Trump eskaliert den Handelskrieg – und trifft sich trotzdem mit Xi
Liebe Leserinnen und Leser,
was für eine Woche der Widersprüche! Während Donald Trump mit der einen Hand neue Strafzölle von 100 Prozent auf chinesische Importe androht, streckt er mit der anderen die Hand zu einem Treffen mit Xi Jinping aus. „Es ist nicht nachhaltig“, räumte der US-Präsident am Freitag selbst ein – und meinte damit die absurde Höhe seiner eigenen Zolldrohungen. Doch genau diese Paradoxie könnte Methode haben.
Der Handelskrieg 2.0 nimmt Fahrt auf, die Märkte zittern, und in Washington eskaliert derweil ein ganz anderer Kampf: Trump legt weitere 11 Milliarden Dollar an Infrastrukturprojekten in demokratischen Bundesstaaten auf Eis. Die Botschaft ist unmissverständlich – wer sich dem Präsidenten widersetzt, bekommt die volle Härte seiner Macht zu spüren.
Der Zoll-Poker geht in die nächste Runde
„Sie haben mich dazu gezwungen“, rechtfertigte Trump seine jüngste Eskalation im Handelskonflikt mit China. Der Auslöser: Pekings dramatische Ausweitung der Exportkontrollen auf Seltene Erden und Magnete – kritische Rohstoffe, ohne die in der westlichen Tech-Industrie nichts läuft. China dominiert diesen Markt mit über 90 Prozent Weltmarktanteil, und Xi Jinping weiß diese Karte zu spielen.
Doch was auf den ersten Blick wie ein erratischer Ausbruch Trumps wirkt, folgt durchaus einer Logik. US-Finanzminister Scott Bessent kündigte für nächste Woche ein Treffen mit seinem chinesischen Amtskollegen He Lifeng in Malaysia an. Die Wahl des neutralen Bodens ist kein Zufall: Malaysia handelt intensiv mit beiden Supermächten und steht selbst unter dem Druck neuer US-Zölle von 19 Prozent.
Die Wall Street atmete am Freitag zunächst auf. Nach tagelangen Verlusten drehten die großen Indizes ins Plus, sobald Trump sein geplantes Treffen mit Xi in zwei Wochen in Südkorea bestätigte. „Ich denke, wir werden mit China klarkommen“, sagte er betont versöhnlich, „aber es muss ein fairer Deal sein.“
Für europäische Unternehmen bedeutet diese Achterbahnfahrt vor allem eines: maximale Planungsunsicherheit. Deutsche Autobauer, die sowohl in China produzieren als auch in die USA exportieren, sitzen zwischen allen Stühlen. Die Lieferketten, mühsam nach Corona wieder aufgebaut, stehen erneut vor einer Zerreißprobe.
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Ukraine-Diplomatie: Selenskyj geht leer aus – vorerst
Das Treffen zwischen Wolodymyr Selenskyj und Donald Trump im Weißen Haus endete ohne den erhofften Durchbruch. Die begehrten Tomahawk-Marschflugkörper, mit denen die Ukraine tief in russisches Territorium vorstoßen könnte? Vorerst vom Tisch. „Die USA wollen keine Eskalation“, begründete Selenskyj die amerikanische Zurückhaltung – ein bemerkenswerter Euphemismus für eine glatte Absage.
Trump selbst sendete nach dem Treffen verwirrende Signale. „Sie sollten dort aufhören, wo sie sind“, appellierte er an beide Kriegsparteien. Keine Erwähnung Russlands als Aggressor, keine klare Positionierung. Stattdessen die Ankündigung eines baldigen Treffens mit Putin in Budapest – ohne Selenskyj.
Für Europa ist das ein Alarmsignal. Bundeskanzler Friedrich Merz brachte es nach einem eilig einberufenen Telefonat mit europäischen Partnern auf den Punkt: „Jetzt braucht die Ukraine einen Friedensplan.“ Die EU bereitet sich darauf vor, die Lücke zu füllen, die Amerika möglicherweise hinterlässt. Auf dem kommenden EU-Gipfel will man „konkrete Schritte besprechen, um den Druck auf Russland zu erhöhen“, wie Ratspräsident António Costa mitteilte.
Die deutsche Bundeswehr schickt unterdessen drei Soldaten zur Überwachung des Gaza-Waffenstillstands nach Israel – uniformiert, aber unbewaffnet. Ein symbolischer Beitrag, während die große geopolitische Neuordnung anderswo verhandelt wird.
Frankreichs Kreditwürdigkeit: S&P zieht die Reißleine
Während die Welt auf Trump und Xi schaut, vollzieht sich in Europa ein stilles Drama. Standard & Poor’s stufte Frankreichs Kreditwürdigkeit am Freitagabend herab – ein Schlag für die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone. Die neue Note? Auf dem Niveau von Portugal und Spanien.
