Liebe Leserinnen und Leser,
ein weiterer Freitagnachmittag, und die Finanzwelt schickt uns mit einer ordentlichen Portion Material zum Nachdenken ins Wochenende. Selten war die Diskrepanz zwischen politischem Aktionismus, insbesondere auf der globalen Bühne, und den harten Wirtschaftsdaten so spürbar wie in diesen Tagen. Im Mittelpunkt des Geschehens steht, wieder einmal, US-Präsident Donald Trump, dessen diplomatische und handelspolitische Offensive von der Golfregion bis nach Asien reicht. Doch während Deals verkündet und Entspannungssignale gesendet werden, zeichnen heimische Konjunkturindikatoren in den USA und auch anderswo ein eher durchwachsenes Bild. Zeit für einen Realitätscheck.
Trumps Welttheater: KI-Chips, Krisendiplomatie und die Frage der Nachhaltigkeit
Man kommt kaum hinterher: US-Präsident Trump beendet seine Golf-Tour mit bemerkenswerten Vereinbarungen. Die Vereinigten Arabischen Emirate sollen Zugang zu fortschrittlichsten US-amerikanischen KI-Halbleitern erhalten und ihre Energieinvestitionen in den USA massiv aufstocken – die Rede ist von 440 Milliarden Dollar bis 2035. Ein "sehr großer Vertrag", so Trump, der Milliarden generieren soll. Parallel dazu wird die Aufhebung der Syrien-Sanktionen mit neuen Weltbank-Krediten für das Land unterfüttert, und auch in den Atomgesprächen mit dem Iran scheint Washington Bewegung signalisieren zu wollen, indem man Teheran einen Vorschlag unterbreitet habe, auf den schnell reagiert werden müsse. Man müsse es fast als koordiniertes Vorgehen mit den Europäern sehen, die ebenfalls mit dem Iran verhandeln.
Selbst im verfahrenen Ukraine-Konflikt will Trump eine Rolle spielen; die Friedensgespräche in Istanbul, die heute nach weniger als zwei Stunden ohne greifbares Ergebnis endeten, fanden unter seinem erklärten Druck statt. Er wolle Putin treffen, "sobald wir es arrangieren können". Man könnte fast von einer globalen Entspannungsoffensive sprechen, und tatsächlich hat Barclays seine Prognose einer US-Rezession kassiert – mit Verweis auf den jüngsten Handelsdeal zwischen den USA und China, der die Zölle zumindest temporär reduzierte.
Doch wie nachhaltig ist diese Entspannung? Die APEC-Staaten warnten erst kürzlich vor den "fundamentalen Herausforderungen" für das globale Handelssystem durch eben jene US-Zölle. Und die chinesische Staatszeitung Global Times fordert bereits eine Verlängerung des 90-Tage-"Waffenstillstands" im Handelskonflikt. Es wirkt oft, als würde an einer Stelle ein Feuer gelöscht, während an anderer Stelle schon wieder neue Zündschnüre gelegt werden – Trump selbst kündigte unlängst an, US-Beamte würden in den nächsten Wochen Briefe an Länder schicken, "was sie zahlen werden, um in den Vereinigten Staaten Geschäfte zu machen". Die Goldpreise, die diese Woche auf den schlechtesten Stand seit November zusteuerten, spiegeln zwar eine gewisse Risikobereitschaft wider, aber die zugrundeliegende Unsicherheit bleibt.
Während Präsident Trump in Katar davon sprach, den Gazastreifen zu einer "Freiheitszone" unter US-Beteiligung machen zu wollen, und gleichzeitig einräumte, dass dort "Menschen verhungern", gehen die israelischen Bombardierungen weiter, mit hunderten Toten allein in den letzten Tagen. Die Realität vor Ort scheint von den großen politischen Entwürfen oft unberührt.
Die nackten Zahlen: Konjunktur-Realitäten diesseits und jenseits des Atlantiks
Werfen wir einen Blick auf die harten Fakten, die uns diese Woche erreicht haben. Und die zeichnen ein Bild, das zur Vorsicht mahnt. Das Verbrauchervertrauen der University of Michigan in den USA ist überraschend gesunken und liegt mit 50,8 Punkten unter den Prognosen. Das deutet auf eine wachsende Vorsicht der Konsumenten hin. Passend dazu sind die Baubeginne für Einfamilienhäuser sowie die Baugenehmigungen im April gefallen. Als Gründe werden die Unsicherheit durch Zölle auf Baumaterialien und hohe Hypothekenzinsen genannt. Hier scheint die Politik direkt auf die Realwirtschaft durchzuschlagen.
Eine interessante Beobachtung kommt aus Kanada: Dort ziehen ausländische Investoren Kapital ab, während kanadische Anleger verstärkt in US-Anleihen investieren. Ein Zeichen für eine Flucht in vermeintlich sichere Häfen oder eine Präferenz für US-Assets trotz aller Turbulenzen?
