Liebe Leserinnen und Leser,
wer hätte das nach dem volatilen Auf und Ab der letzten Wochen gedacht? Dieser Montagmorgen überrascht uns mit Nachrichten, die an vielen Fronten für ein kollektives Aufatmen sorgen – zumindest vorerst. Allen voran ein unerwartet deutliches Signal der Entspannung im erbitterten Handelskrieg zwischen den USA und China. Aber auch an anderen geopolitischen Krisenherden scheint sich etwas zu bewegen. Ist das die ersehnte Trendwende, ein echter Hoffnungsschimmer, oder nur eine kurze Atempause im globalen Ringen? Lassen Sie uns gemeinsam versuchen, diese überraschenden Entwicklungen einzuordnen und zu überlegen, was sie für uns und die Märkte bedeuten könnten.
Das große Aufatmen: Der US-China-Deal ist da (vorerst)
Die wohl größte Nachricht des Tages ist die Einigung zwischen Washington und Peking nach intensiven Gesprächen in Genf am Wochenende. Und die hat es in sich: Die USA senken ihre Strafzölle auf chinesische Waren, die seit April schrittweise auf bis zu 145% (!) eskaliert waren, auf nunmehr 30%. China wiederum reduziert seine Vergeltungszölle auf US-Importe von 125% auf 10%. Dieser "Waffenstillstand" soll zunächst für 90 Tage gelten.
Die Erleichterung an den Märkten war unmittelbar spürbar. Die US-Aktienfutures schossen in die Höhe, der US-Dollar legte deutlich zu (insbesondere gegenüber den als "sichere Häfen" geltenden Währungen wie Yen und Schweizer Franken), und auch die Ölpreise machten einen kräftigen Sprung nach oben. Gleichzeitig stiegen die Renditen für US-Staatsanleihen – ein Zeichen dafür, dass Investoren wieder mehr Risiko wagen und weniger auf Sicherheit setzen.
Warum diese starke Reaktion? Ein ungebremster Handelskrieg zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Welt hätte verheerende Folgen für die globale Konjunktur und könnte eine weltweite Rezession auslösen. Die jetzige Deeskalation, auch wenn sie zeitlich begrenzt ist, nimmt zumindest kurzfristig Druck vom Kessel. US-Finanzminister Scott Bessent sprach davon, dass keine Seite eine Abkopplung der Wirtschaftssysteme wolle. Das ist Musik in den Ohren der globalisierten Wirtschaft.
Doch bei aller Euphorie sollten wir nicht die offenen Fragen übersehen. Der Deal scheint vor allem die Zölle zu betreffen, die seit April eingeführt wurden. Ältere Zölle, etwa auf Stahl und Aluminium oder spezifische Produkte wie E-Autos aus China, bleiben wohl bestehen. Unklar ist auch das Schicksal der "De-minimis"-Regelung – jene US-Maßnahme, die seit Anfang Mai günstige Online-Bestellungen aus China unter 800 Dollar mit hohen Zöllen belegt hatte. Ob diese nun auch fällt, wurde nicht explizit erwähnt. Ebenso bleibt abzuwarten, wie China die Exportbeschränkungen für Seltene Erden handhaben wird, die es im April eingeführt hatte. Da diese Regelung formal für alle Länder galt, ist unklar, ob sie als reine US-spezifische Maßnahme im Rahmen des Deals aufgehoben wird. Hier könnten US-Unternehmen wie Tesla, die auf diese Rohstoffe angewiesen sind, weiter auf Genehmigungen warten müssen.
Die nächsten 90 Tage werden also entscheidend sein. Finden die beiden Supermächte einen Weg zu einer dauerhafteren Lösung, oder erleben wir nach Ablauf der Frist ein erneutes Aufflammen des Konflikts? Meine Skepsis bleibt – dieser Deal wirkt eher wie eine taktische Pause denn wie ein strategischer Durchbruch. Aber immerhin: eine Pause zum Durchatmen.
Lichtblicke auch an anderen Fronten?
Fast zeitgleich mit dem Handelsdeal gab es auch an anderen geopolitischen Brennpunkten überraschend positive Nachrichten:
- Indien & Pakistan: Nach Tagen schwerster Gefechte an der Grenze, die Sorgen vor einer Eskalation zwischen den Atommächten schürten, wurde am Wochenende ein Waffenstillstand vereinbart, der bisher zu halten scheint. Ein wichtiger Schritt, auch wenn die grundlegenden Konflikte ungelöst bleiben.
- Hamas-Geisel: Die Hamas kündigte an, heute den letzten verbliebenen amerikanischen Staatsbürger unter den Geiseln, Edan Alexander, freizulassen. Dies wird als Geste gegenüber der Trump-Regierung gewertet. Israel betonte zwar, dass dies kein allgemeiner Waffenstillstand sei, aber es könnte ein kleiner Schritt sein, um die festgefahrenen Verhandlungen wieder in Gang zu bringen.
- PKK löst sich auf: Die kurdische Arbeiterpartei PKK, die seit Jahrzehnten einen bewaffneten Kampf gegen die Türkei führt, hat Berichten zufolge ihre Auflösung beschlossen. Wenn sich dies bestätigt, wäre das ein historischer Schritt mit weitreichenden Folgen für die gesamte Region.
