Die globalen Finanzmärkte stehen unter Hochspannung, denn der von den USA forcierte US-Handelskrieg und innenpolitische Verwerfungen in Washington senden Schockwellen durch die Weltwirtschaft. Während die Trump-Administration ihre aggressive Zollpolitik vorantreibt und gleichzeitig versucht, innenpolitische Machtstrukturen zu ihren Gunsten zu verschieben, reagieren internationale Partner und Zentralbanken mit wachsender Nervosität. Die Frage, die sich Anleger weltweit stellen: Steht uns eine längere Phase der Instabilität bevor oder handelt es sich nur um ein temporäres Gewitter?
Eskalierende Zollfront: Washingtons Politik schürt globale Unsicherheit
Die jüngsten handelspolitischen Manöver aus Washington haben die Nervosität an den Märkten Ende Mai 2025 deutlich verschärft. Insbesondere die "reziproken" Zölle der USA, deren rechtliche Grundlage selbst in den Vereinigten Staaten zunehmend in Zweifel gezogen wird, sorgen für erhebliche Unruhe. Ein US-Berufungsgericht hatte zwar kürzlich die Zölle Präsident Trumps vorübergehend wieder in Kraft gesetzt, nachdem ein untergeordnetes Handelsgericht sie als unrechtmäßig blockiert hatte. Diese juristische Hängepartie illustriert die tiefe Verunsicherung, die von der US-Handelspolitik ausgeht. "Die Ungewissheit über die Rechtmäßigkeit der ‚reziproken‘ Zölle gibt uns sicherlich zusätzlichen Spielraum", kommentierte ein EU-Offizieller die Lage und betonte, dass die Gespräche über gegenseitige Nullzölle auf Industriegüter fortgesetzt würden. Doch die EU macht klar: Das europäische Steuersystem oder Lebensmittelstandards stehen nicht zur Disposition.
Diese Unsicherheit hat direkte Auswirkungen auf andere große Wirtschaftsräume. Alan Taylor, einflussreiches Mitglied im geldpolitischen Ausschuss der Bank of England (BoE), warnte eindringlich vor den negativen Folgen der US-Zölle. Er sieht "mehr Risiken auf der Abwärtsseite aufgrund globaler Entwicklungen" und befürchtet, dass die Zölle den Handel umleiten und das Wachstum im weiteren Jahresverlauf dämpfen werden. Die BoE selbst schätzt, dass die US-Maßnahmen die britische Inflation binnen zwei Jahren um 0,2 Prozentpunkte drücken und die Wirtschaftsleistung über drei Jahre um 0,3 Prozent schmälern könnten. Ähnlich besorgt zeigt sich Fabio Panetta, Mitglied des EZB-Rats und Gouverneur der italienischen Zentralbank. Er sprach von "Handelsspannungen", die zu einer Verschlechterung der ohnehin schwachen Konjunkturaussichten führen und einen "signifikanten Einfluss" auf die Wirtschaft haben könnten.
Innenpolitische Beben in den USA: Mehr als nur heiße Luft?
Die aggressive Außenhandelspolitik der USA ist dabei kein isoliertes Phänomen, sondern spiegelt auch tiefgreifende innenpolitische Entwicklungen wider. So enthält ein umfassendes Steuer- und Ausgabengesetz der Trump-Regierung, das derzeit im Senat beraten wird, eine brisante Klausel: Sie könnte die Macht von US-Gerichten schwächen, die Regierung bei Missachtung von Gerichtsanordnungen zur Rechenschaft zu ziehen. Kritiker befürchten, dass Bundesgerichte, einschließlich des Supreme Courts, keine Zwangsgelder oder -maßnahmen mehr verhängen könnten, wenn Kläger nicht zuvor eine Sicherheitsleistung hinterlegt haben – was in Verfahren gegen die Regierung selten der Fall ist. "Diese Bestimmung würde gültige Verfügungen neutralisieren und die Gerichte angesichts offener Missachtung machtlos machen", warnten demokratische Abgeordnete. Sollte diese Regelung Gesetz werden, könnte dies die Rechtsstaatlichkeit und die Verlässlichkeit von US-Institutionen weiter untergraben und somit die globale Unsicherheit zusätzlich befeuern.
