Liebe Leserinnen und Leser,
selten war die Weltbühne so aufgeladen wie an diesem Wochenende. Während in Brüssel die europäischen Spitzenpolitiker ihre Videokonferenzen vorbereiten, bereitet sich Wolodymyr Selenskyj auf das wohl wichtigste Treffen seiner Amtszeit vor. Morgen steht er Donald Trump gegenüber – und der US-Präsident hat gerade erst mit Wladimir Putin in Alaska die Karten für eine mögliche Friedenslösung gemischt. Was das für uns in Europa bedeutet? Mehr, als man auf den ersten Blick vermuten würde.
Das Alaska-Gambit: Wenn Großmächte verhandeln
Es waren Bilder, die man so lange nicht mehr gesehen hatte: Trump und Putin, von Angesicht zu Angesicht in Alaska. Das erste amerikanisch-russische Gipfeltreffen seit über vier Jahren – und die Signale, die von dort ausgehen, lassen aufhorchen.
Putin sprach danach von "sehr nützlichen" Gesprächen und einem möglichen Kriegsende auf "fairer Basis". Klingt versöhnlich? Der Teufel steckt, wie so oft, im Detail. Nach Informationen aus Verhandlungskreisen bot der Kreml-Chef an, winzige besetzte Gebiete aufzugeben – im Austausch für riesige Landstriche im Osten der Ukraine. Ein Deal, der für Kiew kaum annehmbar scheint.
Besonders brisant: Trump rückt offenbar von seiner ursprünglichen Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand ab. "Russland ist eine sehr große Macht", sagte er nach dem Treffen – ein Satz, der in Kiew Alarmglocken schrillen lassen dürfte. Marco Rubio, der neue US-Außenminister, brachte es auf den Punkt: "Wir werden weiter versuchen, ein Szenario für ein Kriegsende zu schaffen. Aber das ist vielleicht gar nicht möglich."
Europas Antwort: Die Koalition der Willigen formiert sich
Während Washington und Moskau ihre Positionen abstecken, läuft in Europa die diplomatische Maschinerie auf Hochtouren. Emmanuel Macron, Friedrich Merz und Keir Starmer – das neue Machttrio des Kontinents – will heute Nachmittag per Videoschalte die "Koalition der Willigen" koordinieren.
Das Ziel? Sicherstellen, dass die Ukraine nicht zum Spielball der Großmächte wird. Die Europäer drängen auf ein trilaterales Treffen zwischen Trump, Putin und Selenskyj. "Wir erwarten sehr robuste Sicherheitsgarantien", heißt es aus europäischen Regierungskreisen. Übersetzung: Ohne amerikanische Beteiligung wird es keinen dauerhaften Frieden geben.
Merz gab sich im deutschen Fernsehen optimistisch, dass Selenskyj morgen in Washington nicht wieder so hart angegangen wird wie beim letzten Treffen im Februar. Damals hatten Trump und sein Vize J.D. Vance den ukrainischen Präsidenten öffentlich abgekanzelt. "Wir werden ihm ein paar gute Ratschläge geben", versprach der Kanzler – eine Formulierung, die mehr Nervosität verrät als Zuversicht.
Die Verhandlungsmasse: Land gegen Frieden?
Was steht konkret auf dem Spiel? Die Fronten haben sich festgefahren – im wahrsten Sinne des Wortes. Russland kontrolliert etwa ein Fünftel der Ukraine, darunter drei Viertel der industriell wichtigen Region Donezk. Putins Forderung, Kiew solle den kompletten Donbass abtreten, stößt auf erbitterten Widerstand.
"Wir brauchen echte Verhandlungen", sagte Selenskyj heute in Brüssel. Seine Position: Die aktuellen Frontlinien könnten Ausgangspunkt für Gespräche sein. Aber ohne Waffenstillstand? "Das Töten zu stoppen ist ein Schlüsselelement, um den Krieg zu beenden", betonte er auf X (ehemals Twitter).