Diese Häufung positiver Meldungen ist bemerkenswert. Sie zeigt, dass Diplomatie auch in scheinbar ausweglosen Situationen Erfolge erzielen kann. Gleichzeitig darf man sich keinen Illusionen hingeben: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine geht unvermindert weiter. Berichte über massive russische Drohnenangriffe in der Nacht zum Montag, nur Stunden nachdem ein von europäischen Staatschefs vorgeschlagener Waffenstillstand hätte beginnen sollen, zeigen die brutale Realität. Russlands Bereitschaft zu echten Verhandlungen scheint weiterhin gering. Der Frieden bleibt an vielen Orten ein äußerst zerbrechliches Gut.
Krypto-Markt: Profiteur der Entspannung?
Auch die Kryptomärkte scheinen von der verbesserten Stimmung zu profitieren. Bitcoin hält sich stabil über der Marke von 100.000 US-Dollar (die Artikel verwenden durchgehend eine leicht verwirrende Schreibweise, ich bleibe bei der üblichen Form), nahe seinem Drei-Monats-Hoch. Analysten sehen einen Zusammenhang mit dem nachlassenden Druck durch den Handelsstreit und der allgemein gestiegenen Risikobereitschaft.
Der CEO der weltgrößten Kryptobörse Binance, Richard Teng, bekräftigte seine Sicht auf Bitcoin als digitalen Wertspeicher und Alternative zu Gold, gerade in unsicheren Zeiten und für institutionelle Investoren. Passend dazu meldete MicroStrategy, das Softwareunternehmen des Bitcoin-Maximalisten Michael Saylor, den Kauf weiterer 13.390 Bitcoin für rund 1,34 Milliarden Dollar. Die Firma hält nun BTC im Wert von fast 60 Milliarden Dollar – ein beeindruckendes Bekenntnis.
Bei den Altcoins gab es ebenfalls Bewegung: XRP stach mit einem Kurssprung von über 10% heraus, auch Ethereum, Solana und Cardano legten zu. Gleichzeitig sorgt der von Präsident Trump beworbene Meme-Coin "$TRUMP" weiter für Schlagzeilen und ethische Debatten. Käufer des Coins nehmen an einer Verlosung für ein Dinner mit dem Präsidenten teil, was Kritikern zufolge eine problematische Verquickung von Amt und privaten (Krypto-)Interessen darstellt.
Notenbanken im Wartestand
Die Entspannung an der Handelsfront hat auch direkte Auswirkungen auf die Erwartungen an die Geldpolitik. Die Wahrscheinlichkeit, dass die US-Notenbank Federal Reserve bald die Zinsen senken muss, um eine Konjunkturabschwächung abzuwenden, ist gesunken. Analysten gehen nun davon aus, dass die Fed länger "geduldig" bleiben kann, bevor sie handelt. Ähnliches gilt für die Europäische Zentralbank (EZB). Die Märkte haben ihre Wetten auf baldige Zinssenkungen sowohl in den USA als auch im Euroraum deutlich zurückgenommen. Die Anleiherenditen, die invers zu den Zinserwartungen laufen, sind entsprechend gestiegen.
Der Fokus richtet sich nun auf die wichtigen US-Verbraucherpreisdaten (CPI) für April, die morgen veröffentlicht werden. Sie werden einen ersten Hinweis darauf geben, wie stark sich die bisherigen Zölle auf die Inflation ausgewirkt haben und ob der Preisdruck tatsächlich nachlässt. Dies wird für die weitere Zinspolitik der Fed von entscheidender Bedeutung sein. Auch die Bank of England beobachtet die Auswirkungen der US-Handelspolitik genau und betont die Risiken für Wachstum und Inflation in Großbritannien.
Mein Fazit: Ein Hoffnungsschimmer, aber kein Grund zur Sorglosigkeit
Dieser Montag bringt eine willkommene Dosis Optimismus. Der US-China-Handelsdeal ist zweifellos die wichtigste Nachricht und nimmt kurzfristig erheblichen Druck von der Weltwirtschaft. Auch die positiven Signale aus Indien/Pakistan und dem Nahen Osten sind ermutigend.
Dennoch sollten wir die Realitäten nicht ausblenden: Der Handelsfrieden ist auf 90 Tage befristet, viele grundlegende Konflikte bleiben ungelöst, und der Krieg in der Ukraine tobt weiter. Die wirtschaftlichen Narben der letzten Monate und Jahre sind tief, und die Notenbanken stehen weiterhin vor der schwierigen Aufgabe, Inflation zu bekämpfen, ohne die Wirtschaft abzuwürgen.
Was nehmen wir mit in diese Woche? Vielleicht die Erkenntnis, dass sich das Blatt schnell wenden kann – im Guten wie im Schlechten. Die jetzige Entspannung gibt uns Raum zum Atmen, aber die zugrundeliegenden Spannungen und Unsicherheiten bleiben bestehen. Entscheidend wird sein, ob die diplomatischen Erfolge von Dauer sind und ob die morgigen Inflationsdaten die Hoffnung auf eine sanfte Landung der Wirtschaft nähren.
Bleiben Sie wachsam und kritisch.
Herzlichst,
Ihr Eduard Altmann