Schatten über der Börse: Wenn Politik die Märkte lähmt
Liebe Leserinnen und Leser,
während Deutschland am Tag der Deutschen Einheit die Füße hochlegt, tobt an den Märkten ein Sturm der Unsicherheit. Die US-Regierung steht still, Drohnen legen Europas Flughäfen lahm, und die Konjunkturdaten malen ein düsteres Bild. Doch zwischen all den Hiobsbotschaften glimmt Hoffnung: Die Notenbanken lockern weiter, KI-Investitionen explodieren, und sogar der gebeutelte Antimon-Markt erlebt eine Renaissance. Zeit für einen nüchternen Blick auf die Gemengelage.
Der Shutdown-Poker: Washington spielt mit dem Feuer
Tag drei des US-Government-Shutdowns, und die Fronten verhärten sich. Demokraten und Republikaner liefern sich einen erbitterten Kampf um Gesundheitssubventionen für 24 Millionen Amerikaner – mit den Midterm-Wahlen 2026 fest im Blick. Der Preis? Keine Arbeitsmarktdaten, keine verlässlichen Wirtschaftsindikatoren, nur Nebel.
Die Ironie dabei: Während Politiker über Obamacare streiten, signalisieren die wenigen verfügbaren Daten eine gefährliche Schwäche. Der ISM-Index für den Dienstleistungssektor – immerhin zwei Drittel der US-Wirtschaft – ist auf magere 50 Punkte gefallen. Das ist die Nulllinie zwischen Wachstum und Rezession. Neue Aufträge brechen ein, die Beschäftigung schwächelt.
Was die Chicago Fed aus privaten Datenquellen zusammenkratzen konnte, bestätigt die Stagnation: Die Arbeitslosenquote verharrt bei 4,3 Prozent. Klingt harmlos? Ist es nicht. Der Arbeitsmarkt ist eingefroren – weder Entlassungswelle noch Einstellungsboom. Diese Lähmung könnte die Fed zu weiteren Zinssenkungen zwingen. Die Märkte preisen bereits eine 89-prozentige Wahrscheinlichkeit für einen Doppelschlag bis Dezember ein.
Für europäische Anleger bedeutet das: Der Dollar bleibt unter Druck. Mit einem Wochenminus von fast zwei Prozent steuert er auf die schlechteste Performance seit Juli zu. Zeit, die Währungsabsicherungen zu überdenken.
Hybride Kriegsführung: Drohnen als neue Wirtschaftswaffe?
München, 3 Uhr nachts: Drohnen über dem Flughafen zwingen zur kompletten Sperrung. 3.000 gestrandete Passagiere, 32 Flüge ausgefallen oder umgeleitet. Eine Woche zuvor traf es Kopenhagen und Oslo. Die EU-Verteidigungsminister sprechen offen von russischer „hybrider Kriegsführung“ – auch wenn Moskau wie üblich dementiert.
Die wirtschaftlichen Kollateralschäden sind beträchtlich. Allein die Münchner Unterbrechung dürfte Millionen gekostet haben. Doch die wahre Gefahr liegt tiefer: Europa’s kritische Infrastruktur ist verwundbar. Das zeigt auch der Fall der Eagle S im Baltikum, deren Anker 90 Kilometer über den Meeresboden pflügte und dabei Unterseekabel kappte. Schadensersatzforderungen: mindestens 60 Millionen Euro.
NATO’s neue „Baltic Sentry“-Mission soll solche Sabotageakte verhindern. Aber die Botschaft an Investoren ist klar: Geopolitische Risiken sind zurück auf der Agenda. Wer in europäische Infrastruktur-Aktien investiert ist, sollte die Risikoprämien neu kalkulieren.
Der KI-Goldrausch beschleunigt sich
Während die alte Wirtschaft schwächelt, explodiert die digitale Transformation. Der Markt für Asset Performance Management – Software zur Optimierung von Industrieanlagen – soll bis 2030 auf 3,55 Milliarden Dollar wachsen. Wachstumsrate: satte 10,5 Prozent jährlich.
Treiber ist die verzweifelte Suche nach Effizienz in Zeiten steigender Energiekosten und verschärfter Umweltauflagen. ABB kauft Emissionsüberwachungs-Spezialisten, Schneider Electric verschenkt Software-Lizenzen, um Kunden anzulocken. Der Kampf um Marktanteile tobt.