Die Realität sieht düster aus: Allein vergangene Nacht griffen russische Drohnen die Ukraine an – 60 Stück, dazu eine ballistische Rakete. Die ukrainische Luftabwehr konnte 40 abfangen. Der Krieg geht weiter, während die Diplomaten reden.
Der große Einsatz: Was bedeutet das für uns?
Die Tragweite dieser Entwicklungen für Europa kann kaum überschätzt werden. Sollte Trump tatsächlich einen schnellen Deal durchdrücken – möglicherweise über Kiews Kopf hinweg – stünde die europäische Sicherheitsarchitektur vor ihrer größten Bewährungsprobe seit dem Kalten Krieg.
Mark Lyall Grant, Großbritanniens ehemaliger Sicherheitsberater, nennt das Alaska-Treffen einen "klaren Sieg" für Putin. Warum? Trump ließ seine Forderung nach sofortigem Waffenstillstand fallen. Gleichzeitig deutet sich an, dass die USA bereit sein könnten, bei Sicherheitsgarantien für die Ukraine mitzuwirken – ein Hoffnungsschimmer in düsteren Zeiten.
"Putin macht normalerweise eine Pause, rüstet auf und kommt dann für mehr zurück", warnt Grant. Diese Gefahr müssten alle Beteiligten im Blick behalten. Die Frage ist nur: Haben sie die historischen Lektionen gelernt?
Nebenschauplätze: Wenn andere Konflikte weiterschwelen
Als wäre das geopolitische Schachbrett nicht schon komplex genug, liefern andere Krisenherde weiter Zündstoff. Israel bombardierte heute Nacht eine Energieanlage im Jemen – Vergeltung für Huthi-Angriffe. Die pro-iranische Miliz feuert weiter Raketen Richtung Israel, als Unterstützung für die Palästinenser in Gaza.
In Tel Aviv gingen derweil Zehntausende auf die Straße. Ihre Forderung: Ein Ende des Gaza-Kriegs und die Freilassung der verbliebenen Geiseln. "Das Heiligste ist das Leben", rief Anat Angrest, Mutter eines Entführten. Netanyahu kontert: Wer jetzt aufhöre, ohne die Hamas zu besiegen, lade nur zu neuen Angriffen ein. Ein Teufelskreis ohne erkennbares Ende.
Blick nach vorn: Was die Woche bringen könnte
Die kommenden Tage versprechen Hochspannung. Morgen das Treffen Selenskyj-Trump in Washington – mit oder ohne europäische Begleitung. Die Märkte werden genau hinschauen: Jede Andeutung über Kriegsende oder -eskalation könnte Öl-, Gas- und Weizenpreise in Bewegung setzen.
Parallel dazu Wahlen in Bolivien, wo die Inflation bei 23 Prozent liegt und die linke Regierung vor dem Aus steht. Ein weiteres Zeichen dafür, dass die globalen Wirtschaftsturbulenzen ihre politischen Opfer fordern.
Und dann ist da noch die Fed. In Jackson Hole treffen sich Ende der Woche die Notenbanker zum jährlichen Symposium. Jerome Powell könnte Hinweise auf künftige Zinssenkungen geben – oder den Märkten einen Dämpfer verpassen. Die Börsen sind bereits in Feierlaune, doch manche warnen: Je selbstsicherer die Stimmung, desto größer das Risiko einer bösen Überraschung.
Die große Frage
Stehen wir am Beginn einer neuen Weltordnung? Trump und Putin pokern um die Ukraine, während Europa versucht, nicht nur Zuschauer zu bleiben. Die nächsten Tage könnten wegweisend sein – für den Krieg, für die transatlantischen Beziehungen, für unsere Sicherheit.
Was mich besonders umtreibt: Haben wir Europäer genug Gewicht, um in diesem Machtspiel mitzureden? Oder müssen wir zusehen, wie andere über unsere Zukunft entscheiden?
Die Antworten werden wir bald bekommen. Bleiben Sie wachsam – und skeptisch.
Einen nachdenklichen Sonntag wünscht Ihnen
Ihr Eduard Altmann