Liebe Leserinnen und Leser,
ein turbulenter Start in die Börsenwoche liegt hinter uns, oder besser gesagt, das Echo eines Wochenendes, das uns einmal mehr die Unberechenbarkeit der globalen Handelspolitik vor Augen geführt hat. Am Freitagmorgen noch der Schock über Präsident Trumps Androhung von 50-Prozent-Strafzöllen gegen die EU, gefolgt von einer überraschenden Kehrtwende am Sonntagabend. Der Mann im Weißen Haus hat die Frist bis zum 9. Juli verlängert. Puh, durchatmen! Aber ist das mehr als eine kurze Atempause für uns in Europa? Die Märkte reagierten erleichtert, doch die grundlegende Nervosität bleibt. Ein guter Zeitpunkt, um die Lage an diesem Montagnachmittag etwas genauer zu sortieren.
Trumps Zoll-Poker: Ein Spiel mit dem Feuer (und Europas Nerven)
Die Volte war typisch Trump: Erst der Paukenschlag mit der angedrohten Zollmauer ab Juni, dann, nach einem Telefonat mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die Verschiebung. Nun also haben wir bis zum 9. Juli Zeit, um eine Eskalation im transatlantischen Handel zu verhindern. Die Erleichterung war an den Märkten sofort spürbar: Der Euro legte deutlich zu, während der US-Dollar nachgab, und die europäischen Aktienmärkte starteten freundlich in die Woche. Man könnte meinen, alles wieder im Lot.
Doch was steckt wirklich dahinter? Trump selbst erklärte, seine Zollpolitik ziele nicht auf T-Shirts und Turnschuhe, sondern auf strategisch wichtige Güter wie Technologieprodukte und militärische Ausrüstung. Wir sollen also in den USA wieder Panzer und Computerchips bauen, so die Botschaft. Das mag für bestimmte heimische Industrien gut klingen, aber der Preis dafür könnte hoch sein. Fed-Präsident Neel Kashkari warnte heute eindringlich, dass solche Zölle eine stagflationäre Wirkung haben könnten – also steigende Preise bei gleichzeitig schwächerem Wachstum. Ein Szenario, das niemandem schmecken kann, am allerwenigsten uns im exportorientierten Europa.
Meine Einschätzung? Diese Verschiebung ist ein taktisches Manöver, keine grundsätzliche Entspannung. Die Drohkulisse bleibt bestehen, und die Juli-Frist wird uns in den kommenden Wochen noch intensiv beschäftigen. Für unsere Wirtschaft, insbesondere für exportstarke Nationen wie Deutschland, hängt hier ein Damoklesschwert. Die Frage ist nicht ob, sondern wie stark die nächsten Turbulenzen ausfallen.
Notenbanken im Dilemma: Zinswende hier, Inflationsgespenst dort?
Inmitten dieser handelspolitischen Verwerfungen versuchen die Notenbanken, einen klaren Kurs zu steuern – was alles andere als einfach ist. EZB-Präsidentin Christine Lagarde sprach heute von einem möglichen „globalen Euro-Moment“, falls Europa seine Finanz- und Sicherheitsarchitektur stärken würde. Das klingt ambitioniert, doch die Realität ist komplex. Interessanterweise deutete ihr Ratskollege, Litauens Notenbankchef Gediminas Šimkus, heute sogar eine mögliche Zinssenkung der EZB im Juni an. Seine Begründung: erhöhte Handelsspannungen mit den USA und ein erstarkender Euro könnten die Inflation unter das Zwei-Prozent-Ziel drücken. Eine Zinssenkung als Reaktion auf Trumps Handelspolitik? Das wäre eine bemerkenswerte Entwicklung.
Weltweit ringen die Währungshüter mit ähnlichen Problemen. Beim jährlichen Treffen von Zentralbankern in Tokio, quasi dem japanischen Jackson Hole, stehen genau diese Themen auf der Agenda: hartnäckige Inflation, Wachstumsrisiken und eben die Auswirkungen von US-Zöllen. Während Fed-Präsident Kashkari für die USA bis September kaum Spielraum für Zinssenkungen sieht und vor den Folgen der Handelspolitik warnt, könnte die EZB also tatsächlich einen anderen Weg einschlagen.
Ein kleiner Mosaikstein im europäischen Inflationsbild kommt aus Spanien: Dort hat sich der Anstieg der Erzeugerpreise im April verlangsamt, vor allem dank günstigerer Energie. Ob dies eine breitere Entspannung signalisiert oder nur ein regionaler Effekt ist, wird sich zeigen müssen. Gleichzeitig sehen wir, wie Russlands Wirtschaft merklich abkühlt und dort ebenfalls Rufe nach Zinssenkungen lauter werden.
