Liebe Leserinnen und Leser,
es ist Donnerstagnachmittag, und während viele in Europa vielleicht schon ans lange Wochenende denken, sendet der Devisenmarkt ein unüberhörbares Signal: Der japanische Yen ist heute auf Talfahrt gegangen. Ein isoliertes Ereignis? Wohl kaum. Für mich ist das ein weiteres Puzzleteil in einem Bild globaler wirtschaftlicher Anspannung. Was steckt also wirklich hinter diesem Yen-Rutsch, und was verrät er uns über den Zustand der Weltwirtschaft unter dem Damoklesschwert der US-Handelspolitik?
Der Auslöser in Fernost – Die BOJ zwischen Zöllen und Zaudern
Der unmittelbare Grund für die heutige Yen-Schwäche liegt in Tokio. Die Bank of Japan (BOJ) hat, wie erwartet, die Zinsen unverändert bei 0,5% belassen – eine einstimmige Entscheidung. Doch der Teufel steckt wie so oft im Detail, genauer gesagt im begleitenden Ausblick. Die BOJ hat ihre Wachstumsprognosen für die kommenden Jahre teils drastisch gesenkt und führt dies ganz explizit auf die Unsicherheiten durch die US-Zollpolitik zurück. Gouverneur Kazuo Ueda sprach von einem "etwas nach hinten verschobenen" Zeitplan für das Erreichen des 2%-Inflationsziels und betonte, die Unsicherheit sei "extrem hoch".
Die Märkte haben diese Botschaft klar als „dovish“, also als Signal für eine lockerere Geldpolitik interpretiert: Die Hoffnung auf baldige weitere Zinserhöhungen in Japan wurde ausgepreist. Die Folge: Der Yen fiel, japanische Staatsanleihen (JGBs) wurden gekauft (was die Renditen drückt), und der Nikkei-Aktienindex legte zu. Für mich zeigt das: Die BOJ sieht sich durch die externe Schockwelle der US- Handelspolitik in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt. Sie steckt fest in einem geldpolitischen Wartestand („Holding Pattern“), gezwungen abzuwarten, wie sich der globale Handelskonflikt entwickelt.
Das Echo in der Realwirtschaft – Produktionsflaute von Washington bis London
Die Sorgen der BOJ sind keine abstrakten Hirngespinste, sondern spiegeln wider, was aktuell in den Industriezentren der Welt passiert. Schauen wir auf die neuesten Daten:
- USA: Der ISM-Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe ist im April weiter gefallen und liegt nun bei 48,7 – klar unter der Expansionsschwelle von 50. Damit schrumpft die US-Industrie den zweiten Monat in Folge. Entscheidend: Die Umfrage deckte bereits die Ankündigung der drastischen Trump-Zölle (Stichwort „Liberation Day“) ab. Als Gründe für die Schwäche nennen die befragten Manager genau das: Die Zölle belasten die Lieferketten, die stark von Importen abhängen, und treiben die Einkaufspreise auf den höchsten Stand seit Juni 2022. Immerhin: Die Beschäftigung schrumpft langsamer als zuvor, aber die Produktion lahmt.
- Großbritannien: Hier sieht das Bild noch düsterer aus. Der entsprechende Einkaufsmanagerindex (S&P Global) verharrt tief im Kontraktionsbereich (45,4). Besonders alarmierend ist der Einbruch bei den Exportaufträgen – der stärkste Rückgang seit fast fünf Jahren (Mai 2020, Höhepunkt der Pandemie!). Die Nachfrage aus den USA, Europa und China ist eingebrochen. Auch hier werden explizit die US-Zölle als Hauptgrund genannt, die für enorme Unsicherheiten und Anpassungen bei globalen Handelspartnern sorgen. Hinzu kommen steigende Kosten (höhere Löhne, aber eben auch die globale Unsicherheit) und eine sinkende Geschäftsstimmung unter den Herstellern. Sogar die Beschäftigung leidet unter politischen Faktoren wie einer Erhöhung der Sozialabgaben.
- Europa: Eine neue Prognose aus den Niederlanden unterstreicht das Bild: Das renommierte CPB-Institut rechnet damit, dass allein die Trump-Zölle das niederländische Wirtschaftswachstum bis 2026 um einen ganzen Prozentpunkt drücken werden.
Wir sehen also ein kohärentes Bild: Die globale Industrie leidet spürbar unter der Unsicherheit und den direkten Auswirkungen der US-Handelspolitik. Das ist kein statistisches Rauschen mehr, sondern ein handfestes Problem.
Rohstoffe im Zwiespalt – Ölpreis unter Druck, Hoffnung bei Gold & Co?
Wie reagieren die Rohstoffmärkte auf diese Gemengelage?
