Wenn Milliarden Marktmacht verglühen
Liebe Leserinnen und Leser,
während Tech-Titel an den Börsen neue Höhenflüge hinlegen, brodelt es hinter den Kulissen der Digitalriesen. Die alte Gewissheit, dass Größe vor Zerschlagung schützt, bröckelt – und mit ihr könnte eine ganze Ära enden. Heute schauen wir auf die tektonischen Verschiebungen in der Tech-Welt, die stillen Gewinner der Rohstoffmärkte und eine überraschende Wende in der Handelspolitik.
Google vor dem Richter: Das Ende der Suchmaschinen-Dominanz?
Es ist der Albtraum jedes Tech-CEOs: Ein US-Bundesrichter könnte Google zwingen, sich von Chrome zu trennen – jenem Browser, über den 3,5 Milliarden Menschen ins Internet gehen. Richter Amit Mehta hatte bereits im August geurteilt, dass Google ein illegales Monopol bei der Internetsuche betreibt. Nun drohen drastische Konsequenzen.
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: 90% Marktanteil bei der Suche, 95% auf Smartphones. Google zahlt jährlich über 20 Milliarden Dollar an Apple und andere, um Standard-Suchmaschine zu bleiben. Ein lukratives Geschäft – Apple verdient damit mehr als mit seinen iPads.
Doch was für amerikanische Wettbewerbshüter ein Problem darstellt, könnte für europäische Unternehmen zur Chance werden. Sollte Google tatsächlich zerschlagen werden, entstünden Marktlücken, die innovative europäische Tech-Firmen füllen könnten. Die Frage ist nur: Sind wir darauf vorbereitet?
Die Ironie dabei: Während die USA ihre eigenen Tech-Giganten attackieren, profitiert Europa möglicherweise mehr als gedacht. Schließlich war es die EU, die mit der DSGVO und dem Digital Markets Act den regulatorischen Ton vorgab. Jetzt ziehen die Amerikaner nach – mit ungewissen Folgen für die globale Tech-Landschaft.
Indiens Ingwer-Imperium: Wie Gewürze zu Gold werden
Von der Digitalwirtschaft zu den Gewürzmärkten – ein ungewöhnlicher Sprung? Nicht, wenn man die Zahlen kennt. Der globale Ingwermarkt explodiert förmlich und soll bis 2030 die 6,88-Milliarden-Dollar-Marke knacken. Im Zentrum: Indien, das seine Position als Gewürz-Supermacht weiter ausbaut.
Allein Madhya Pradesh produziert jährlich über 2 Millionen Tonnen Ingwer. Das entspricht fast der Hälfte der weltweiten Produktion. Während wir in Europa über Lieferketten diskutieren, bauen indische Bundesstaaten mit gezielten Subventionsprogrammen ihre Dominanz aus. Kerala pumpt Millionen in die Modernisierung der Ingwerproduktion, Punjab transformiert sich zum neuen Anbau-Hub.
Die Nachfrage kommt dabei nicht nur aus der Lebensmittelindustrie. Pharmakonzerne und Kosmetikhersteller reißen sich um hochwertigen Ingwer für Nahrungsergänzungsmittel und Beauty-Produkte. Ein Trend, der sich in unseren Apotheken und Drogerien widerspiegelt: Ingwer-Shots, Ingwer-Kapseln, Ingwer-Cremes – der Markt scheint keine Grenzen zu kennen.
Für europäische Importeure bedeutet das: Die Abhängigkeit von asiatischen Lieferketten wächst weiter. Gleichzeitig eröffnen sich Chancen für innovative Verarbeitungsunternehmen, die den Rohstoff veredeln. Die Wertschöpfung findet zunehmend dort statt, wo die Technologie sitzt – nicht zwingend, wo die Pflanze wächst.
Chip-Allianzen: Die neue Geopolitik der Halbleiter
Die Electronic System Design Alliance meldet Rekordzahlen: 5,1 Milliarden Dollar Umsatz im zweiten Quartal 2025, ein Plus von 8,6%. Besonders spannend: Die Americas-Region wächst zweistellig, Europa zieht nach. Was steckt dahinter?
Es ist die stille Revolution der Chip-Designer. Während alle Welt über Chip-Fabriken spricht, verdienen die Entwickler der Design-Software prächtig. 72.529 Menschen arbeiten mittlerweile in dieser Branche – ein Beschäftigungsplus von fast 15% binnen Jahresfrist. Diese Jobs entstehen nicht in Asien, sondern in Kalifornien, Texas und zunehmend auch in München, Dresden und Grenoble.
