Liebe Leserinnen und Leser,
während ich diese Zeilen schreibe, scheint sich die Lage im Nahen Osten zu beruhigen – zumindest oberflächlich. Der von Trump vermittelte Waffenstillstand zwischen Israel und Iran hält vorerst, auch wenn beide Seiten weiter mit dem Säbel rasseln. Die Ölmärkte atmen auf, doch die wahren Herausforderungen liegen möglicherweise ganz woanders. Lassen Sie uns heute einen Blick darauf werfen, warum fallende Energiepreise nicht nur Grund zur Freude sind und was die jüngsten Wirtschaftsdaten für unsere Portfolios bedeuten.
Waffenstillstand mit Fragezeichen
"Obliteration" – so beschrieb Trump noch vor wenigen Tagen das Schicksal der iranischen Atomanlagen. Jetzt feiert er sich als Friedensstifter. Die Wahrheit liegt, wie so oft, irgendwo dazwischen. Ja, die US-Luftschläge haben Irans Nuklearprogramm getroffen. Aber "ausgelöscht", wie Trump behauptet? Die eigenen Geheimdienste widersprechen: Maximal ein paar Monate Verzögerung, mehr nicht.
Was mich besonders nachdenklich stimmt: Die Rhetorik bleibt explosiv. Iran spricht von "ewigen Konsequenzen", Israel hält sich alle Optionen offen. Das klingt nicht nach dauerhaftem Frieden, sondern nach einer fragilen Atempause. Interessanterweise scheinen die Märkte das ähnlich zu sehen – der Ölpreis fiel zwar, aber nicht ins Bodenlose.
Bei knapp 68 Dollar für Brent-Öl befinden wir uns auf dem niedrigsten Stand seit Mitte Juni. Für uns Verbraucher zunächst eine gute Nachricht. Doch Vorsicht: Die strategisch wichtige Straße von Hormus bleibt ein Pulverfass. Sollte der Waffenstillstand brechen, könnten die Preise schneller explodieren als wir "Tankstelle" sagen können.
Die unterschätzte Gefahr: Stagflation ante portas?
Während alle auf den Nahen Osten starren, braut sich an der Wirtschaftsfront ein Sturm zusammen, der mich weitaus mehr beunruhigt. JPMorgan – nicht gerade für Schwarzmalerei bekannt – warnt vor einem "stagflationären" Abschwung in den USA. Die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in der zweiten Jahreshälfte? Satte 40 Prozent!
Was bedeutet Stagflation? Das Schlimmste aus beiden Welten: schwaches Wachstum bei gleichzeitig steigenden Preisen. Die 1970er Jahre lassen grüßen. Haupttreiber sind Trumps Zollpläne, die ab Juli greifen könnten. JPMorgan rechnet mit einem US-Wachstum von mageren 1,3 Prozent – vor wenigen Monaten waren noch 2 Prozent prognostiziert.
Für uns in Europa ist das keine gute Nachricht. Wenn die US-Wirtschaft hustet, bekommt die Eurozone meist eine Lungenentzündung. Immerhin: Der schwache Dollar könnte unseren Exporteuren helfen. Aber das ist ein schwacher Trost angesichts der drohenden Handelskonflikte.
Powell im Kreuzfeuer: Die Fed zwischen Hammer und Amboss
Jerome Powell hatte diese Woche keinen leichten Job. Zwei Tage lang musste sich der Fed-Chef vor dem Kongress rechtfertigen – und die Botschaft war durchwachsen. Ja, die Inflation sei zurückgegangen. Aber nein, Zinssenkungen gebe es nicht im Hauruck-Verfahren.
Besonders pikant: Powell warnte explizit vor den inflationären Effekten der Zollpläne. "Wir sollten das im Sommer sehen, in den Juni- und Juli-Zahlen", sagte er. Mit anderen Worten: Genau dann, wenn alle auf Zinssenkungen hoffen, könnte die Inflation wieder anziehen. Ein Dilemma, wie es im Buche steht.
Die Märkte preisen trotzdem zwei Zinssenkungen in diesem Jahr ein. Ich halte das für optimistisch. Powell machte klar: Solange Unsicherheit herrscht, bleibt die Fed vorsichtig. Und Unsicherheit? Die haben wir reichlich.
Technologie unter Druck: Die Grenzen des Wachstums
Abseits der Makro-Dramen zeigen sich im Tech-Sektor erste Ermüdungserscheinungen. Texas Instruments erhielt zwar ein höheres Kursziel, aber das Rating bleibt bei "Hold". Die Botschaft: Die Party ist noch nicht vorbei, aber die beste Musik wurde schon gespielt.
Besonders interessant finde ich die Übernahme von Regulus Therapeutics durch Novartis. Der Pharma-Riese zahlt bis zu 14 Dollar pro Aktie – ein satter Aufschlag. Das zeigt: Trotz aller Unsicherheit ist Kapital für gute Deals vorhanden. Aber es wird selektiver investiert.
Die wahre Story im Tech-Bereich spielt sich allerdings woanders ab: Die zunehmende Verflechtung mit dem Militär. Microsofts KI-Deals mit dem Pentagon sind nur die Spitze des Eisbergs. Silicon Valley wandelt sich vom Hippie-Paradies zur Waffenschmiede des 21. Jahrhunderts. Eine Entwicklung, die ethische Fragen aufwirft – und Investmentchancen.
Der deutsche Blick: Zwischen Hoffen und Bangen
Für uns deutsche Anleger ergibt sich ein gemischtes Bild. Die fallenden Ölpreise entlasten unsere energieintensive Industrie – endlich mal eine gute Nachricht. Der schwache Dollar macht Importe billiger, schadet aber unseren Exporteuren. Und die drohende US-Rezession? Die würde uns hart treffen.
Interessant sind die Signale aus der Tschechischen Republik. Die Notenbank hält die Zinsen bei 3,5 Prozent – trotz Inflationsrückgang. Das "Stop-and-Go"-Muster, wie es die Analysten nennen, zeigt die Unsicherheit der Währungshüter. Niemand will der Erste sein, der zu früh lockert.
Was tun in diesem Umfeld? Diversifikation bleibt das Gebot der Stunde. Ich persönlich schaue mir defensive Werte genauer an. Versorger, Konsumgüter, Gesundheit – langweilig, aber in unsicheren Zeiten Gold wert. Auch Cash ist keine schlechte Position. Bei 3,5 Prozent Tagesgeld kann man entspannt auf Kaufgelegenheiten warten.
Mein Fazit: Die Ruhe trügt
Liebe Leserinnen und Leser, lassen Sie sich nicht von den ruhigen Märkten täuschen. Unter der Oberfläche brodelt es gewaltig. Der Nahost-Konflikt ist nicht gelöst, nur vertagt. Die Weltwirtschaft steht vor einem gefährlichen Mix aus schwachem Wachstum und Inflationsrisiken. Und die Notenbanken? Die tasten sich im Nebel voran.
Was bedeutet das für uns? Bleiben Sie wachsam. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob der Waffenstillstand hält und wie hart die Zölle zuschlagen. Besonders gespannt bin ich auf die US-Inflationsdaten im Juli. Sie könnten der Schlüssel für die weitere Marktentwicklung sein.
Eine Frage möchte ich Ihnen heute mitgeben: Wie positionieren Sie sich für eine mögliche Stagflation? Setzen Sie auf Sachwerte? Bleiben Sie liquide? Oder ignorieren Sie die Warnzeichen? Ich freue mich auf Ihre Gedanken.
Bleiben Sie besonnen in unruhigen Zeiten,
Ihr Eduard Altmann