold, hin zum digitalen Dollar-Ersatz für den globalen Zahlungsverkehr.
Was das für Sie bedeutet
Der heutige Tag mag vom Warten auf die Fed geprägt sein, doch die unterliegenden Trends erfordern Handlungsbedarf:
- Selektion bei Export-Titeln: Die Schwäche in den USA und China trifft den klassischen deutschen Maschinenbau und die Autoindustrie ins Mark. Wer hier investiert bleibt, braucht starke Nerven. Werte wie Rheinmetall, deren Sonderkonjunktur wir gestern beleuchteten, folgen indes völlig anderen Zyklen und bleiben von dieser Export-Delle weitgehend unberührt.
- Tech bleibt politisch: Der Fall Nvidia demonstriert, dass Gewinne im Chinageschäft künftig nur noch mit politischem Segen und unter Zollauflagen möglich sind. Rechnen Sie diese „Geopolitik-Prämie“ in Ihre Bewertungen ein.
- Die große Divergenz: Während die USA morgen voraussichtlich die Zinsen senken, sendete EZB-Direktorin Isabel Schnabel zuletzt eher falkenhafte Signale aus Frankfurt. Der Euro notiert aktuell bei rund 1,08 Dollar. Sollten sich die Geldpolitiken beider Blöcke 2026 weiter auseinanderentwickeln, wird das Währungspaar zum entscheidenden Faktor für Ihr Depot.
Morgen Abend wissen wir, welchen Kurs der Dollar einschlägt. Bis dahin gilt: Genießen Sie die Ruhe, sie ist trügerisch.
Herzlichst,
Ihr
Eduard Altmann
