Liebe Leserinnen und Leser,
ein Mittwochnachmittag, und die Nachrichtenlage fühlt sich ein wenig an wie das sprichwörtliche Warten auf Godot. Manchmal sind es ja nicht die lauten Paukenschläge, die die tiefere Stimmungslage verraten, sondern die Art und Weise, wie auf Entscheidungen gewartet wird – oder wie sie eben auf sich warten lassen. Mir kam da heute eine Meldung unter, die auf den ersten Blick so gar nichts mit Finanzen zu tun hat: Der neue Papst Leo, seit gut einem Monat im Amt, pflegt wohl einen deutlich bedächtigeren, abwägenderen Stil als sein Vorgänger Franziskus. Keine schnellen Ernennungen, keine vorschnellen Reisepläne. Er nimmt sich Zeit, heißt es aus seinem Umfeld. Ein Stil des Zuhörens und des gründlichen Abwägens.
Warum erzähle ich Ihnen das? Weil mir scheint, dass auch die globalen Finanzmärkte gerade in einer ähnlichen Phase des gespannten Abwartens verharren, während im Hintergrund durchaus wichtige Weichen gestellt werden. Werden entscheidende Impulse gesetzt, oder beobachten wir gerade die Ruhe vor dem nächsten Sturm? Werfen wir einen Blick auf die spannenden Strömungen unter der Oberfläche.
Das große Pokerface: Zölle, Diplomatie und geopolitische Pulverfässer
Das Dauerthema der Handelskonflikte hält uns weiter in Atem. Die Frist für die Handelspartner der USA, ihre "besten Angebote" zur Vermeidung neuer Strafzölle vorzulegen, ist heute abgelaufen. Gleichzeitig sind die bereits angekündigten verdoppelten US-Zölle auf Stahl und Aluminium in Kraft getreten. Ein Schritt, der die Nervosität nicht gerade dämpft. Die große Frage bleibt: Sehen wir hier taktisches Geplänkel oder eine echte Verschärfung? Präsident Trump selbst beschrieb den chinesischen Präsidenten Xi als "sehr harten" Verhandlungspartner, deutete aber auch an, dass ein Gespräch diese Woche wahrscheinlich sei. Die Märkte klammern sich an die Hoffnung, dass Dialog am Ende doch Eskalation verhindert. Aber die Unsicherheit ist greifbar und belastet Unternehmen wie die österreichische Voestalpine, die ganz konkret mit negativen Auswirkungen durch Zölle im kommenden Geschäftsjahr rechnet. Die detaillierte Auflistung, wer eigentlich die Hauptlieferanten für US-Stahl und Aluminium sind, zeigt, wie vernetzt diese Problematik ist und dass es eben nicht nur China trifft.
Als wäre das nicht genug, verschärft sich der Ton im Atomstreit mit dem Iran. Teheran hat die jüngsten US-Vorschläge rundweg abgelehnt und bekräftigt sein Recht auf Urananreicherung. Das birgt erhebliches Eskalationspotenzial in einer ohnehin fragilen Region und hat direkte Auswirkungen. Der Ölpreis beispielsweise gab heute leicht nach, nicht nur wegen der Aussicht auf eine höhere OPEC+ Produktion, sondern auch, weil solche geopolitischen Spannungen und die unsichere globale Konjunkturaussicht durch Handelskonflikte die Nachfrage dämpfen könnten – trotz anhaltender Sorgen um Lieferausfälle, etwa durch die Waldbrände in Kanada. Gold wiederum hält sich relativ stabil, denn in unsicheren Zeiten suchen Anleger traditionell nach sicheren Häfen.
Die Stunde der Wahrheit: Europas Wirtschaft im globalen Check
Während die "große Politik" also noch ihre Karten sortiert, liefert die Realwirtschaft handfeste Daten. Und die zeichnen ein durchaus gemischtes, aber interessantes Bild, gerade hier in Europa:
- Italiens Dienstleister im Aufwind: Der Einkaufsmanagerindex für den italienischen Dienstleistungssektor ist im Mai weiter gestiegen und erreichte den höchsten Wert seit fast einem Jahr. Das ist ein erfreuliches Signal für die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone.
- Spanien mit einer kleinen Delle: Auch in Spanien wächst der Dienstleistungssektor weiter, allerdings hat sich das Tempo im Mai etwas verlangsamt – der schwächste Wert seit anderthalb Jahren, trotz Wachstum. Die Unsicherheit, gerade bei internationalen Kunden, hinterlässt Spuren.
Dieser differenzierte Blick ist wichtig, denn morgen steht die Zinsentscheidung der Europäischen Zentralbank an. Die Teuerungsrate in der Eurozone lag zuletzt ja leicht unter dem EZB-Ziel, was den Notenbankern Spielraum für ihre Entscheidungen gibt. Das heutige leicht uneinheitliche Bild der Konjunkturdaten aus Südeuropa wird in Frankfurt sicher genau analysiert.
Und wie sieht es global aus?