Besonders brisant: Rechenzentren werden zum Engpass der KI-Revolution. Der Energiehunger ist gigantisch – das Training eines einzigen großen KI-Modells verschlingt angeblich so viel Strom wie 3.000 Haushalte im Jahr. Die Lösung? Spezialisierte Energiezentren direkt neben den Datenzentren, mit eigener Notstromversorgung und Mikrogrids.
UtilityInnovation Group positioniert sich geschickt in dieser Nische. Mit Jon Rodriguez, einem Veteranen der Kraftwerksbranche, wollen sie die Schnittstelle zwischen alter und neuer Energiewelt besetzen. Für Anleger ein spannendes Feld: Hier verschmelzen klassische Infrastruktur und digitale Zukunft.
Antimon: Das vergessene Metall erlebt seine Renaissance
Ein fast schon exotisches Investment-Thema: Antimon. Das Metall, das kaum jemand kennt, aber jeder braucht – in Batterien, Halbleitern, Flammschutzmitteln. China kontrolliert 50-60 Prozent der globalen Produktion und dreht langsam den Hahn zu. Die USA haben es zum kritischen Rohstoff erklärt.
American Antimony (oder besser: Xtra Energy) meldet Bohrergebnisse aus Nevada, die aufhorchen lassen: 87 Meter mit 1,46 Prozent Antimongehalt, Spitzenwerte bis 5,59 Prozent. Das wären Weltklasse-Konzentrationen, vergleichbar mit Chinas größter Mine Xikuangshan. Der Clou: extrem niedrige Arsengehalte, was die Verarbeitung vereinfacht und verbilligt.
Mit Antimonpreisen, die sich in zwei Jahren verdreifacht haben, wittern Spekulanten das große Geschäft. Aber Vorsicht: Junior-Miner sind Hochrisiko-Investments. Zwischen Bohrerfolg und profitabler Mine liegen Jahre und Hunderte Millionen Dollar Kapitalaufwand.
Der Blick nach vorn: Zwischen Bangen und Hoffen
Die kommende Woche verspricht Klarheit – oder noch mehr Verwirrung. In Japan wählt die Regierungspartei einen neuen Chef, was über die künftige Geldpolitik entscheiden könnte. Der Yen hat sich diese Woche bereits um 1,4 Prozent aufgewertet, die größte Wochenbewegung seit Mai.
In Europa richten sich die Augen auf EZB-Präsidentin Lagarde und BoE-Chef Bailey, die beim Abschiedssymposium des niederländischen Notenbankchefs sprechen. Zwischen den Zeilen werden Hinweise auf die Dezember-Entscheidungen gesucht.
Und dann ist da noch Italien: Die Schuldenquote steigt weiter, auf 137,4 Prozent des BIP bis 2026. Finanzminister Giorgetti spricht von „intergenerationeller Ungerechtigkeit“. Die Steuerquote klettert auf 42,8 Prozent – weit über dem EU-Schnitt. Das ist Zündstoff für die nächste Eurokrise.
Was also tun in diesen turbulenten Zeiten? Die schwedische Industrie macht es vor: Durchhalten, Effizienz steigern, auf 2026 hoffen. Immerhin erwarten 65 Prozent der Unternehmen dann wieder steigende Auftragseingänge. Manchmal ist Geduld die beste Anlagestrategie.
Eine Frage des Timings
Die Märkte befinden sich in einer eigenartigen Schwebe. Die alte Welt der Industrieproduktion schwächelt, während die neue Welt der Digitalisierung boomt. Geopolitische Spannungen treffen auf ultralockere Geldpolitik. Regierungen streiten über Haushalte, während Unternehmen Milliarden in KI investieren.
In solchen Phasen trennt sich die Spreu vom Weizen. Wer jetzt auf die richtigen Trends setzt – sei es Energieinfrastruktur für KI, kritische Rohstoffe oder defensive Qualitätsaktien – könnte in zwei Jahren als Gewinner dastehen. Wer auf schnelle Gewinne hofft, wird vermutlich enttäuscht.
Die große Frage bleibt: Schaffen es die Notenbanken, mit ihrer Zinspolitik eine weiche Landung hinzubekommen? Oder steuern wir auf eine Rezession zu, die all die schönen KI-Träume platzen lässt? Die Antwort kennt niemand. Aber eines ist sicher: Langweilig wird es nicht.
Genießen Sie das lange Wochenende – ab Montag geht der Tanz weiter.
Mit nachdenklichen Grüßen aus Frankfurt
Ihr Eduard Altmann
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