Auch die Kryptomärkte zeigen sich zweigeteilt: Bitcoin konnte sich zwar in Richtung 104.000 Dollar erholen, gestützt von der Hoffnung auf Zinssenkungen der Fed nach zuletzt schwächeren Inflationsdaten. Coinbase-Aktien jedoch gerieten unter Druck, nachdem die Börse einen möglichen finanziellen Schaden von bis zu 400 Millionen Dollar durch einen Cyberangriff meldete. Die Aufnahme von Coinbase in den S&P 500 Anfang der Woche war zwar ein Ritterschlag für die Branche, die Risiken bleiben aber omnipräsent. Weltweit versuchen Unternehmen, die Chancen der Blockchain zu nutzen, wie etwa Pharos Network, das ein Testnetz für tokenisierte Realwerte ("RWA") gestartet hat. Aber auch die Kriminellen sind aktiv: In Frankreich sorgt eine Serie von Entführungen von Krypto-Unternehmern für Angst und Verunsicherung und Rufe nach besserem Schutz und sogar Deregulierung, um die Anonymität zu wahren.
BCA Research zog dieser Tage einen spannenden Vergleich zwischen 2025 und dem Jahr 2000: Damals platzte die Dotcom-Blase nach einer Konzentration auf Tech-Aktien und einem globalen Wachstumsschock. Heute sehen wir eine ähnliche Konzentration bei KI-Aktien. Ein Unterschied sei jedoch die deutlich höhere globale Verschuldung, die uns anfälliger für eine Rezession mache. Auch seien US-Staatsanleihen und der Dollar unter "Trump 2.0" nicht mehr die unangefochtenen sicheren Häfen. Eine nachdenklich stimmende Parallele.
Für Europa gibt es Licht und Schatten: In Großbritannien war das Wirtschaftswachstum im ersten Quartal zwar überraschend stark, UBS bleibt aber skeptisch für den Rest des Jahres. Die Hongkonger Wirtschaft wuchs im ersten Quartal solide um 3,1%. Die italienischen Verbraucherpreise stiegen im April leicht an. Und in Singapur könnte die Wachstumsprognose angesichts der globalen Unsicherheiten weiter nach unten korrigiert werden. EZB-Ratsmitglied Martins Kazaks deutete an, dass die Zinsen im Euroraum zwar nahe ihrem Tiefpunkt sein könnten, die Handelskonflikte aber ein erhebliches Risiko darstellten.
Europas innere Zerreißproben und die Suche nach dem eigenen Weg
Europa blickt nicht nur auf die globalen Verwerfungen, sondern hat auch eigene Herausforderungen zu meistern. Am Sonntag steht die Stichwahl um das rumänische Präsidentenamt an. Der EU-kritische Hardliner George Simion liegt in den Umfragen Kopf an Kopf mit dem pro-europäischen Bürgermeister von Bukarest, Nicusor Dan. Ein Sieg Simions könnte die politische Instabilität in dem Land mit dem größten Haushaltsdefizit der EU weiter verschärfen und die Beziehungen zu Brüssel belasten. Ganz anders die Stimmungslage vor der Wahl in Polen: Dort gilt der pro-europäische Warschauer Bürgermeister Rafal Trzaskowski als Favorit, was die Hoffnungen auf eine stärkere Einbindung Polens in die EU nährt.
Die EU selbst arbeitet an einem neuen Sanktionspaket gegen Russland, um den Druck auf Putin im Ukraine-Krieg zu erhöhen. Ein Verbot von Nord Stream und weitere Finanzsanktionen stehen im Raum. Dies geschieht vor dem Hintergrund der gerade erst gescheiterten direkten Friedensgespräche zwischen Russland und der Ukraine in Istanbul.
Einige europäische Unternehmen sind direkt von der US-Politik betroffen oder suchen eigene Wege. Der dänische Pharmariese Novo Nordisk, Hersteller des Abnehmmittels Wegovy, tauscht überraschend seinen CEO aus – offenbar aus Sorge, den Anschluss im hart umkämpften Markt für Adipositas-Medikamente zu verlieren. Und der US-Chipgigant Nvidia sucht wohl nach einem Forschungs- und Entwicklungsstandort in Shanghai, trotz der US-Exportbeschränkungen für fortschrittliche Chips nach China. Ein Zeichen, wie wichtig der chinesische Markt bleibt und wie Unternehmen versuchen, geopolitische Hürden zu umschiffen. Auch die Sorge in Kroatien, dass Trumps angekündigte Zölle auf Filmproduktionen die Attraktivität von Drehorten wie Dubrovnik ("Game of Thrones") schmälern könnten, zeigt die Verflechtungen.
Mein Fazit zum Ausklang der Woche
Dieser Freitag entlässt uns mit einer komplexen Gemengelage. Einerseits sehen wir politischen Aktionismus, der auf Entspannung und Deals abzielt – sei es zwischen den USA und China, den USA und den VAE oder im Iran-Konflikt. Andererseits zeigen die Konjunkturdaten eine gewisse Fragilität, und die geopolitischen Risiken, von der Ukraine bis zum Nahen Osten, bleiben virulent.
Das "Trump-Pendel", wie man es nennen könnte, schwingt derzeit stark in Richtung "Deal-Maker", aber die grundlegenden handelspolitischen Spannungen und die Unberechenbarkeit bleiben. Für uns in Europa bedeutet das, weiterhin wachsam zu sein, die eigenen Stärken zu nutzen und sich nicht von kurzfristigen politischen Manövern blenden zu lassen. Die Wahlen in Rumänien und Polen werden wichtige Signale für den inneren Zusammenhalt und die Ausrichtung der EU senden.
Die kommende Woche wird mit dem G7-Finanzministertreffen sicherlich neue Impulse bringen. Bis dahin wünsche ich Ihnen ein erholsames Wochenende, um die vielfältigen Eindrücke zu sortieren. Bleiben Sie kritisch und gut informiert!
Herzlichst,
Ihr Eduard Altmann