- Indien bleibt Wachstumsmotor: Der dortige Dienstleistungssektor zeigt weiterhin robustes Wachstum, getrieben von starker Exportnachfrage und Rekordbeschäftigung. Allerdings steigt auch der Preisdruck, was die indische Zentralbank bei ihrer ebenfalls bald erwarteten Zinsentscheidung berücksichtigen dürfte.
- Südafrika mit Lebenszeichen: Erfreulicherweise konnte die Geschäftstätigkeit in Südafrika im Mai so stark zulegen wie seit vier Jahren nicht mehr. Ein Hoffnungsschimmer für die dortige Wirtschaft.
- Russland – ein zweischneidiges Schwert: Russlands Dienstleistungssektor expandierte im Mai ebenfalls so schnell wie seit Januar nicht mehr. Doch gleichzeitig bauen die Unternehmen dort Personal ab. Wachstum ja, aber mit Vorsicht.
Hoffnungsschimmer und unternehmerische Antworten
Inmitten all dieser globalen Ungewissheiten gibt es aber auch immer wieder Entwicklungen, die positiv stimmen oder zeigen, wie sich Unternehmen auf veränderte Zeiten einstellen:
- Airbus vor möglichem China-Deal? Berichten zufolge erwägt China eine umfangreiche Bestellung von Airbus-Flugzeugen, eventuell über 300 Maschinen. Das wäre nicht nur ein starkes Signal für den europäischen Flugzeugbauer, sondern auch ein Zeichen, dass wirtschaftliche Vernunft und gemeinsame Interessen selbst in angespannten politischen Zeiten eine Rolle spielen können. Man darf gespannt sein, ob und wann dieser Deal Realität wird.
- Wenn Geisterstädte wieder leben: Eine faszinierende Geschichte kommt aus Spanien. Einstige "Geisterstädte" aus der Zeit der Immobilienblase 2008, wie Sesena bei Madrid, erleben eine Renaissance. Getrieben von der akuten Wohnungskrise in den Metropolen und gestiegenen Preisen, ziehen Familien dorthin und hauchen den Orten neues Leben ein. Ein starkes Beispiel für Marktkräfte und die Anpassungsfähigkeit der Gesellschaft.
- Banken setzen auf KI und Effizienz: Die schwedische Swedbank hält an ihren Renditezielen fest und will diese durch verstärkten Einsatz von Technologien wie Künstlicher Intelligenz zur Effizienzsteigerung erreichen. Auch die britische Paragon Banking Group meldete gute Zahlen und einen starken Fokus auf digitale Angebote. Solche strategischen Anpassungen sind entscheidend.
- Singapurs Luxusmarkt kühlt ab: Ein interessanter Kontrapunkt kommt aus Singapur. Dort sind die Verkäufe von super-teuren "Good Class Bungalows" im ersten Quartal eingebrochen. Analysten vermuten, dass Käufer auf sinkende Zinsen warten oder die Auswirkungen der US-Zölle abwägen. Vielleicht ein Indikator für eine gewisse Zurückhaltung im obersten Vermögenssegment?
Krypto-Markt: Abwarten im Seitwärtsgang
Und was macht der Krypto-Markt? Bitcoin und Co. bewegen sich weiterhin eher seitwärts, gefangen in einer Handelsspanne. Die allgemeine Risikoaversion durch die Handelsunsicherheiten scheint auch hier zu dämpfen. Die Nachricht, dass Trumps Social-Media-Plattform Truth.Social Fortschritte bei der Listung eines Spot-Bitcoin-ETFs macht, sorgte für keine großen Kurssprünge. Auch hier scheint das große Warten auf den nächsten signifikanten Impuls angesagt.
Mein Fazit: Zwischen Hoffen und Bangen die Chancen erkennen
Die aktuelle Gemengelage, liebe Leserinnen und Leser, ist geprägt von diesem Gefühl des Abwartens – auf klare Signale in den Handelskonflikten, auf die nächsten Schritte der Notenbanken, auf eine Beruhigung an den geopolitischen Krisenherden. Wie der neue Papst scheinen viele Akteure gerade eher auf bedächtiges Beobachten als auf vorschnelle Aktionen zu setzen. Das muss nicht schlecht sein, denn Schnellschüsse sind selten gute Ratgeber.
Doch während wir auf die großen Entscheidungen warten, zeigt der Blick ins Detail, dass sich die Welt weiterdreht: Die Realwirtschaft liefert gemischte, aber teilweise ermutigende Signale. Unternehmen suchen nach Wegen, sich zukunftsfest aufzustellen. Und selbst aus Krisen können sich, wie das Beispiel der spanischen Geisterstädte zeigt, neue Chancen ergeben. Die Spannung bleibt hoch, insbesondere mit Blick auf die morgige EZB-Sitzung und die weitere Entwicklung im globalen Handelsdialog. Bleiben Sie wachsam und offen für die Signale unter der Oberfläche!
Einen nachdenklichen Rest-Mittwoch wünscht Ihnen
Ihr Eduard Altmann