Die Nachfrage treibt ein ungewöhnlicher Mix: Automobilhersteller, die ihre E-Autos mit immer mehr Chips vollstopfen. KI-Unternehmen, die nach speziellen Prozessoren gieren. Und Rüstungskonzerne, die angesichts geopolitischer Spannungen ihre Lieferketten absichern wollen.
Europa hat hier eine Chance, die es nicht verpassen darf. Mit dem European Chips Act fließen 43 Milliarden Euro in die Halbleiterindustrie. Aber Hardware allein reicht nicht – ohne die Software zum Chip-Design bleibt Europa abhängig. Die gute Nachricht: Deutsche Ingenieurskunst ist in diesem Bereich weltweit gefragt.
Anzeige
Apropos Chips: Wer genauer verstehen möchte, welche europäischen Unternehmen aktuell vom globalen Halbleiter-Boom profitieren – und warum gerade jetzt ein „neuer Nvidia-Moment“ entstehen könnte – findet in diesem aktuellen Marktbericht spannende Analysen zur nächsten Chip-Generation und möglichen Gewinnern. Hier lesen Sie mehr.
Missouri gegen Washington: Wenn Bundesstaaten rebellieren
Ein kurioser Rechtsstreit erreicht den Supreme Court: Missouri wollte Bundesgesetze zur Waffenkontrolle aushebeln – und scheiterte. Was nach amerikanischem Lokalkolorit klingt, hat globale Implikationen.
Der „Second Amendment Preservation Act“ sollte es Beamten in Missouri verbieten, Bundesgesetze zu Waffen durchzusetzen. Strafen bis 50.000 Dollar drohten bei Zuwiderhandlung. Die Biden-Administration klagte, gewann in allen Instanzen. Selbst unter Trump ändert sich die Rechtslage nicht.
Warum das für europäische Leser relevant ist? Es zeigt die Grenzen des amerikanischen Föderalismus. Während in der EU über „mehr oder weniger Europa“ debattiert wird, demonstrieren die USA, dass zu viel Eigenständigkeit der Bundesstaaten das System lahmlegen kann. Die Supremacy Clause – Bundesrecht bricht Staatsrecht – funktioniert. Ein beruhigendes Signal für alle, die sich Sorgen über die Stabilität des transatlantischen Partners machen.
Gleichzeitig offenbart der Fall die tiefen Gräben in der amerikanischen Gesellschaft. Missouri ist kein Einzelfall. Mehrere republikanisch regierte Bundesstaaten testen die Grenzen ihrer Autonomie. Für europäische Unternehmen bedeutet das: Die USA werden komplizierter. Was in Kalifornien gilt, muss in Texas noch lange nicht gelten. Compliance wird zum Flickenteppich.
Marktsignale: Was die Woche bringt
Die kommenden Tage versprechen Spannung. Am Dienstag verkündet die EZB ihre Zinsentscheidung – die Märkte rechnen mit einer Pause nach den jüngsten Senkungen. Inflation bei 2,2%, Konjunktur schwach: Lagarde steht vor einem Dilemma.
Mittwoch dann die US-Verbraucherpreise. Nach den starken Arbeitsmarktdaten vom Freitag wächst die Nervosität: Kommt die Inflation zurück? Die Fed würde ihre Zinssenkungspläne überdenken müssen – mit Folgen für den schwächelnden Euro.
Und dann ist da noch die EXPO REAL in München, die am Dienstag ihre Pforten öffnet. Die Immobilienbranche trifft sich zur Bestandsaufnahme: Zinswende vollzogen, aber wo bleiben die Käufer? Die deutschen Bürotürme stehen vielerorts leer, während in München Spitzenmieten von 70 Euro pro Quadratmeter aufgerufen werden. Kein Wunder, dass internationale Investoren genau hinschauen.
Die Aktienmärkte zeigen sich derweil robust. Tech-Werte treiben die Indizes, während traditionelle Industrien schwächeln. INEOS macht in Rheinberg dicht – 175 Jobs weg. Die Begründung: Energiekosten zu hoch, chinesische Konkurrenz zu billig. Es ist die brutale Realität der Deindustrialisierung, vor der Verbände seit Monaten warnen.
Die Märkte nehmen es gelassen. Zu gelassen? Die Schere zwischen Börsenboom und Realwirtschaft öffnet sich weiter. Irgendwann muss sich das auflösen – die Frage ist nur, in welche Richtung.
Mit nachdenklichen Grüßen in eine ereignisreiche Woche
Eduard Altmann
P.S.: Wenn selbst Missouri sich dem Bundesrecht beugen muss und Google möglicherweise zerschlagen wird, dann leben wir wahrhaft in interessanten Zeiten. Die alten Gewissheiten bröckeln – an den Märkten wie in der Politik. Bleiben Sie wachsam.