Trump-Netanyahu-Gipfel: Der Gaza-Krieg am Wendepunkt?
Liebe Leserinnen und Leser,
während sich heute Nachmittag die Weltöffentlichkeit auf das Weiße Haus richtet, wo Donald Trump und Benjamin Netanyahu über eine mögliche Wende im Gaza-Krieg beraten, zeigt sich an den Finanzmärkten eine bemerkenswerte Gelassenheit. Die Ölpreise bleiben stabil, der Dollar pendelt seitwärts – als hätten die Märkte das Scheitern bereits eingepreist. Doch Trump verspricht „SOMETHING SPECIAL“, und tatsächlich könnte sein 21-Punkte-Plan mehr bewegen als nur die Geopolitik des Nahen Ostens.
Die Ökonomie des Kriegsendes
Fast zwei Jahre Gaza-Krieg haben nicht nur menschliches Leid verursacht, sondern auch wirtschaftliche Verwerfungen, die weit über die Region hinausreichen. Die israelische Wirtschaft kämpft mit einer Rekordverschuldung von über 70% des BIP, während die Verteidigungsausgaben auf schwindelerregende 6% der Wirtschaftsleistung geklettert sind. Zum Vergleich: Deutschland diskutiert noch über 2% NATO-Ziel.
Was Trumps Plan so brisant macht, ist weniger sein Inhalt – der bleibt vage – als seine wirtschaftliche Logik. Ein dauerhafter Waffenstillstand würde nicht nur humanitäre Korridore öffnen, sondern auch Handelsrouten. Die Suez-Kanal-Passage, durch die 12% des globalen Handels fließen, könnte sich normalisieren. Für europäische Exporteure, deren Frachtraten sich zwischenzeitlich verfünffacht hatten, wäre das eine spürbare Entlastung.
Zwei Diplomaten aus der Region berichten mir, dass Trumps 21 Punkte eher Wunschzettel als Blaupause sind. Israel habe bereits Einwände, arabische Staaten auch. Doch hier liegt paradoxerweise die Chance: Die Vagheit des Plans erlaubt allen Parteien, ihr Gesicht zu wahren.
Energiemärkte: Die große Ruhe vor dem Sturm?
Erstaunlich ruhig reagieren die Energiemärkte auf die Entwicklungen. Brent-Öl notiert stabil bei 78 Dollar – als gäbe es keine geopolitischen Risiken. Diese Gelassenheit hat Gründe: Die globale Ölnachfrage schwächelt, China importiert weniger, und die USA pumpen so viel wie nie zuvor.
Doch unterschätzen die Märkte möglicherweise ein Szenario: Sollte tatsächlich Frieden einkehren und die Region stabilisiert werden, könnten massive Infrastrukturinvestitionen folgen. Goldman Sachs schätzt den Wiederaufbaubedarf in Gaza auf mindestens 50 Milliarden Dollar. Saudi-Arabien hat bereits Interesse an einem „Marshall-Plan für Palästina“ signalisiert – natürlich nicht aus reiner Nächstenliebe, sondern als Chance, die eigene Vision 2030 voranzutreiben und sich als regionaler Hegemon zu etablieren.
Für europäische Baukonzerne wie Strabag oder Vinci könnte sich hier ein Milliardenmarkt öffnen. Die französische Regierung hat bereits diskret Sondierungsgespräche über mögliche Wiederaufbauprojekte geführt.
Die Netanyahu-Ökonomie: Kriegswirtschaft als Machterhalt
Benjamin Netanyahu steht innenpolitisch mit dem Rücken zur Wand. Seine Umfragewerte sind im Keller, die Wirtschaft ächzt unter der Last des Krieges. Paradoxerweise könnte gerade das Trump in die Karten spielen. Netanyahu braucht einen Ausweg, der wie ein Sieg aussieht.
Interessant ist, was zwischen den Zeilen der israelischen Einwände gegen Trumps Plan durchschimmert: Es geht weniger um Sicherheit als um Kontrolle. Die Frage, wer Gazas Wirtschaft nach dem Krieg kontrolliert, ist zentral. Soll die Palästinensische Autonomiebehörde Zugriff auf die Gasfelder vor Gazas Küste erhalten? Diese könnten jährlich Milliarden einbringen – Geld, das den Wiederaufbau finanzieren, aber auch neue Machtstrukturen schaffen würde.
