Pharma-Revolution, KI-Disziplin und der Preis der Macht
Liebe Leserinnen und Leser,
während Europa noch über Erbschaftssteuern und Feiertage diskutiert, vollzieht sich in der globalen Wirtschaft ein faszinierender Paradigmenwechsel: Cannabis wird zur Pharma-Hoffnung, Künstliche Intelligenz predigt Disziplin statt Flexibilität, und die Geopolitik diktiert zunehmend die Rohstoffmärkte. Zeit für einen Blick auf die Geschichten, die unsere Wirtschaftswelt in den kommenden Jahren prägen werden.
Die Milliarden-Wette auf medizinisches Cannabis
In Washington zeichnet sich eine bemerkenswerte Transformation ab. Während die Debatte um Cannabis-Legalisierung in Deutschland noch immer emotional geführt wird, hat das US-Unternehmen MMJ International Holdings einen völlig anderen Weg eingeschlagen: Keine Joints, sondern FDA-zugelassene Medikamente.
Das Kalkül ist bestechend. Der Cannabis-basierte Wirkstoff Epidiolex generiert bereits heute fast eine Milliarde Dollar Jahresumsatz – bei gerade mal 100.000 Patienten weltweit. MMJ zielt nun mit standardisierten Softgel-Kapseln auf deutlich größere Märkte: Multiple Sklerose, Huntington-Krankheit und perspektivisch chronische Schmerzen. Letzterer Markt allein umfasst in den USA über 20 Milliarden Dollar jährlich.
Was macht den Ansatz so besonders? CEO Duane Boise, dessen beide Eltern an Parkinson litten, verfolgt eine „Seed-to-Softgel“-Strategie. Vom eigenen Anbau über DEA-lizenzierte Labore bis zur FDA-Zulassung – alles aus einer Hand. Die bereits erteilte Orphan Drug Designation für die Huntington-Behandlung verschafft dem Unternehmen sieben Jahre Marktexklusivität und massive Steuervorteile.
Für europäische Pharmakonzerne wird das zur strategischen Frage: Während Bayer und Co. noch an klassischen Molekülen forschen, könnte aus der Cannabis-Ecke eine neue Generation von Blockbuster-Medikamenten entstehen. Die Ironie dabei: Was in Amsterdam im Coffeeshop verkauft wird, könnte bald als hochpreisiges Pharmazeutikum die Kassen klingeln lassen.
Software mit Meinung: Wenn KI die Kontrolle übernimmt
Aus dem Silicon Valley schwappt gerade ein kontraintuitiver Trend zu uns herüber: Weniger Optionen, mehr Erfolg. Das Start-up Mab.io wirft sämtliche Regeln des modernen Projektmanagements über Bord und verordnet Teams eine digitale Zwangsjacke – mit erstaunlichem Echo.
Statt unendlicher Anpassungsmöglichkeiten gibt es vier fixe Rollen. Statt flexibler Workflows zehn unveränderliche Status-Stufen. Setup-Zeit? Null. Das System kommt fertig aus der Box, und wer es nutzt, muss sich fügen. „Mab.io ist nicht hier, um sich Ihrem Prozess anzupassen. Es ist hier, um ihn zu ersetzen“, heißt es selbstbewusst.
Diese „opinionated software“ trifft einen Nerv. Unternehmen verbringen heute oft mehr Zeit mit Tool-Konfiguration als mit echter Arbeit. Manche beschäftigen sogar Vollzeit-„Workspace-Architekten“. Die Gegenthese von Mab.io: Klarheit schlägt Flexibilität.
Für deutsche Mittelständler, die oft zwischen SAP-Komplexität und Excel-Chaos pendeln, könnte dieser Ansatz durchaus reizvoll sein. Weniger Diskussion über Prozesse, mehr Fokus auf Ergebnisse. Ob sich die digitale Diktatur durchsetzt? Der Markt wird es zeigen. Aber dass selbst Software-Anbieter jetzt auf weniger statt mehr setzen, sagt viel über unsere Überforderung mit der digitalen Transformation aus.
Geopolitik meets Rohstoffmärkte: Die neue Normalität
Die Gespräche zwischen Washington und Peking in Madrid illustrieren perfekt, wie sehr sich die Spielregeln der Weltwirtschaft gewandelt haben. US-Finanzminister Scott Bessent knüpft weitere Russland-Sanktionen an eine bemerkenswerte Bedingung: Alle NATO-Staaten sollen Strafzölle von 50 bis 100 Prozent auf chinesische Importe erheben.