Mein Fazit hierzu: Die EZB befindet sich in einer Zwickmühle. Die Hoffnung auf weiter nachlassende Inflation steht der Gefahr neuer Preisschübe durch Zölle und einem potenziell importpreisdämpfenden, aber exportbremsenden starken Euro gegenüber. Eine Zinssenkung im Juni wäre ein couragiertes Signal gegen die konjunkturellen Risiken, birgt aber auch die Gefahr, zu früh zu handeln. Das dürfte spannend werden!
Sichere Häfen gesucht? Gold, Anleihen und die Nervosität der Anleger
Wie reagieren Anleger auf diese Gemengelage? Die Suche nach Sicherheit ist spürbar, auch wenn die Definition von „sicher“ dehnbar geworden ist. Gold zeigte sich nach Trumps Kehrtwende kurzzeitig schwächer, profitierte aber rasch wieder von der zugrundeliegenden Unsicherheit. Analysten von Citi haben ihr kurzfristiges Kursziel für Gold angesichts der Zollrisiken wieder auf 3.500 US-Dollar angehoben – eine deutliche Ansage.
An den Anleihemärkten sehen wir ebenfalls interessante Entwicklungen. Der Begriff der „Bond Vigilantes“ macht wieder die Runde – Anleiheinvestoren, die Regierungen für eine unsolide Finanzpolitik mit höheren Zinsen abstrafen. Die steigenden Renditen für langlaufende Staatsanleihen in den USA und Japan deuten darauf hin, dass die Geduld der Investoren mit ausufernder Staatsverschuldung begrenzt ist. Trumps schuldenfinanzierte Ausgabenpläne tragen hier sicherlich zur Nervosität bei. Auch wenn die Renditen in der Eurozone noch vergleichsweise moderat sind, ist dies ein klares Warnsignal.
Der US-Dollar steht derweil unter Druck, nicht nur wegen der Zolldebatte, sondern auch aufgrund der generellen Sorgen um die US-Haushaltslage. Ein schwächerer Dollar kann zwar Importe für die USA verteuern, gleichzeitig aber auch Exporte aus der Eurozone unattraktiver machen. Für Bitcoin & Co. war es ebenfalls eine volatile Woche mit neuen Rekordhochs und scharfen Korrekturen. Sind Kryptowährungen ein Ausdruck der allgemeinen Nervosität oder schlicht hochspekulative Anlagen? Für die meisten Anleger wohl eher Letzteres.
Meine Einschätzung: Eine echte Flucht in Sicherheit ist in diesem Umfeld schwierig. Gold mag kurzfristig profitieren, aber die Volatilität bleibt hoch. Die Signale von den Anleihemärkten sollten wir jedoch sehr ernst nehmen, da sie direkte Auswirkungen auf die Finanzierungskosten und die Stabilität unserer Volkswirtschaften haben.
Jenseits der Handelspolitik: Was sonst noch zählt
Auch wenn der Fokus stark auf dem Zollstreit liegt, dürfen wir andere wichtige Entwicklungen nicht aus den Augen verlieren. Der Krieg in der Ukraine geht mit unverminderter Härte weiter, und die humanitäre Lage im Gazastreifen bleibt katastrophal. Die Atomgespräche mit dem Iran sind ein weiterer Krisenherd mit potenziellen Auswirkungen auf die globalen Energiemärkte. Strukturelle Verschiebungen, wie Chinas wachsende Rolle als Kreditgeber für Entwicklungsländer, verändern zudem langfristig die globalen Finanzströme. Und nicht zuletzt werden die in dieser Woche erwarteten Quartalszahlen des Chip-Giganten Nvidia ein wichtiger Indikator für den Technologiesektor und die KI-Euphorie sein.
Die kommenden Tage und Wochen werden also weiterhin von hoher Unsicherheit geprägt sein. Der 9. Juli ist nun der nächste wichtige Termin im Handelsstreit-Kalender. Bis dahin werden Inflationsdaten aus der Eurozone und den USA (insbesondere die PCE-Daten) sowie die Reaktionen der Notenbanken die Richtung vorgeben.
In diesen turbulenten Zeiten ist ein kühler Kopf wichtiger denn je. Eine breit gestreute Anlagestrategie und die Fähigkeit, zwischen kurzfristigem Marktlärm und langfristigen Trends zu unterscheiden, sind unerlässlich.
Bleiben Sie wachsam und informiert!
Herzlichst,
Ihr Eduard Altmann