„Es ist ein Aufruf zur Ernsthaftigkeit“, kommentierte Finanzminister Roland Lescure fast schon resigniert. Die Neuverschuldung von über fünf Prozent des BIP ist schlicht nicht mehr tragbar. Premier Sébastien Lecornu verspricht, sie bis 2029 auf drei Prozent zu drücken – ein ambitioniertes Ziel angesichts der politischen Instabilität.
Für deutsche Anleger hat das unmittelbare Konsequenzen. Der Risikoaufschlag französischer Staatsanleihen gegenüber Bundesanleihen ist in den vergangenen Wochen stark gestiegen. Investmentfonds mit strengen Rating-Vorgaben könnten gezwungen sein, ihre Frankreich-Positionen abzubauen. Die Spreads zwischen deutschen und französischen Anleihen dürften weiter auseinanderdriften.
„Frankreich erlebt derzeit die schwerste politische Instabilität seit der Gründung der Fünften Republik 1958“, urteilte S&P vernichtend. Das ist mehr als eine Warnung – es ist eine Kampfansage an die europäische Stabilitätsarchitektur.
Strompreise fallen, Gaspreise steigen: Die Netzentgelt-Revolution
Eine seltene gute Nachricht für deutsche Verbraucher: Die Stromnetzentgelte sinken zum Jahreswechsel um durchschnittlich 16 Prozent. Für einen Drei-Personen-Haushalt bedeutet das laut Verivox eine Entlastung von rund 82 Euro brutto im Jahr. Der Grund: ein milliardenschwerer Bundeszuschuss.
Berlin und Brandenburg profitieren am stärksten mit einem Rückgang von 23 Prozent. Doch Vorsicht: Die Energieversorger sind nicht zur Weitergabe verpflichtet. „Es liegt in den Händen der Versorger“, warnt Thorsten Storck von Verivox.
Bei Gas sieht es düster aus. Die Netzentgelte steigen um elf Prozent – eine direkte Folge des gesunkenen Verbrauchs. Weniger Kubikmeter bedeuten höhere Kosten pro Einheit. Immerhin: Die Gasspeicherumlage entfällt ab 2026, was den Anstieg teilweise kompensiert.
Kurz notiert: Die Woche in Zahlen
CDU und die Brandmauer: Friedrich Merz bekräftigte vor der Präsidiumsklausur seine harte Linie zur AfD. „Die oder wir“, fasste er die kommenden Wahlkämpfe zusammen. Die Debatte über eine Lockerung der Brandmauer? Vorerst beendet.
Bahnstrecke Hamburg-Berlin: Die Generalsanierung zeigt Wirkung – allerdings nicht die gewünschte. Laut Mobilfunkdaten sank die Zahl der Bahnreisenden um 25 Prozent. Zwischen Hamburg und Schwerin verlagerte sich der Verkehr massiv auf die Straße (+46 Prozent Autoverkehr).
DEA und Cannabis: Ein vernichtendes Urteil über die US-Drogenbehörde: Systematische Blockade medizinischer Cannabis-Forschung, verfassungswidrige Tribunale, ethische Verstöße. MMJ BioPharma wartet seit sieben Jahren auf eine Genehmigung für klinische Studien.
Der Blick nach vorn
Die kommende Woche wird zeigen, ob Bessent und He in Malaysia die Grundlage für eine Deeskalation legen können. Das Tarif-Abkommen zwischen den USA und China läuft am 10. November aus – bis dahin muss eine Lösung her, oder die Zölle explodieren auf beiden Seiten.
Am Donnerstag tagt die EZB. Nach der französischen Herabstufung dürfte der Druck auf Christine Lagarde steigen, die Zinsen schneller zu senken. Die Fragmentierung der Eurozone nimmt zu – ein Albtraum für die Währungshüter in Frankfurt.
Und dann ist da noch der EU-Gipfel Ende der Woche. Die Frage, wie Europa seine Unterstützung für die Ukraine ohne amerikanische Rückendeckung organisiert, wird zur Schicksalsfrage der Union.
Wir leben in Zeiten, in denen 100-Prozent-Zölle als Verhandlungstaktik durchgehen und Kreditwürdigkeiten wie Dominosteine fallen. Die alte Ordnung löst sich auf, die neue ist noch nicht erkennbar. Was bleibt, ist die Gewissheit: Die Volatilität wird uns erhalten bleiben.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein ruhiges Wochenende – Sie werden die Erholung brauchen.
Herzliche Grüße aus der Hansestadt,
Ihr Eduard Altmann
P.S.: Ein Detail noch zu den eingefrorenen US-Infrastrukturprojekten: Trump stoppt unter anderem 600 Millionen Dollar für zwei marode Brücken über den Cape Cod Kanal in Massachusetts. Die Brücken sind fast 90 Jahre alt und dringend sanierungsbedürftig. Politik über Sicherheit – das ist der neue Washingtoner Stil.