Liebe Leserinnen und Leser,
es ist Freitagnachmittag, und während sich viele von Ihnen vielleicht schon auf ein erholsames Wochenende einstellen, brodelt es an den globalen Finanz- und Politfronten weiter gewaltig. Die Nachrichtenlage der letzten Tage, verdichtet sich heute zu einem Bild, das an ein geopolitisches Schachspiel auf mehreren Brettern gleichzeitig erinnert – und bei dem die Regeln jederzeit geändert werden können. Von eskalierenden Handelskonflikten über schrille Töne aus der US-Politik bis hin zu handfesten militärischen Auseinandersetzungen: Die Nervosität ist mit Händen zu greifen. Versuchen wir gemeinsam, die wichtigsten Fäden dieses komplexen Gespinstes zu entwirren.
Der Zoll-Tsunami rollt: Europa zwischen den Mahlsteinen
Das Schreckgespenst der Strafzölle, es scheint uns einfach nicht mehr loslassen zu wollen. Diese Woche hat es noch einmal an hässlicher Fratze gewonnen. Besonders hier in Europa spüren wir die kalte Dusche, die über den Atlantik schwappt. Die Chefin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, zeichnete heute ein düsteres Bild: Bis zu 90.000 Arbeitsplätze könnten in Deutschland allein durch die US-Zollpolitik binnen eines Jahres verloren gehen. Eine Zahl, die aufhorchen lässt und zeigt, wie verletzlich unsere exportorientierte Wirtschaft ist. Und wir sind nicht allein: Kanada meldete heute eine Arbeitslosenquote auf einem Mehrjahreshoch – auch hier werden die US-Zölle als ein wesentlicher Treiber genannt. Es ist diese "erratische Handelspolitik", wie Nahles es treffend nannte, die Unternehmen massiv verunsichert und Investitionen lähmt.
Doch die Bedrohung ist nicht nur abstrakt. Mario Centeno, ein Mitglied des EZB-Rats, warnte heute eindringlich vor den deflationären Auswirkungen der US-Zölle auf die europäische Wirtschaft. Er prognostiziert, dass die Inflationsrate in der Eurozone Anfang 2026 auf besorgniserregende 1% oder knapp darüber zusteuern könnte. Das ist ein Szenario, das die Europäische Zentralbank vor enorme Herausforderungen stellen würde, denn Deflation ist Gift für jede Volkswirtschaft. Man mag sich kaum ausmalen, welche geldpolitischen Verrenkungen dann nötig würden.
Ein besonderes Sorgenkind in diesem Kontext ist die Schweiz. Der starke Franken, traditionell ein sicherer Hafen, wird nun zum Problem und könnte die Eidgenossen tatsächlich zurück in die Ära der Negativzinsen zwingen. Die Schweizerische Nationalbank interveniert bereits am Devisenmarkt, um eine weitere Aufwertung zu verhindern – und prompt landete die Schweiz auf der US-Beobachtungsliste für mögliche Währungsmanipulation. Ein Teufelskreis.
Gibt es denn gar keine Lichtblicke? Vielleicht ein kleiner. Die EU signalisiert zumindest Gesprächsbereitschaft und erwägt eine Senkung der Zölle auf US-Düngemittel. Ob das allerdings mehr ist als ein Tropfen auf den heißen Stein, muss sich erst noch zeigen. Denn auf der anderen Seite des globalen Handelspokers sitzt China und spielt seine Karten geschickt aus. Peking nutzt Exportlizenzen für Seltene Erden – essenziell für unzählige Hightech-Produkte – als gezieltes Druckmittel. Selbst ein Telefonat zwischen US-Präsident Trump und Chinas Präsident Xi brachte hier offenbar keine dauerhafte Entspannung. Die Abhängigkeit Europas und der USA von diesen Rohstoffen ist ein strategischer Schwachpunkt, der immer deutlicher zutage tritt.
Trumps Theaterdonner: Zinsen, Zoff und eine nervöse Fed
Apropos Donald Trump: Der US-Präsident sorgt weiterhin für reichlich Wirbel, und das nicht nur an der Zollfront. Mit gewohnt polternder Rhetorik forderte er von der US-Notenbank Federal Reserve eine Zinssenkung um einen vollen Prozentpunkt! Eine solche Einmischung in die Geldpolitik ist, gelinde gesagt, unüblich und zeigt, wie sehr die Nerven blank liegen könnten, sollte sich die US-Wirtschaft weiter eintrüben. Notenbanken, die üblicherweise in Viertelprozent-Schritten agieren, dürften diese Forderung mit mehr als nur Kopfschütteln quittieren.