Das ist ökonomischer Sprengstoff. Die Logik dahinter: China kauft russisches Öl und finanziert damit indirekt Putins Kriegskasse. Also soll Peking über Handelshürden zur Räson gebracht werden. Gleichzeitig verhandeln die Supermächte über TikToks Zukunft – die App bekommt wohl ihre vierte Gnadenfrist seit Trumps Amtsantritt.
Parallel verschärft sich der Ton zwischen den USA und Indien. Washington hat bereits Strafzölle auf indische Waren verhängt, weil Delhi weiter russisches Öl kauft. Die Reaktion? Premierminister Modi reiste erstmals seit sieben Jahren nach China, neue Handelsabkommen wurden unterzeichnet. Die Welt sortiert sich neu – und Europa steht dazwischen.
Für deutsche Unternehmen bedeutet das: Die Zeit der reinen Wirtschaftslogik ist vorbei. Lieferketten werden zu geopolitischen Statements, Handelspartner zu strategischen Verbündeten oder Gegnern. Wer in Indien produziert, muss mit US-Zöllen rechnen. Wer in China investiert, könnte in Brüssel Probleme bekommen.
Der deutsche Blick: Zwischen Steuerdebatte und globalen Umbrüchen
Während sich international tektonische Verschiebungen vollziehen, diskutiert die deutsche Politik über Erbschaftssteuern. Unions-Fraktionschef Jens Spahn hat mit seiner Kritik an der Vermögensverteilung eine überfällige Debatte angestoßen. Die Zahlen sind eindeutig: Von 463 Vermögensübertragungen über 100 Millionen Euro in den letzten zehn Jahren blieben 258 komplett steuerfrei.
Doch die eigentliche Frage ist eine andere: Können wir uns diese Nabelschau noch leisten? Während wir über Freibeträge streiten, bauen die USA eine Cannabis-Pharmaindustrie auf. Während wir Feiertage zählen, definiert das Silicon Valley Arbeitsweisen neu. Während wir über Vermögenssteuern philosophieren, verschieben sich global die Machtzentren.
Die gute Nachricht: Deutschland hat noch immer industrielle Stärke, Innovationskraft und Kapital. Die schlechte: Andere sind schneller, mutiger, entschlossener. Frankreichs Abstufung durch Fitch diese Woche war ein Warnschuss – auch für uns.
Ausblick: Was die Woche bringt
Die kommenden Tage versprechen Spannung. Am Dienstag beginnt das zweitägige Fed-Meeting – die erste Zinssenkung seit Dezember 2024 gilt als sicher, spannend wird Jerome Powells Ausblick. Die EZB-Protokolle am Donnerstag dürften zeigen, wie groß die Sorgen über Europas Wachstumsschwäche wirklich sind. Und das arabisch-islamische Gipfeltreffen in Doha könnte die Energiemärkte bewegen.
Unternehmensseitig stehen Quartalsberichte der Tech-Riesen Oracle (Montag) und Adobe (Donnerstag) an. Beide Aktien haben dieses Jahr bereits über 30 Prozent zugelegt – die Erwartungen sind entsprechend hoch.
Die vielleicht wichtigste Frage aber wird in Madrid nicht beantwortet werden: Entwickelt sich aus dem Handelskrieg ein neuer Kalter Krieg? Die Signale deuten darauf hin. Für Anleger und Unternehmer bedeutet das: Die Welt wird nicht einfacher, sondern komplexer. Diversifikation war nie wichtiger als heute – geografisch, politisch und strategisch.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen erfolgreichen Start in die neue Woche. Bleiben Sie wachsam, bleiben Sie flexibel – und vergessen Sie bei aller Geopolitik nicht: Am Ende zählen noch immer Innovation, Qualität und der Mut, neue Wege zu gehen.
Herzliche Grüße aus der Redaktion
Eduard Altmann
P.S.: Die Cannabis-Revolution in der Pharmabranche erinnert mich an die frühen Tage der Biotechnologie. Damals belächelt, heute Billiardenmarkt. Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich – manchmal sogar auf völlig unerwartete Weise.
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Apropos technologische Umbrüche: Während Europa noch nach seiner Rolle sucht, wird die Halbleiterindustrie zum zentralen Schauplatz des neuen Kalten Krieges. Staaten investieren dreistellige Milliardenbeträge in Chipfabriken – ähnlich wie einst beim Öl-Boom des 20. Jahrhunderts. Für Investoren eröffnet das Chancen, die historisch selten sind. Eine aktuelle Analyse zeigt, welche europäische Firma bereits als „die neue Nvidia“ gehandelt wird und von geopolitischen Programmen wie dem EU Chips Act profitieren könnte. Hier finden Sie die Details zur möglichen Gewinner-Aktie im Chip-Sektor.