- Öl: Der Ölpreis setzt seine Talfahrt fort. Hier kommt eine toxische Mischung zusammen: Einerseits die Sorge vor einer schwächeren globalen Nachfrage, befeuert durch die schwachen Konjunktur- und Industriedaten (die US-BIP-Kontraktion von gestern wirkt nach). Andererseits gibt es Signale für ein potenziell höheres Angebot. Berichten zufolge ist Saudi-Arabien nicht bereit, den Markt durch weitere Produktionskürzungen zu stützen und könnte sogar eine Ausweitung der OPEC+-Produktion mittragen. Diese Kombination drückt Brent unter 61 Dollar und WTI unter 58 Dollar.
- Gold: Interessanterweise verliert auch Gold heute deutlich an Boden und fällt auf ein Zwei-Wochen-Tief. Der Grund ist paradox: Gerade weil die Lage so angespannt ist, keimt bei jeder noch so kleinen Andeutung von Verhandlungen zwischen den USA und China kurzfristig Hoffnung auf. Diese Hoffnung reduziert dann vorübergehend die Nachfrage nach dem "sicheren Hafen" Gold. Auch wenn die schwache Konjunktur eigentlich für Gold sprechen sollte, dominieren heute die (ungesicherten) Gerüchte über mögliche Tariff-Gespräche.
- Andere: Kupfer hingegen legt leicht zu – oft ein Zeichen für verbesserte China-Aussichten, was zu den Gesprächsgerüchten passt. Bitcoin versucht sich um 94.000 Dollar zu halten, doch Analysten sehen Anzeichen nachlassender Dynamik und schwächeren Volumens. Spannend bleibt die langfristige Sicht auf Industriemetalle wie Eisenerz: Citi-Analysten sehen hier den Haupttreiber für Gewinne im globalen Bergbausektor und betonen die Bedeutung der Produktionskosten für langfristige Investitionsentscheidungen.
Das große Warten – Geplänkel um Gespräche und die Ruhe vor dem Sturm?
Das bringt uns zur Kernfrage: Gibt es Fortschritte im Handelsstreit, insbesondere zwischen den USA und China? Die Signale sind, gelinde gesagt, verwirrend. Einerseits berichten staatsnahe chinesische Medien (wie der Social-Media-Account Yuyuan Tantian), die USA hätten über verschiedene Kanäle Kontakt aufgenommen, um über die 145%-Zölle gegen China zu sprechen. Andererseits dementiert das chinesische Außenministerium offizielle Gespräche, und die South China Morning Post meldet, Peking spiele auf Zeit. Man wolle erst abwarten, welche Beratergruppe sich in Washington durchsetzt und wie andere Länder auf die aktuelle 90-tägige Aussetzung der Zölle reagieren.
Während also hinter den Kulissen möglicherweise kommuniziert wird, herrscht öffentlich Stillstand und Unsicherheit. Diese Unsicherheit manifestiert sich aber noch nicht flächendeckend beim Endverbraucher. Analysten von Bernstein stellen fest, dass Einzelhändler trotz steigender Importkosten durch die Zölle bisher kaum die Preise erhöht haben – eine Gratwanderung angesichts bereits strapazierter Konsumentenbudgets. Es fühlt sich an wie die Ruhe vor dem Sturm. Die Frage ist, wer zuerst die Preise anheben muss oder will. Walmart bekräftigt seine Niedrigpreisstrategie bei Lebensmitteln, während Target laut Bernstein bereits deutlich teurer ist.
Als kleine Randnotiz, die zeigt, wie verworren die Zeiten sind: Elon Musk, von Präsident Trump mit der Leitung des "Department of Government Efficiency" (DOGE) beauftragt, soll nun laut Bloomberg prüfen, ob auch bei der US-Notenbank Federal Reserve Kosten gespart werden können. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt…
Mein Fazit für heute: Augen auf und durch!
Der heutige Tag unterstreicht einmal mehr: Die globale Wirtschaft und die Finanzmärkte stehen massiv unter dem Einfluss der unberechenbaren US-Handelspolitik. Das ist keine abstrakte Gefahr mehr, sondern schlägt sich in realen Daten (Yen, Industrie-PMIs, BOJ-Prognosen) und Marktbewegungen (Öl, Gold) nieder. Während die Produktion ächzt, ist der volle Preisdruck beim Konsumenten offenbar noch nicht angekommen, und hinter den Kulissen wird um Verhandlungspositionen gerungen.
Morgen steht mit dem offiziellen US-Arbeitsmarktbericht für April der nächste wichtige Datenpunkt an. Er wird zeigen, wie robust der US-Arbeitsmarkt angesichts der wirtschaftlichen Abkühlung und der handelspolitischen Verwerfungen noch ist. Daneben bleiben die geopolitischen Risiken bestehen, vom Krieg in der Ukraine (neue Drohnenangriffe auf Odesa) bis zu den Spannungen zwischen Indien und Pakistan.
Bleiben Sie wachsam, aber lassen Sie sich nicht von jeder Schlagzeile verrückt machen. Eine solide Diversifikation bleibt das A und O.
Ich wünsche Ihnen einen guten Start ins hoffentlich lange Wochenende!
Herzlichst,
Ihr Eduard Altmann
Donnerstag, 01. Mai 2025