Und dann wäre da noch der fast schon bizarre öffentliche Schlagabtausch zwischen Trump und Tech-Milliardär Elon Musk. Ein Streit, der sich über Subventionen, Regierungsaufträge und Trumps Steuerpolitik entzündete und die Aktie von Tesla zeitweise auf Talfahrt schickte. Dass die beiden Alphatiere nun angeblich wieder miteinander telefonieren wollen, um die Wogen zu glätten, wirkt fast wie eine Seifenoper. Doch es illustriert die extreme Volatilität und Unberechenbarkeit, die derzeit von der US-Spitze ausgeht und die Märkte immer wieder durchschüttelt. Investoren haben für dieses Phänomen ja schon einen eigenen Begriff geprägt: den "TACO-Trade" – Trump Always Chickens Out. Man rechnet also schon fast damit, dass auf lautes Getöse oft ein Rückzieher folgt. Planbarkeit sieht anders aus.
Die heute veröffentlichten US-Arbeitsmarktdaten passen irgendwie ins Bild dieser diffusen Lage. Zwar wurden mit 139.000 neuen Stellen etwas mehr geschaffen als erwartet, doch die Zahlen für den Vormonat wurden nach unten korrigiert. Die Arbeitslosenquote verharrt bei 4,2%. Ein eindeutiges Signal sendet der Arbeitsmarkt damit nicht – weder für eine robuste Wirtschaft noch für eine unmittelbar bevorstehende Rezession. Die Fed dürfte sich in ihrer abwartenden Haltung bestätigt sehen und Trumps Zinssenkungs-Wunsch vorerst wohl nicht erfüllen.
Krieg und "Frieden": Europas Sicherheit auf dem Prüfstand
Als wäre die handelspolitische und innenpolitische Gemengelage nicht schon komplex genug, tobt der Krieg in der Ukraine mit unverminderter Härte weiter und seine Schatten reichen weit. Russland hat die Angriffe auf ukrainische Städte in den letzten Tagen intensiviert, nach eigenen Angaben als Reaktion auf ukrainische Drohnenangriffe auf russische Bomber-Stützpunkte tief im eigenen Land. Es ist ein brutaler Schlagabtausch, bei dem immer wieder Zivilisten zu Opfern werden.
Für uns in Europa stellt sich die drängende Frage nach der eigenen Sicherheit und der langfristigen Unterstützung für die Ukraine. Ein deutscher General äußerte sich dahingehend, dass Europa die Ukraine auch ohne umfassende US-Hilfe weiterhin stützen könne. Gleichzeitig gibt es alarmierende Berichte über massive russische Aufrüstungsbemühungen. Moskau, so heißt es, plane seine Landstreitkräfte bis 2026 zu verdoppeln. Vor diesem Hintergrund wirken die Nachrichten über die düsteren Aussichten für den New START-Vertrag, das letzte große atomare Abrüstungsabkommen zwischen den USA und Russland, besonders beunruhigend. Die Beziehungen seien "ruiniert", heißt es aus Moskau.
Der bevorstehende NATO-Gipfel in Den Haag wird daher zu einer diplomatischen Gratwanderung. Es gilt, Geschlossenheit zu demonstrieren und die Unterstützung für die Ukraine zu bekräftigen, ohne gleichzeitig den unberechenbaren US-Präsidenten Trump zu provozieren, der die Allianz schon mehrfach in Frage gestellt hat. Die erwartete Erhöhung der Verteidigungsausgaben der NATO-Mitglieder dürfte zwar ein Zugeständnis an Trumps Forderungen sein, doch die grundlegenden Differenzen über den Umgang mit Russland und die Zukunft der europäischen Sicherheitsarchitektur bleiben bestehen.
Mein Fazit: Ein Tanz auf dem Vulkan
Liebe Leserinnen und Leser, dieser Freitag hinterlässt uns mit vielen offenen Fragen und einer spürbaren Anspannung. Die Welt scheint an vielen Ecken gleichzeitig zu brennen – oder zumindest bedrohlich zu schwelen. Ob Zollkriege, politische Fehden oder handfeste militärische Konflikte, die Stabilität, die wir uns alle wünschen, ist in weite Ferne gerückt.
Für uns als Anleger bedeutet das, einen kühlen Kopf zu bewahren, die Nachrichtenlage kritisch zu hinterfragen und nicht auf jede kurzfristige Volatilität mit hektischen Manövern zu reagieren. Langfristige Strategien, solide Unternehmensqualität und eine breite Diversifizierung sind in solch unruhigen Zeiten wichtiger denn je. Die kommenden Wochen werden zeigen, ob sich einige der aktuellen Brandherde eindämmen lassen oder ob uns ein noch heißerer Sommer bevorsteht.
Ich wünsche Ihnen trotz allem ein Wochenende, das Ihnen etwas Ruhe und Abstand von den globalen Turbulenzen ermöglicht.
Ihr Eduard Altmann