Parallel dazu versucht die Trump-Administration, mit groß angekündigten Sparmaßnahmen im Bundeshaushalt zu punkten. Elon Musk, der eigens dafür ein "Department of Government Efficiency" (DOGE) leitete, versprach einst, die Staatsausgaben "mit der Kettensäge" zu kürzen. Die bisherige Bilanz nach vier Monaten fällt jedoch ernüchternd aus: Statt der anvisierten 2 Billionen Dollar wurden laut Analysen des US-Finanzministeriums lediglich rund 19 Milliarden Dollar im Vergleich zum Vorjahreszeitraum eingespart – etwa ein halbes Prozent der gesamten Bundesausgaben. Zwar meldet DOGE die Streichung zehntausender Zuschüsse und Verträge im Wert von 73 Milliarden Dollar und den Abbau von über 260.000 Stellen. Doch viele dieser Zahlen sind fehleranfällig und schwer verifizierbar, manche Kürzungen wurden gerichtlich gestoppt. Die Staatsausgaben sind unter Trump im Vergleich zum Vorjahr sogar um 10 % gestiegen, getrieben vor allem durch höhere Zinszahlungen auf die wachsende Staatsverschuldung. Diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei den Staatsfinanzen könnte den innenpolitischen Druck erhöhen und die Regierung zu weiteren unkonventionellen Maßnahmen, auch im Handelsbereich, verleiten.
Zentralbanken im Krisenmodus: Der Tanz zwischen Inflation und Rezessionsangst
Angesichts dieser Gemengelage aus eskalierenden Handelskonflikten und politischer Unberechenbarkeit stehen die großen Zentralbanken vor enormen Herausforderungen. EZB-Ratsmitglied Fabio Panetta gestand Ende Mai ein, dass der Raum für weitere Zinssenkungen "natürlich geschrumpft" sei, nachdem die EZB ihren Leitzins seit Juni letzten Jahres von 4 % auf aktuell 2,25 % gesenkt hatte. Die Finanzmärkte erwarten für das anstehende Treffen am 5. Juni eine weitere Senkung auf 2,0 %. Panetta plädierte jedoch für einen "pragmatischen und flexiblen Ansatz", da die Konjunkturaussichten schwach blieben und Handelsspannungen die Lage verschärfen könnten. Die jüngsten Inflationsdaten aus Italien, wo die harmonisierte Teuerungsrate im Mai auf 1,9 % zurückging und damit im Rahmen der Erwartungen lag, unterstreichen die nachlassenden Preisdrücke in Teilen der Eurozone.
In Großbritannien hingegen plädiert BoE-Politiker Alan Taylor trotz einer kürzlich überraschend auf 3,5 % gesprungenen Inflationsrate für weitere Zinssenkungen. Er sieht den Inflationsanstieg primär durch "einmalige Steuer- und administrierte Preisänderungen" bedingt und nicht durch breite Nachfrage- oder Angebotsdrücke. Seine Sorge gilt den globalen Handelsrisiken, weshalb er bereits bei der letzten Sitzung für eine deutlichere Zinssenkung votiert hatte. Die BoE selbst hat ihren Leitzins zuletzt vorsichtiger auf 4,25 % gesenkt. Gouverneur Andrew Bailey mahnte kürzlich zu einem "graduellen und vorsichtigen" Vorgehen bei künftigen Zinsschritten – ein Indiz für die Zerrissenheit der Notenbanker.
Auch Schwellenländer wie die Türkei spüren den rauen Wind. Zwar wuchs die türkische Wirtschaft im ersten Quartal 2025 um 2,0 %, blieb damit aber unter den Erwartungen. Analysten prognostizieren für das Gesamtjahr ein Wachstum von 3 %, das ebenfalls leicht unter dem Vorjahreswert liegt – eine Folge der straffen Geldpolitik, mit der die Zentralbank die hohe Inflation (im Mai letzten Jahres noch bei 75 %) zu bekämpfen versucht. Der jüngste Zinsschritt im April auf 49 % war auch eine Reaktion auf Marktturbulenzen.
Ausblick: Nervosität als neuer Normalzustand?
Die kommenden Wochen und Monate dürften an den Finanzmärkten von anhaltender Nervosität geprägt sein. Die Verflechtung von aggressiver US-Handelspolitik, unberechenbaren innenpolitischen Manövern in Washington und den verzweifelten Versuchen der Zentralbanken, Inflation und Rezession gleichermaßen abzuwehren, schafft ein hochvolatiles Umfeld. Die EU mag in der aktuellen Situation zwar einen "Hebel" für Handelsgespräche sehen und sich als "Oase der Stabilität" präsentieren, doch die Unsicherheit bleibt der dominante Faktor. "Es ist unmöglich zu wissen, wie der Status der Zölle nächste Woche, geschweige denn nächsten Monat sein wird!", so ein EU-Vertreter. Für Anleger bedeutet dies, sich auf weitere Turbulenzen einzustellen. Die Frage ist nicht mehr, ob die nächste Krise kommt, sondern nur noch, wann und in welcher Form. Das dürfte spannend werden.