Ein hochrangiger EU-Diplomat formulierte es so: „Es geht nicht um Frieden, es geht um die Neuordnung der Wirtschaftsarchitektur des Nahen Ostens.“
Rüstungsaktien: Das Ende des Booms?
Die Aktien der großen Rüstungskonzerne reagieren verhalten auf die Friedenssignale. Rheinmetall notiert unverändert, Lockheed Martin zeigt sich robust. Die Analysten sind sich einig: Selbst ein Frieden in Gaza ändert nichts am globalen Aufrüstungstrend.
Doch es gibt Nuancen. Die israelische Rüstungsindustrie, die vom Krieg profitiert hat, könnte unter Druck geraten. Elbit Systems hat bereits angedeutet, sich stärker auf den europäischen Markt konzentrieren zu wollen. Der Grund: Nach einem Friedensschluss dürften die üppigen US-Militärhilfen für Israel zur Disposition stehen. Trump, der Dealmaker, könnte sie als Druckmittel einsetzen.
Für europäische Rüstungsunternehmen eröffnen sich dadurch Chancen. Die Bundesregierung hat gerade weitere 10 Milliarden Euro für Munitionsbeschaffung freigegeben – unabhängig vom Nahost-Konflikt, aber durchaus beeinflusst von dessen Lehren.
Was bedeutet das für Anleger?
Die Märkte preisen derzeit ein Scheitern der Verhandlungen ein. Sollte Trump tatsächlich seinen „Deal“ durchbekommen, könnten wir kurzfristige Verwerfungen sehen:
- Ölpreise könnten paradoxerweise steigen, wenn Wiederaufbau-Fantasien die Nachfrageerwartungen beflügeln
- Bauaktien mit Nahost-Exposure dürften profitieren
- Rüstungswerte bleiben weitgehend unberührt – der Ukraine-Krieg und Taiwan-Spannungen sorgen für anhaltende Nachfrage
- Israelische Staatsanleihen könnten eine Rally erleben, wenn sich die Staatsfinanzen entspannen
Fazit: Die Ökonomie des Friedens
Während ich diese Zeilen schreibe, dürfte in Washington bereits verhandelt werden. Die Skepsis ist groß, zu oft sind Friedensinitiativen gescheitert. Doch diesmal könnte die schiere ökonomische Erschöpfung aller Beteiligten den Ausschlag geben.
Ein Frieden wäre nicht nur humanitär geboten, sondern auch wirtschaftlich rational. Die Frage ist, ob diese Rationalität sich gegen die politischen Reflexe durchsetzt. Trump, der sich gerne als Dealmaker inszeniert, hat hier die Chance seines politischen Lebens. Ob er sie nutzt?
Die kommenden Stunden werden es zeigen. Morgen sprechen wir dann über die Realität nach den großen Ankündigungen. Bis dahin: Bleiben Sie skeptisch, aber offen für Überraschungen.
Mit nachdenklichen Grüßen aus dem herbstlichen Berlin
Eduard Altmann
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Apropos geopolitische Verwerfungen: Während Öl und Rüstung im Fokus stehen, bleibt ein anderer Sektor fast unbemerkt der große Profiteur – Mikrochips. Der globale „Chip-Krieg“ zwischen den USA und China wird von Analysten längst als das neue Ölzeitalter beschrieben. Wer verstehen möchte, warum eine europäische Aktie aktuell sogar als „die neue Nvidia“ gehandelt wird und welche Folgen die staatlichen Milliardeninvestitionen haben, findet hier meine Leseempfehlung: Die neue Nvidia – Chancen im Chip-Sektor 2025
P.S.: Am Mittwoch veröffentlicht die EZB ihr Sitzungsprotokoll. Nach den heutigen geopolitischen Turbulenzen dürfte die Frage nach weiteren Zinssenkungen eine ganz neue Dringlichkeit bekommen.